Bauordnungs-Chef Röhnert (50) verlässt Castrop-Rauxel Paragrafen-Treue bis zum letzten Tag

Bauordnungs-Chef Röhnert (50) verlässt Castrop-Rauxel: Paragrafen-treu bis zum letzten Tag
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In seinen ersten Tagen und Wochen im Dienst im Castrop-Rauxeler Rathaus arbeitete Philipp Röhnert 2012 an der Ausfertigung eines neuen Flächennutzungsplans. Als wir den studierten Stadtplaner jetzt in seinem Büro, Zimmer 325, treffen, da steht er vor dem FNP 2025. „Das ist ja dasselbe Foto wie damals“, sagt er und lächelt beim Blick auf unsere Kamera.

Zwölf Jahre später sind seine Haare grauer geworden und sein Bart länger. Er ist um viele Erfahrungen reicher und hat zahlreiche Erfolge vorzuweisen, aber ganz sicher auch Krisen erlebt. Es schließt sich ein Kreis: Es ist sein drittletzter Tag in diesem Büro. Röhnert wechselt, nachdem er im Mai 50 Jahre alt wurde, den Job: Er verlässt Castrop-Rauxel in Richtung Hamm. 22.000 Vorgänge im Bauverwaltungsprogramm, darunter 4149 Bescheide über Bauvorhaben, später.

Damals, im April 2012, kam er der gebürtige Oelder als neuer Bereichsleiter der Stadtplanung und Bauordnung von Gelsenkirchen nach Castrop-Rauxel. Der Beigeordnete Heiko Dobrindt war damals sein Vorgesetzter; Johannes Beisenherz war Verwaltungs-Chef und Bürgermeister. Irgendwie war damals alles ein bisschen anders.

„Die Planverfahren“, sagt Röhnert, „liefen damals deutlich zügiger als heute.“ Ein Eindruck, den wahrscheinlich viele in der Verwaltung, aber auch Bürger, die nur von außen draufschauen, bestätigen würden. Warum aber war das so? Warum ist Deutschland, hier im Speziellen Castrop-Rauxel, langsamer geworden? „Das hängt mit allgemeinen politischen Entwicklungen zusammen“, meint Röhnert. „Die Bevölkerung bringt sich stärker ein, will mitgenommen werden. Es gibt stärkere politische Auseinandersetzungen um viele Details. Es wird lange und intensiv diskutiert“, schildert er seinen Eindruck.

„Vor Corona liefen die Verfahren besser“

„Vor Corona liefen die Verfahren besser durch“, sagt Röhnert. Heute sei es oft so, dass sich während des Planverfahrens gesellschaftliche Entwicklungen ergäben, die zum Teil zu 180-Grad-Wenden führen. „Einige Projekte sind wegen der Baukosten-Steigerungen gar nicht weiterverfolgt worden. Die Leute haben in diesen Krisenjahren einen anderen Fokus entwickelt“, so Röhnert.

Und es gebe auch in der Bauordnung eine Entwicklung, die zu unerwartet mehr Aufwand führe: Ein Einfamilienhaus oder Reihenhaus auf einem 300 Quadratmeter großen Grundstück zu planen und zu genehmigen, sei erheblich schwieriger als auf einer doppelt so großen Fläche. Der Trend geht aber zu kleineren Grundstücken. Hier sei es erheblich diffiziler, Abstands- und Abstellflächen für Autos und Fahrräder, Anleiterstellen für die Feuerwehr, Mülltonnen, Entwässerungsbereiche und Co. einzuplanen. „Irgendwann“, so Röhnert, „wird es sehr eng.“

