Tempo 30 - das scheint für viele Autofahrer, die durch die Beckumer Straße in Castrop-Rauxel fahren, nur ein nettes Schild ohne viel Wert zu sein. Zumindest empfinden dies die Anwohner der Straße, die Meckinghoven und Henrichenburg verbindet. Fakten bestätigen die Einschätzung.
Es ist 12 Uhr Mittags. Lambertus Kramer, Anwohner der Straße, kommt aus seinem Haus gelaufen. Zack – das erste Auto, welches mit bestimmt 70 km/h durch die 30er-Zone der Beckumer Straße fährt. Innerhalb von 40 Minuten folgen knapp 100 weitere Autos. Autos, die dort eigentlich gar nicht entlang fahren dürfen.

Verkehr zu Stoßzeiten
Seit knapp zwei Jahren spitzt sich ein Problem an der Beckumer Straße zu: der Autoverkehr. Die Anwohner sind verzweifelt, denn eigentlich könne es dieses Problem dort nicht geben. Wieso? In der Beckumer Straße gilt eigentlich: Durchgangsverkehr verboten für Pkw und Motorräder.
Durch das große Verkehrsaufkommen von fast bis zu 2000 Autos täglich kommt es immer wieder zu brenzlichen Situationen, sagt Anwohner Lambertus Kramer. Am schlimmsten sei die Verkehrssituation zu den Verkehrshauptzeiten. „Ab 5.15 Uhr geht es los, ab dann ist es vor allem zu den Stoßzeiten und ab 16 Uhr die Hölle“, sagt er. Ein normaler Spaziergang mit seinem Hund: undenkbar.
Kai Marek, ebenfalls Anwohner der Straße, ist eigentlich auf dem Weg zu einem Termin. Er sieht Lambertus Kramer und hält kurz an. Direkt weiß er, es geht um die Probleme auf der Beckumer Straße. Auch er weiß nicht mehr weiter. Bereits im April 2024 wandte er sich an die Polizei Recklinghausen. „Ich hatte dann wöchentlich die Polizei bei mir stehen, die Messungen durchgeführt haben, Bußgelder verhängt haben, aber auch die waren überfordert.“ Der nächste Schritt ging für ihn in Richtung Stadt Castrop-Rauxel. Auch dort erfuhr Kai Marek in seinen Augen wenig Hilfe. „Polizei und Stadt schieben sich die Zuständigkeit hin und her“, sagt er.
Auf Anfrage der Redaktion bestätigt die Stadt Castrop-Rauxel, dass diverse Messungen an der Beckumer Straße durchgeführt wurden. Erst im Januar 2025 stand Panzerblitzer Gunther für drei Tage an der Hausnummer 33. Innerhalb dieser Zeit sind 4883 Autos durch diese Straße gefahren, 173 Autos sind dabei geblitzt worden, 34 davon mit mindestens 10 km/h zu schnell. Die Stadt stellt aber klar, dass sich die Ergebnisse kaum von anderen Messergebnissen in Tempo-30-Zonen unterscheiden würden.
Nach Zählungen im Oktober 2024 sind zu diesem Zeitpunkt noch etwa 1200 Autos täglich durch die Beckumer Straße gefahren. Bei erneuten Messungen der Polizei im Februar seien es rund 1735 Autos gewesen. An Werktagen vermutlich mehr, so die Stadt Castrop-Rauxel. Der Anstieg erkläre sich mit der Sperrung von der Dortmunder Straße zwischen Horneburg und der Lukas-Kreuzung aufgrund einer Brückensanierung.
„Die angebotene Umleitung über Dattelner Stadtgebiet wird nicht von allen Verkehrsteilnehmern genutzt. Viele Autofahrer nutzen daher den Weg von und nach Castrop-Rauxel durch den Ortsteil Becklem“, sagt ein Mitarbeiter aus der Verkehrsabteilung der Stadt-Castrop-Rauxel. Eine Regulierung des Verkehrs vermuten sie erst dann, wenn die Sperrung aufgehoben ist.
Marek und Kramer besprechen sich regelmäßig zu der Thematik. Neben den viel zu vielen und viel zu schnellen Autos sei auch die Beschaffenheit der Straße nicht auf das hohe Verkehrsaufkommen ausgelegt. Beide wohnen schon seit vielen Jahren auf dieser Straße. Lambertus Kramer sogar sein ganzes Leben. Sie, und viele weitere Anwohner, machen sich Sorgen um ihre Sicherheit.

Gefahr für Kinder
Dass an der Beckumer Straße schon der ein oder andere Unfall passiert sein muss, ist schwer zu übersehen. Vor allem kaputte Leitbaken weisen darauf hin. „Es nimmt einfach keiner Rücksicht“, erklärt Lambertus Kramer. Der 59-Jährige macht sich am meisten Sorgen um die Kinder. „Wir sind zwar keine Spielstraße, aber die Kinder können die Gefahren nicht einschätzen.“ Schon des Öfteren sei es zu brenzlichen Situationen gekommen. „Die geben irgendwann einfach Gas. Da muss nur einmal ein Kind zur falschen Zeit am falschen Ort sein.“
Erst am Mittwoch (12.3.) ist Lambertus Kramer mit seinem Hund eine Abendrunde spazieren gegangen. Eine Warnweste trägt er, um sich nicht in Gefahr zu bringen, so berichtet er. Er sieht in der Ferne ein Auto, denkt sich aber erstmal nichts. Als er merkt, dass das Auto deutlich mehr als nur 30 km/h fährt, ist es schon fast zu spät. Er springt zur Seite, rettet sich und seinen Hund, bevor ihn der Autofahrer mitreißen kann. „Ich habe direkt gestern Abend noch Anzeige erstellt.“

Lang bekanntes Problem
Für Lambertus Kramer, der seit 1965 in der Beckumer Straße wohnt, ist das Problem nicht unbekannt. Er selbst hat über viele Jahre einige Unfälle miterlebt. Mit 13 Jahren hatte er einen schweren Unfall. 1978 ist er auf einem Fahrrad unterwegs – bis ihn ein Auto erfasst. Der heutige 59-Jährige kam damals direkt ins Krankenhaus und lag einige Zeit im Koma. Vor acht Jahren fuhr ein Auto so knapp an ihm vorbei, dass er von diesem berührt und in die Leitbake gestoßen wurde. Durch eine Zeugin konnte der Autofahrer dafür belangt werden.

„Es muss doch nicht erst so etwas wie mir passieren, bis hier an der Straße etwas getan wird“, sagt der Becklemer. Auch sein Sohn blieb von einem Schreck durch den Verkehr nicht verschont. Als der heutige 30-Jährige als Schüler aus dem Schulbus stieg, erfasste ihn fast ein Auto. „Der Autofahrer wollte den Bus überholen und ist dafür über unsere private Fläche gefahren, meinen Sohn hat er dabei nicht gesehen.“
Weil die Anwohner nicht mehr wissen, wie sie das Verkehrschaos bessern sollen, werden sie selbst aktiv. Sie hängen beispielsweise Schilder an Bäume, welche an das Tempolimit erinnern sollen. Lambertus Kramer sagt es drastisch: „Wieso kann eine Straße für Krötenwanderungen gesperrt werden, aber wenn hier Menschen gefährdet sind, wird nichts gemacht. Da frage ich mich: Geht Tierwohl nun schon vor Menschenwohl?“