Das macht erst einmal Mut: Aus den jüngst veröffentlichten Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe geht hervor, dass in Castrop-Rauxel mehr als ausreichend Hausärztinnen und Hausärzte arbeiten. Ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent liege nach derzeit geltendem Versorgungsschlüssel eine Überversorgung vor – Castrop-Rauxel liegt bei 107 Prozent. Zur Einordnung: Bei 100 Prozent hätten knapp 1.750 Einwohner einen einzelnen Hausarzt. Mit dem aktuellen Versorgungsgrad sei Castrop-Rauxel also sehr gut aufgestellt, geht aus dem Bericht hervor. Das „Aber“ lässt hier nicht lange auf sich warten.
Denn aktuell gebe es zwar noch genug Hausärzte, laut KVWL sei aber auch die Altersstruktur der Hausärzte vor Ort ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Und hier liegt ein mögliches Problem: In Castrop-Rauxel sind fast die Hälfte aller Hausärzte (46 Prozent) älter als 60 Jahre. Das lässt vermuten, dass viele Hausärzte in den kommenden zehn Jahren das Rentenalter erreichen und den Ruhestand anstreben. Die KVWL teilte auf Nachfrage jedoch ausdrücklich mit, dass ein großer Teil der niedergelassenen Ärzte auch noch mit 70 Jahren oder älter praktiziert.
In der Nachbarstadt Herne sieht die Lage mit 40 Prozent Ärzte-Anteil über 60 Jahren ähnlich aus. In Waltrop hingegen sind nur ein Viertel aller Hausärzte über 60 Jahre alt. Dafür herrscht in der Hebewerkstadt aber mit einem Versorgungsgrad von 80 Prozent beinahe eine generelle Unterversorgung an Hausärzten. Ab 75 Prozent werde laut KVWL geprüft, ob mit einer Unterversorgung zu rechnen ist. Wenn dies der Fall ist, werden frühzeitig Maßnahmen ergriffen.
Das Ärzte-Problem
Im mittleren Ruhrgebiet müssen Hausärzte laut der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe aktuell generell mehr Patienten versorgen als im restlichen Landesteil. Und auch die Nachbesetzung von Arztsitzen bereitet vor allem in ländlichen Regionen schon längere Zeit Schwierigkeiten. Tendenziell würden viele junge Medizinerinnen und Mediziner keine eigene Praxis mehr eröffnen wollen. Es zieht sie vermehrt in größere Praxen, in denen sie einer Tätigkeit in Anstellung oder Teilzeit nachgehen. So können sie Familie, Freizeit und Arbeit besser vereinbaren, heißt es von KVWL-Seite.
Weitere Faktoren, die die Wahl junger Ärztinnen und Ärzte beeinflussen, seien eine gut ausgebaute Infrastruktur und Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Kinderbetreuungsangebote und Baugrundstücke. Das meiste davon lässt sich in größeren Städten viel eher finden, als in kleinen Dörfern auf dem Land.

Förderverzeichnis als Frühwarnsystem
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe wurde vielen Problemen in der ambulanten Versorgung in den vergangenen Jahren nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt - insbesondere von politischer Seite aus. Durch die deutliche Benachteiligung des ambulanten Sektors werde es demnach in naher Zukunft zu Leistungskürzungen und Praxisschließungen kommen. Grund dafür seien unter anderem eine zugespitzte Bürokratie, eine unzureichende finanzielle Ausstattung und die Forderung nach mehr Digitalisierung, obwohl den Praxen entsprechende Mittel nur beschränkt zur Verfügung stehen.
Die KVWL ergreift bereits verschiedene Maßnahmen, um einem möglichen Hausärztemangel entgegenzuwirken. So führt sie beispielsweise ein Förderverzeichnis, das frühzeitig warnt, wenn in einer Gemeinde in naher Zukunft Probleme bei der ärztlichen Versorgung drohen. Ärzte, die sich in der entsprechenden Region niederlassen möchten, können einen Antrag auf besondere Unterstützungsmaßnahmen stellen. Waltrop steht derzeit auf dem Förderverzeichnis.
Nachwuchskampagne „Praxisstart“
Eine weitere Kampagne der KVWL ist das Programm „Praxisstart“. Bereits seit 2014 versucht die Vereinigung hierüber Nachwuchs für die ambulante Versorgung zu gewinnen. Hausärzte, die an dem Programm teilnehmen, erhalten eine umfassende finanzielle Förderung sowie Informations- und Beratungsangebote. Auch Franziska Meyer, die Anfang November eine eigene Hausarztpraxis am Widumer Tor in Castrop-Rauxel eröffnet hat, ist Teil des Programms „Praxisstart“. Die gebürtige Hernerin hat sich nach verschiedenen Stationen in ganz Deutschland schließlich für eine Niederlassung in Castrop-Rauxel entschieden. Bereits ihr Vater Ingo Meyer hat als Kinderarzt am Ickerner Markt seinen Fußabdruck in der Europastadt hinterlassen. „Ohne die Nachwuchskampagne der KVWL würde ich bald wahrscheinlich nicht in meiner eigenen Praxis stehen, sie hat mir den letzten Anstoß gegeben, mich niederzulassen“, merkte die 40-Jährige noch im Oktober an.
Neben dem Förderverzeichnis und „Praxisstart“ bietet die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe viele weitere Förderprogramme an. So zum Beispiel eine Famulatur- und PJ-Förderung, einen finanziellen Zuschuss für eine allgemeinmedizinische Facharztausbildung, ein Quereinstiegsprogramm und besondere Qualifizierungsmaßnahmen. Die KVWL teilt auf Nachfrage ausdrücklich mit, dass sie trotz des hohen Alters der Hausärzte in naher Zukunft keine Versorgungslücke in Castrop-Rauxel befürchtet. Mit einem Versorgungsgrad von knapp 107 Prozent sei Castrop-Rauxel sehr gut aufgestellt und es stünden darüber hinaus noch hinreichend Niederlassungsmöglichkeiten zur Verfügung. Nichtsdestotrotz brauche Castrop-Rauxel, wie die meisten anderen Städte auch, ärztlichen Nachwuchs im ambulanten Bereich, um seine gute Versorgungslage beizubehalten.
