Expertinnen im Interview Was passiert in Castrop-Rauxel, wenn Cannabis legalisiert wird?

Wenn das Gras kommt: Stephanie Stoppka und Melanie Sterna im Interview
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Die Ampel-Regierung möchte den Konsum von Cannabis legalisieren. So steht es zumindest im Koalitionsvertrag und einem ersten Vorschlag aus dem Gesundheitsministerium. Aber was würde eine Legalisierung eigentlich für Castrop-Rauxel bedeuten? Im Interview sprechen die Jugendschützerin Stephanie Stoppka und Melanie Sterna von der Fachstelle für Suchtvorbeugung über die Legalisierung und erklären, was Kinder sich von ihren Eltern wünschen.

Vielleicht fangen wir erstmal ganz vorne an. Was ist das, was man Cannabis, Hasch oder Gras nennt eigentlich?

Melanie Sterna: Es ist eine Droge. Gras ist natürlich nur eine Bezeichnung, damit nicht jeder sofort weiß, worüber man spricht. Letzten Endes reden wir von Cannabis, von der Cannabispflanze, die psychoaktive Wirkstoffe enthält. Und Gras ist eine Konsumform, eben Bestandteil der Hanfpflanze, die man sich beispielsweise in einen Joint reinmachen kann, die Konsumarten sind aber sehr verschieden.

Und was passiert, wenn man diese Droge nimmt?

Melanie Sterna: Je nach Konsum ist die psychoaktive Wirkung höher oder setzt schneller ein. Wenn man Cannabis isst, dann kommt sie beispielsweise sehr zeitverzögert und dauert sehr lange an. Aber die generellen Wirkungen sind der sogenannte „Lachkick“, also dass ich einen Lach- und Laberflash bekomme. Nach zehn bis zwanzig Minuten kommt dann der Fresskick.

Aber ein klassischer Grund, wieso Jugendliche das Konsumieren, ist die klassische Mir-egal-Einstellung. Das heißt, alles, was mich gerade belastet, was mich sorgt, ist mir egal. Das sind eigentlich so die drei Dinge hauptsächlich.

Das klingt jetzt ja erst mal ganz schön, könnte man meinen. Was sind denn die Gefahren von Cannabis? Es muss ja einen Grund geben, wieso diese Droge aktuell verboten ist.

Stephanie Stoppka: Der frühe Konsum beeinträchtigt die Entwicklung im Gehirn. Die Nervenbahnen verknüpfen sich dann nicht so, wie sie sich ohne Konsum verknüpfen würden. Das ist der Hauptpunkt, dass die Gehirne nicht wirklich ausgereift sind, um das dementsprechend zu verarbeiten.

Wie sieht das denn bei Ihrer täglichen Arbeit vor Ort aus? Ist Cannabis eine populäre Droge?

Melanie Sterna: Ja, weniger wird es gerade definitiv nicht. Also man kann schon sagen, dass die Jugendlichen vielleicht sogar eher mal kiffen als rauchen. Und ich denke auch, dass da nochmal vielleicht ein Anstieg kommen könnte, wenn es legal wird.

Was halten Sie von der möglichen Legalisierung ab einem bestimmten Alter?

Melanie Sterna: Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, mit einem bestimmten Alter. Wir als Fachstelle haben uns natürlich ganz klar vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnis für eine Legalisierung ab 21 ausgesprochen. Für uns ist es schon ein Vorteil, dass wir bei Cannabis nicht mehr von einer illegalen Substanz sprechen. Das macht natürlich auch die Prävention einfacher und auf der anderen Seite auch den Schutz. Wenn man das aktuell irgendwo auf der Straße kauft und da irgendwelche Dinge mitunter gemischt sind, kippen die Leute mitunter komplett um, weil sie was ganz anderes konsumieren.

Viele kennen das ja schon vom Alkohol. Die erste in einer Freundesgruppe die 18 Jahre alt wird, geht in den Supermarkt und kauft für alle ein. Besteht bei einer Legalisierung nicht die Gefahr, dass Jugendliche viel leichter über ältere Geschwister oder Freunde an die Droge herankommen?

Melanie Sterna: Es ist natürlich immer so, dass der ältere Bruder für den 16-Jährigen Wodka kaufen kann und im Umkehrschluss ginge das auch mit Cannabis. Aber wir gehen davon aus, dass es jetzt auch schon so ist.

Deswegen ist mir das im Moment so extrem wichtig, das Thema Cannabis, das Thema künstliche, also synthetische Cannabinoide aufzugreifen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt in der modernen Suchtprävention. Wir wollen den Einstieg in den Konsum so weit wie möglich durch Aufklärung hinauszögern.

Cannabis wird ja heute schon von Jugendlichen konsumiert. Ein 15-jähriges Kind kommt nach Hause und riecht sehr eindeutig süßlich nach Gras oder Cannabis. Was tue ich dann als Eltern?

