Beim Unternehmen Redtree in Castrop-Rauxel – das Stadtwerke und Energieversorger digitalisiert – haben die Mitarbeitenden viele Freiheiten: Manch einer fängt schon morgens um sechs Uhr an, um nachmittags frei zu haben, andere schlafen lieber aus und beginnen den Arbeitstag erst um zehn Uhr. Wieder andere machen mittags eine mehrstündige Pause, um Dinge zu erledigen. Der Wunsch nach flexibler Arbeitszeit ist groß, sagt auch Stefan Bunse. Er muss es wissen – Stefan Bunse ist der Leiter der Agentur für Arbeit in Castrop-Rauxel.
Arbeitnehmer in guter Position
Rund 20 Mitarbeitende hat Redtree. Etwa drei Viertel von ihnen arbeiten regelmäßig in Castrop-Rauxel, andere leben in ganz Deutschland oder der Ukraine. Die Arbeitsstunden und -tage pro Woche? „Ganz unterschiedlich“, sagt Geschäftsführer Michèl Dichter. Denn am Ende entscheide immer die Qualität: „Ich werde keinem Talent absagen, nur weil es nicht 40 Stunden die Woche von 8 bis 17 Uhr arbeiten will.“
Trotzdem betont er: „Das heißt nicht, dass mir das alles egal ist. Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn immer alle im Büro sind.“ Ein Teams-Call könne zwar teilweise mündliche Absprachen ersetzen, aber niemals einen Plausch an der Kaffeemaschine. Außerdem wichtig: das Unternehmen müsse für seine Kunden erreichbar sein – und bei Stadtwerken und Energieversorgern sei das nun mal zwischen 10 und 17 Uhr.

Mit diesen flexiblen Modellen ist Redtree nicht alleine: „In der Tat machen sich auch in Castrop-Rauxel die ersten Betriebe in diese Richtung auf“, sagt Stefan Bunse und hat auch Beispiele parat: „Das geht vom Handwerksbetrieb, der seine 38- oder 38,5-Stunden-Woche auf vier Arbeitstage verteilt bis zum IT-Spezialisten, der seine wöchentliche Arbeitszeit aufgrund effektiverer Arbeitsprozesse bei vollem Lohnausgleich generell um einige Stunden reduziert hat und im Rahmen der Bürozeiten größtmögliche Flexibilität – auch im Rahmen einer 4-Tage-Woche – bietet.“ Inzwischen werben erste Arbeitgeber auch in ihren Stellengesuchen damit. Das müssen sie auch tun, denn der Arbeitnehmer sei auf dem Arbeitsmarkt gerade in einer vorteilhaften Position.
„Schon wieder überholt“
Aktuell können sich Unternehmen aus ganz Deutschland für ein sechsmonatiges Pilotprojekt zum Thema 4-Tage-Woche bewerben, das von der Universität Münster betreut wird: „Dabei liegt der Fokus auf die Verprobung einer reduzierten Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt und gleichbleibender Produktivität“, heißt es auf der Homepage für Bewerber. Ob sich bereits Castrop-Rauxeler Unternehmen beworben haben? Stefan Bunse weiß von keinem.
Redtree jedenfalls wird sich nicht bewerben. Eine 4-Tage-Woche bei gleichen Bezügen hält Michèl Dichter für eine „Rohrkrepierer“. Mehr Produktivität bei acht Stunden weniger pro Woche lasse sich vielleicht im ersten oder zweiten Jahr einer solchen Studie erreichen – besonders mit der Aussicht auf zukünftig einen Tag mehr Wochenende bei einem erfolgreichen Ausgang der Studie. Langfristig erwarte er aber, dass die Produktivität insgesamt abnehme. Andersherum müsse sonst auch die Frage gestattet sein, weshalb die Produktivität an fünf Arbeitstagen nicht höher sei? Dass das gerade keine populäre Aussage sei, wisse er.
Ihm seien Modelle wie genau vier Tage oder auch genau fünf Tage in der Woche jedoch zu starr: „Das ist schon wieder überholt“, sagt er. Stattdessen versuche er bei Redtree auf Flexibilität zu setzen.
„Die Gesamtdiskussion ist breiter“, stimmt ihm Stefan Bunse zu. „In diesem Zusammenhang spielen auch Homeoffice und allgemein flexiblere Arbeitsbedingungen eine zunehmend wichtigere Rolle. Denn die Firmen befinden sich inzwischen häufig auch im Wettbewerb um Personal. Das Stichwort lautet: Fachkräftemangel.“ Hier kreative Lösungen für alte und neue Mitarbeiter anbieten zu können, werde in Zukunft eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob sich ein Arbeitnehmer für einen Betrieb entscheidet. Und damit entscheidet sich in der Folge auch die Zukunft der Unternehmen.
Sind Sie für oder gegen die 4-Tage-Woche? Haben Sie flexible oder starre Arbeitszeiten? Wir suchen Menschen, die uns von Ihren Erfahrungen berichten wollen. Schreiben Sie einfach eine Mail mit Ihrer Meinung und Ihren Erlebnissen an castrop@ruhrnachrichten.de.
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