Als Nicole Smietana ihren Namen schreibt, sagt sie: „Der Name ist Programm, weil ich nie Kohle habe.“ Sie lacht – wie eigentlich fast immer. Die 46-Jährige und ihr Mann leben seit etwa 15 Jahren von Bürgergeld, das damals noch Hartz IV hieß. „Ach, alles gleich, egal ob Bürgergeld, Hartz-4 oder Sozialhilfe“, sagt sie. Das Geld habe sich am Ende nie groß unterschieden.
Zusätzlich zum Bürgergeld hat die 46-Jährige seit fünf Jahren einen Minijob bei der Castrop-Rauxeler Tafel, den sie liebt. 25 bis 30 Stunden arbeitet sie hier die Woche für zwei Euro die Stunde. Von Montag bis Freitag sortiert sie vormittags die ankommenden Lebensmittel, entfernt schlechte Stellen bei Obst und Gemüse, packt die Tüten für Tafelkunden, putzt die Küche und hilft auch mal bei der Ausgabe.
15 Jahre Hartz IV und Bürgergeld
Nach Auskunft des Jobcenters beziehen aktuell rund 3.800 der etwa 76.000 Menschen, die in Castrop-Rauxel leben, Bürgergeld. Hinzu kommen 711 Personen, die älter als 65 Jahre sind, Grundsicherungsleistungen beziehen. Das teilte die Stadt auf Anfrage mit.
„Ich bin hier in Castrop-Rauxel groß geworden und immer hiergeblieben“, sagt Nicole Smietana, die aktuell mit ihrem Mann und ihrem neunjährigen Sohn in Obercastrop lebt. Damit, dass sie Leistungen vom Amt bekommt, ging sie immer offen um: „Castrop-Rauxel kennt mich und weiß, dass ich Bürgergeld bekomme – und ich lebe trotzdem noch.“ Seit 15 Jahren ist das so. Zuvor arbeitete ihr Mann bei der Firma Lungmuß Feuerfest in Dortmund. Dort habe er die Masse für verschiedene Rinnen hergestellt. „Er musste immer schleppen, schleppen, schleppen“, sagt seine Frau. Das endete dann vor 15 Jahren mit einem Hüftschaden. Inzwischen bekam er sogar schon seine zweite neue Hüfte. Auch Nicole Smietana hatte schon einen Halswirbel- und einen Bandscheibenvorfall.
Leider keine Ausbildung
„Ich war immer nur Hausfrau“, sagt sie. Mit 46 ist Nicole Smietana fünffache Mutter und auch bereits sechsfache Oma. Auch die ersten 10 der 15 Jahre, die sie und ihr Mann jetzt schon Bürgergeld (bzw. Hartz IV) bekommen, blieb sie zu Hause. Ob sie es bereut, nie eine Ausbildung gemacht zu haben? „Oh ja!“, sagt sie heute. „Ich gehe gerne arbeiten, das merke ich jetzt erst.“ Während ihre Kinder noch klein waren, habe sie immer mal wieder gejobbt, aber habe nie „etwas Handfestes“ gelernt. Könnte sie die Zeit zurückdrehen, würde Nicole Smietana vielleicht eine Ausbildung als Erzieherin machen – oder aber richtig bei der Tafel arbeiten wollen. Aber jetzt noch eine Lehre starten? „Nein, mit 46 fange ich nicht nochmal eine Ausbildung an“, sagt sie.