Die Politik traf sich im März 2019 mit den Verwaltungsleuten Heiko Dobrindt und Philipp Röhnert, Naturschützern und Anwohnern an der alten Eiche in Emscher-Nähe. Zurückblickend empfindet der scheidende Leiter der Stadtplanung es als ein schönes Verfahren, in dem man die Wünsche aus der Bevölkerung aufgenommen habe.
Die Politik traf sich im März 2019 mit den Verwaltungsleuten Heiko Dobrindt und Philipp Röhnert, Naturschützern und Anwohnern an der alten Eiche in Emscher-Nähe. Zurückblickend empfindet der scheidende Leiter der Stadtplanung es als ein schönes Verfahren, in dem man die Wünsche aus der Bevölkerung aufgenommen habe. © Tobias Weckenbrock (Archiv)

Auch Probleme für private Bauherren prägten seine letzten Jahre. An seinem drittletzten Arbeitstag stapeln sich zwar noch Sammelmappen auf seinem Schreibtisch, die Antrags-Stapel der Sachbearbeiter seien Ende der 10er-, Anfang der 20er-Jahre allerdings viel höher als heute gewesen. Mit der Einstellung neuer Leute wurden phasenweise hohe Rückstände komplett abgebaut.

Vor dem Ausbruch der Pandemie stiegen plötzlich die Holzpreise um ein Vielfaches. Holz braucht jeder Bauherr unter anderem für Dachstühle. „Wir waren insgesamt in Castrop-Rauxel durch unsere großen neuen Wohnbaugebiete noch relativ stabil unterwegs“, analysiert Röhnert heute. „Wir haben auch in diesem Jahr mehr neue Wohnungen genehmigt als in den Jahren zuvor, weil zum Beispiel das Beerenbruchviertel durchgenehmigt werden konnte.“

Personalengpässe sind Vergangenheit

Das größte Problem, das der Bauordnung immer wieder auf die Füße fiel: Personalengpässe. Röhnert sagt das so: „Wir sind heute, was die personelle Funktionsfähigkeit angeht, super aufgestellt.“ Über lange Zeit habe man an verschiedenen Stellen der Bauordnung, Stadtplanung und im Bereich Baulasten abwechselnd Engpässe gehabt, „die die Prozesse stark beeinträchtigt haben“. Bauanträge blieben lange liegen. Bauherren beschwerten sich in Reihe. Nicht nur bei den Sachbearbeitern, bei Röhnert als Bereichsleiter, bei der Stadtbaurätin oder beim Bürgermeister – manche wandten sich auch an unsere Redaktion.

So schlimm wie in Castrop-Rauxel sei es nirgends, meinten Kritiker, und das habe sich in der Branche auch längst herumgesprochen. „Es wurden bis in die 2010er-Jahre hinein die Hälfte der Ingenieure eingespart“, sagt Röhnert. Stichwort Stärkungspakt Stadtfinanzen. „Das hat die Funktionsfähigkeit erheblich eingeschränkt“, gibt der scheidende Chef zu. Doch seit zwei Jahren sei man in einer guten Situation: Stellen wurden ausgeschrieben und erfolgreich besetzt. „Wir haben gute Leute gefunden.“

Philipp Röhnert im Jahr 2012: Als neuer Leiter der Stadtplanung und Bauordnung steht er hier vor dem damals gültigen FNP, den er in einer seinen ersten Amtshandlungen unterzeichnete.
Philipp Röhnert im Jahr 2012: Als neuer Leiter der Stadtplanung und Bauordnung steht er hier vor dem damals gültigen FNP, den er in einer seinen ersten Amtshandlungen unterzeichnete. © Stadt Castrop-Rauxel (2012)

Philipp Röhnert selbst gilt als paragrafen-orientierter Vertreter seines Faches. Nicht ohne Grund ist er seit 2010 Vorsitzender des Arbeitskreises Bauaufsicht beim Städtetag NRW. Darin sind vor allem die Großstädte organisiert. Er erklärt das, was ihm auch persönlich viele vorwerfen, ganz einfach so: „Das Nichtgenehmigen eines Vorhabens ist auch für die Behörde unangenehm und mit viel mehr Arbeit verbunden. Aber es braucht richtige Entscheidungen, das ist wichtig für die Gesellschaft. Eine Bauordnung, die alles durchwinkt, ist nutzlos.“ Die Menschen hätten einen Anspruch darauf, dass das, was gebaut wird, richtig funktioniert. „Darauf muss man sich als Bürger verlassen können. Und dafür müssen wir manchmal für den Bauherren und letztlich auch uns unangenehme Gespräche führen.“