Stephanie Stoppka: Was die Kinder uns zurückgespiegelt haben, wenn so was ist, dass es ihnen einfach wichtig ist, ehrlich miteinander zu sein. Also das Kind darauf ansprechen und als Elternteil auch seine Sorgen äußert „Mir ist da was aufgefallen. Hast du gerade Probleme? Gibt es Schwierigkeiten?“ Nicht nur Verbote und Konsequenzen aussprechen, sondern die Probleme, die gerade da sind, ernst zu nehmen.

Melanie Sterna: Ganz wichtig ist das gemeinsame Gespräch auf Augenhöhe. Wenn ich dem Kind Vorwürfe mache oder übertriebene Sorgen äußere, ohne dass es auf meine Fragen reagieren kann, dann hilft das nicht. Vielleicht auch erst mal das Ganze ein, zwei Tage ruhen lassen, weil jetzt, wenn das Kind wirklich gerade von der Party kommt, ist das der schlechteste Zeitpunkt darüber zu reden.

Wann ist denn der Zeitpunkt, wo ich mir als Elternteil Sorgen machen muss? Was sind die Alarmzeichen für eine Sucht?

Stephanie Stoppka: Sobald man merkt, dass das Leben beeinträchtigt ist, also sobald sich irgendwas an dem Zustand oder an dem Verhalten langfristig verändert. Wenn man merkt, die Schule leidet extrem darunter oder mein Kind zieht sich auf einmal so zurück, wie es das vorher noch nie getan hat.

Melanie Sterna: Das ist natürlich schwierig, wenn wir im pubertierenden Alter sind. Da muss man wirklich auch ein bisschen Fingerspitzengefühl als Eltern haben.

Wenn Eltern feststellen: ‚Wir haben da ein echtes Problem‘ oder vielleicht auch das Kind auf die Eltern zukommt, was ist dann der nächste Schritt?

Melanie Sterna: Die kommen dann am besten zu uns. Man kriegt sehr zeitnah einen Termin. Da finden eben sowohl die Angehörigen als auch die betroffenen Konsumenten schnell und unbürokratisch Hilfe. Wenn sich wirklich durch Gespräche ergeben sollte, dass wir hier von einem Suchtgeschehen sprechen, dann sind wir auch diejenigen, die schnell in Therapie vermitteln können. Das ist einfach der schnellste und unbürokratische Weg, den man dann in diesem Moment gehen kann.

Werden hier in Castrop-Rauxel eigentlich anderen Drogen konsumiert als in Party-Städten wie Berlin oder Köln?

Stephanie Stoppka: In größeren Städten gibt es einfach eine ganz andere Drogenszene als in einer Stadt mit weniger Einwohnern. Also Dortmund hat eine größere Drogenszene; Recklinghausen die Platte. Das ist ja auch einfach mal was anderes als Castrop. Aber ich finde, die Jugendlichen, die haben die gleichen Probleme.

In den größeren Städten gibt es Drogen, die vielleicht eher mit der Feierszene in Verbindung zu setzen sind. Natürlich hat man die eher in Städten, wo auch viele Diskotheken sind, als in so einer mittelständigen Stadt wie Castrop.

Was würden Sie Familien und Eltern bei dem Thema mit Blick auf die Legalisierung raten?

Stephanie Stoppka: Eltern sollten jetzt schon zu Hause mit ihren Kindern über die Legalisierung sprechen. Prävention ist einfach super wichtig.

Melanie Sterna: Suchtprävention fängt in der frühesten Kindheit an, die fängt nicht erst mit 13 oder 14 Jahren an. Im Endeffekt fängt Prävention schon mit dem dritten oder vierten Lebensjahr an, wo man den Kindern beibringt, dass man ihnen nicht einfach das Handy in die Hand drückt, damit sie beschäftigt sind. Es ist auch wichtig, dass sich Kinder an gewisse Strukturen halten können. Zum Beispiel im Kleinkindalter früh ins Bett gehen, damit man ausgeschlafen den Tag beginnt und nicht schon mit schlechter Laune. Das sind so Kleinigkeiten, die man unterschätzt, die alles später mal begünstigen können.

Stephanie Stoppka: Ich finde es deswegen wichtig, dass wir mehr Zeit in die Angehörigenberatung stecken. Wenn Eltern schon gut aufgeklärt sind, können die das den Kindern viel besser vermitteln.

Bei Fragen rund um das Thema Suchtprävention, können sich Interessierte oder Betroffene auch bei unseren Expertinnen Melanie Sterna und Stephanie Stoppka melden.

Melanie Sterna

DROB-Drogenhilfe Recklinghausen & Ostvest e.V.

Kaiserwall 34, 45657 Recklinghausen

Tel: 02361/485221

Mobil: 0176/42733525

E-Mail: sterna@drob-re.de

Website: www.drob-re.de

Stephanie Stoppka

Büro Kinder- und Jugendschutz

Leonhardstraße 2, 44575 Castrop-Rauxel

Tel.: 02305/891032

E-Mail: stephanie.stoppka@castrop-rauxel.de

Website: www.castrop-rauxel.de

Aufsuchende Jugendarbeit

Jugendzentrum Trafo

In der Wanne 102, 44581 Castrop-Rauxel

Tel.: 0157/35499455

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