Was bei der Tafel einst als eine Maßnahme vom Jobcenter begann, ist für Nicole Smietana inzwischen viel mehr als das. „Zuhause ist Alltag und hier ist mein Hobby“, sagt sie. Sie arbeitet gestern bei der Castrop-Rauxeler Tafel. „Ich kann gut mit Menschen und ich liebe meine Pappenheimer, die hier so kommen.“ Auch während der Arbeit ist Nicole Smietana immer zu Scherzen aufgelegt und verbreitet gute Laune. „Meine Geschwister wollen schon gar nicht mehr mit mir in die Innenstadt, weil ich andauernd jedem ‚Hallo‘ sagen muss.“ Zwei Tage im Monat könne sie freinehmen, allerdings unbezahlt. Und auch wenn sie krank ist, bekommt sie kein Geld ausgezahlt. „Die Arbeit ist anstrengend und man merkt es körperlich. Trotzdem möchte ich sie nicht missen“, sagt sie.
Kein Geld am Monatsende
Rund 800 Euro bekommen sie und ihr Mann zusammen an Bürgergeld. Hinzu kommt das Geld, das die zwei in ihren Minijobs verdienen. Wenn sie keinen freien Tag nimmt und nicht krank ist, sind das bei ihr 230 Euro, bei ihrem Mann 150. Etwa 1180 Euro hat die Familie also monatlich zur Verfügung. Hinzu kommt das Kindergeld. Die Wohnung, in der die Familie lebt, zahlt das Amt. Genauso den Strom. Für die Heizung müssen sie aber selbst jeden Monat etwa 150 Euro aufbringen. 60 Euro gehen fix für das Essensgeld an der Schule ihres Sohns drauf. Blieben also noch weniger als 1000 Euro zum Leben.
Welcher Tag im Monat gerade ist, wisse sie immer ganz genau. Das Bürgergeld komme immer am Monatsletzten und das Kindergeld am 5.

Wie viel am Ende des Monates übrig bleibt? Nichts. „Man kann nie etwas Geld zur Seite legen und für den Fall, dass mal was kaputt geht.“ Das sind Nicole Smietana und ihr Mann auf die Hilfen von dessen Eltern oder die Unterstützung ihrer eigenen erwachsenen Tochter angewiesen. Gerade jetzt, wo alles – und vor allem Lebensmittel – teurer werden, müsste ihre Tochter ihr öfter etwas Geld vorstrecken. Wie sie sich dabei fühlt? „Schlecht. Sie muss ja nicht für uns arbeiten gehen, sondern soll für sich selbst arbeiten.“ Lebensmittel kauft sie immer freitags bei der Tafel. Dann habe sie erstmal einen kleinen Vorrat an Grundnahrungsmitteln: „Brot, Obst, Gemüse gibt es hier“, sagt sie. Klamotten für ihren Sohn, sich selbst und ihren Mann kauft Nicole Smietana vor allem bei der Kleiderkammer. In den Urlaub fährt die Familie nicht und auch Essengehen sei nicht drin. „Ein oder höchstens zweimal im Monat bestellen wir eine Pizza oder holen uns was beim Griechen“, erzählt sie.
Besseres Leben für ihre Kinder
Nichtsdestotrotz sagt Nicole Smietana: „Nein, ich bin nicht arm. Man muss nur haushalten können. Arm ist für mich, wenn ich auf der Straße lebe.“ So wie es gerade ist, könne es die nächsten Jahre erstmal weitergehen. Sie hofft, dass ihr Minijob bei der Tafel nochmal verlängert wird: „So bin ich zufrieden.“ Für ihre Kinder wünscht sie sich trotzdem ein anderes, ein besseres Leben. „Sie sollen eine gute Arbeit – und irgendwann ausgesorgt haben.“
Was die Zukunft für Nicole Smietana selbst bereithält, ist jedoch erstmal ungewiss. Im März läuft ihre Maßnahme bei der Tafel aus. „Was ich dann mache, weiß ich noch nicht“, sagt sie. Putzen könne sie sich vorstellen. Während Corona arbeitete sie sogar unentgeltlich bei der Tafel weiter. Nur ehrenamtlich möchte sie aber nicht arbeiten. „Ich möchte schon am Ende des Monats auf mein Konto gucken und sagen: ‚Dafür habe ich gearbeitet‘.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 12. November 2023.
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