In Deutschland verkauften sich Behörden seiner Ansicht nach oft schlechter, als sie seien. „Eine Bürokratie steht doch dafür, dass jeder Einzelne, der ihn ihr arbeitet, durch einen anderen ersetzbar ist. Es geht also nicht darum, dass jemand in der Behörde einen Antragsteller besonders nett findet und darum hier oder da ein Auge zudrückt, sondern man hat nachvollziehbar faire Abläufe, die für alle gleich sind“, meint Röhnert. Er sagt: „Baurecht muss gleichmäßig und am Recht orientiert sein, damit sich nicht der eine benachteiligt und der andere bevorteilt sieht.“

So könne sich die Gesellschaft darauf verlassen, dass das Haus, in dem man lebt, sicher und ohne besondere Risiken ist, wenn es genehmigt wurde. Dabei sei das Baurecht flexibel und biete genug Spielraum, um für sachliche Besonderheiten individuelle Lösungen für das gesetzliche Sicherheitsniveau zu finden, meint er.

„Darum ist dieses Feld so konfliktträchtig“

Seine Arbeit sei nicht nur Ordnungsrecht, sondern auch Verbraucherschutz. „Das geht leider im Einzelfall unter, weil jeder Einzelfall für den Bauherren eine starke Betroffenheit mit sich bringt, die Allgemeinheit aber nur geringfügig betroffen ist“, erklärt der Amtsleiter, der seit vielen Jahren mit seiner Familie (ein Kind) in Herbern (Ascheberg) lebt. „Wer persönlich betroffen ist, dem ist die Allgemeinheit nicht so wichtig. Darum ist dieses Feld so konfliktträchtig“, so Röhnert. Dadurch wandte sich in den vergangenen Jahren mancher auch schon mal an die Presse. „Das ist okay, denn es ist ja wichtig, dass viele Leute darauf gucken, wie gut eine Verwaltung arbeitet.“

Er in seinem Rathaus-Büro hänge derweil davon ab, wie die übergeordneten Behörden arbeiten. Stichwort Digitalisierung: Es sei sehr hilfreich, dass das Land eine Lösung für alle Städte bereitstelle. Nur warten viele Kommunen schon seit langer Zeit auf das lange angekündigte „Bauportal NRW“, auf dem Bauherren alle Anträge digital stellen können. Das würde Prozesse verschlanken und Papier vermeiden. Aber es gab erhebliche technische Herausforderungen.

Seit einem Jahr und neun Monaten warte Castrop-Rauxel darauf, ans System angeschlossen zu werden. Aber eine Pilotphase mit anderen Musterstädten hätte dazu geführt, dass der gesamte Prozess grundlegend neu aufgesetzt werden musste. Nun würden Städte nach und nach ans System angeschlossen. „Wir helfen uns mit der Übergangslösung, dass wir formlos digital Anträge annehmen“, so Röhnert. Sprich: per E-Mail und als PDF. Oft würden sie heute schon erst ganz am Ende einmal in Papierform gegossen.

Philipp Röhnert (50) nimmt den Erin-Turm als Andenken mit nach Herbern oder in sein neues Büro in Hamm. Die Bereichsleiter-Kollegen schenkten ihm das Modell zum Abschied.
Philipp Röhnert (50), Leiter der Stadtplanung und Bauordnung, verlässt nach zwölf Jahren das Rathaus in Castrop-Rauxel und wechselt zur Stadt Hamm. © Tobias Weckenbrock

Röhnerts Zeit in Castrop-Rauxel war auch großen Vorhaben geprägt: Der EvK Gesundheitscampus zum Beispiel sei reibungslos entstanden. Ähnlich gut sei es beim Beerenbruchviertel gelaufen, weil einfach viel im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens abgestimmt worden sei; ähnlich sei es im Baugebiet Erin Wetterschacht an der Pallasstraße gelaufen.

Sein komplexester Fall sei der Abriss des Kraftwerks Knepper mitsamt Flächensanierung und Neugestaltung mit dem künftigen Segro-Park LogPoint Ruhr gewesen: Das Planverfahren lief mit der Stadt Dortmund zusammen, hatte umfassende Abstimmungen zur Folge, Bürger-Informationsveranstaltungen in digitaler Form wegen Corona. Es habe mit Naturschutz, Verkehr und Anwohnern viele Verknüpfungen quer durch die Bereiche gegeben. „Das war besonders interessant“, so Röhnert.

Auch das Baugebiet „Am Emscherufer“, das jetzt auf einem guten Wege sei, mitsamt dem Kampf vieler Menschen um die Alte Eiche, sei ein „schönes Planverfahren“ gewesen, in dem man die Vorstellungen aus der Bevölkerung aufgenommen und eingearbeitet habe. Dass die Realisierung in die Phase der globalen Krisen gerutscht sei, sei einfach Pech. Aber nun werde es nach und nach bebaut. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Umsetzung da jetzt auch wieder schneller geht“, meint Röhnert. „Ich bin sicher, dass das am Ende eine wirklich gelungene Siedlung wird.“ Laut Bundesnetzplanung würde bis 2037 sogar die 220-kV-Hochspannungsleitung abgebaut, die zurzeit noch diagonal die Fläche überspannt.

„Lieber bei mir den Frust abladen“

Er habe im Rathaus „eine wunderbare Zusammenarbeit mit den Kollegen und Kolleginnen“, findet Röhnert. „Sehr angenehm im Umgang.“ Auch mit den am Bau Beteiligten habe es in der Regel konstruktiven Austausch gegeben. Er sei zwar das ein oder andere Mal am Telefon wüst beschimpft worden, „aber dann sollen die Leute halt lieber bei mir den Frust abladen als bei den Sachbearbeitern aus meinem Team. Ich höre mir das an und versuche das Gespräch dann auf sachliche Lösungen zu lenken“, sagt Philipp Röhnert. „Es geht darum, dem Betroffenen Gehör zu schenken. Viele Dinge sind in Ruhe gut erklärbar, wenn auch nicht immer befriedigend für den Bauherren.“

Die Kollegen dankten es ihm: Auf seinem Schreibtisch, direkt neben dem Aktenstapel, stand am Dienstag ein in Folie verpacktes Modell des Erin-Fördergerüsts Schacht 7. Glänzend und in edler Optik. Er bekam es bei seiner letzten Bereichsleiter-Sitzung, die einmal in der Woche tagte, von Stadtbaurätin Bettina Lenort und den Kolleginnen um Verena Reuter überreicht. „Wenn der Austausch stimmt, kann man auf kurzen Wegen ganz viele Sachen bewegen“, sagt Röhnert.

Das wird er künftig in Hamm. Der Weg zur Arbeit von Herbern aus sei dann nur noch ein Drittel so lang wie nach Castrop-Rauxel. Er freue sich auf die neue Aufgabe. Sein bisheriger Teil-Job als Bereichsleiter der Bauordnung ist seit September ausgeschrieben. Allerdings ist bisher noch kein geeigneter Bewerber gefunden worden. Organisatorisch koppelte man seine Stelle inzwischen von der Stadtplanung ab, die sich künftig noch stärker auch mit Klimaschutz-Fragen, Stichwort kommunale Wärmeplanung, auseinandersetzen wird. Für die Leitung der Stadtplanung wird ebenfalls eine Nachfolge gesucht.

Sie wird sich dann mit Fragen wie Xcape, Fuhrpark-Gelände, Gewerbeflächen-Mangel und Co. auseinandersetzen. Dauer-Baustellen, die Röhnert ganz locker hinter sich lässt. Aktenstapel, die jetzt nicht mehr seine sind.