August Wundrok: Der Weg vom Rutschenbär zur Grubenwehr

© Silja Fröhlich

August Wundrok: Der Weg vom Rutschenbär zur Grubenwehr

rnBergbau

35 Jahre in der Zeche, 17 davon unter Tage, und fünf Jahre bei der Grubenwehr. August Wundrok ist davon vor allem der Grubenbrand 1961 in Viktor 3/4 in Erinnerung geblieben.

Castrop-Rauxel

, 30.11.2018, 11:45 Uhr / Lesedauer: 4 min

August Wundrok ist in Castrop-Rauxel bekannt wie ein bunter Hund. Oder eher wie ein bunter Bär. Denn der 82-Jährige arbeitete lange Zeit als Strebführer auf der Zeche Viktor 3/4. Genannt wurden diese Strebführer auch Rutschenbären. Dabei handelte es sich um den Vorarbeiter an der Schüttelrutsche, einem Abbaufördermittel im Kohlebergbau. Bleche wurden dabei rhythmisch vor- und zurückbewegt, dadurch wurde die Kohle in Richtung Fußstrecke befördert. Doch das war nicht das einzige, was August Wundrok während seiner Zeit unter Tage und an der Zeche tat: Er hatte auch eine andere Berufung, als Mitglied der Grubenwehr für fünf Jahre.

Muskelkraft war wichtig

„Das lief so: Der Grubenchef kam und sagte ‚Du, Grubenwehr!‘ Da wurde man gar nicht gefragt“, erinnert sich August Wundrok. Für die Arbeit als Grubenwehr-Mitglied brauchte es vor allem eines: „Muskelkraft“, so August Wundrok. Menschen und Maschinen mussten schließlich schnell und sicher gerettet werden, und geübt wurde das in mehreren Durchgängen und in der Theorie. „Viele wussten ja auch gar nicht, wie man Gaswerte unter Tage misst, wir mussten also lernen, mit den Messgeräten umzugehen.“

Die Rettungswacht machte zudem (voller Freude) Feuer mit Holz, und die Mitglieder der Grubenwehr mussten lernen, sich durch den Rauch zu kämpfen. „Man tippte sich auf die Schulter zur Kommunikation, viel mehr ging da ja kaum“, so August Wundrok, der in seinem Haus von 1912 lebt. Er hat eigenhändig die Wand zwischen Wohn- und Esszimmer herausgehauen – die Form des Duschschlags: ein trapezförmiger Türstock im Stollen. Das hat er ganz bewusst so gemacht, erzählt der alte Rutschenbär, die Arbeit habe immer Spaß gemacht. Die Erinnerung ist süß, trotz der Einsätze als Mitglied der Grubenwehr, die nicht immer leicht von der Hand gingen. 35 Jahre war der gebürtige Castroper Arbeiter an der Zeche, 17 davon war er unter Tage, und insgesamt fünf Jahre war er Mitglied der Grubenwehr.

Der Grubenbrand auf Viktor 3/4

Ein Einsatz ist ihm dabei besonders im Gedächtnis geblieben, und das ist der Grubenbrand 1961. „Nach dem Grubenbrand auf Viktor 3/4 dachte man bereits, man könne die Grube zu machen, weil sich der Brand ausweitete“, so August Wundrok, der zu der Zeit schon bei der Grubenwehr war. Lose Kohle hatte sich unter Tage entzündet, im Revier 17, auf der 5. Sohle. Diese lag in ca. 860 Meter Tiefe. Die Grubenwehr hätte in diesem Streb die Maschinen zum Kohleabbau ausbauen sollen, als der Brand geschah. „Kohlenstoff in Verbindung mit Luft, da hat die Kohle angefangen zu brennen. Eine Außeneinwirkung gab es da nicht.“

Viele seiner Bilder hat sich August Wundrok im Großformat einlaminiert.

Viele seiner Bilder hat sich August Wundrok im Großformat einlaminiert. © Silja Fröhlich

War so ein Brand erst einmal ausgelöst, gab es keine Möglichkeit, ihn zu stoppen. Schnelles Handeln war gefragt, es durfte keine Zeit verloren gehen. „Zum Glück wurde der Grubenbahn 1961 direkt bemerkt. Das Gas wurde regelmäßig gemessen, mindestens einmal am Tag war die Regel“, erzählt Wundrok. Zunächst hätte man dies mit Lampen getan, indem man einen Salzstift in den Docht gesteckt habe, die Lampe dann hochgehoben habe und am verhalten der Flamme habe man feststellen können, wie hoch die Prozentzahl an Gas im Stollen sei. „Später wurden dann die Messgeräte benutzt, und Problemstellen wurden noch öfter gemessen.“

Kaum war der Brand bemerkt, ging es los. „An vielen stellen lagen Steine, um so schnell wie möglich den Streb zuzumauern. Dadurch wurde das Feuer eingedämmt“, erzählt August Wundrok. Schnüffelrohre mit Ventilen wurden mit eingebaut, um Messsonden hindurch schieben zu können. Das sei wichtig gewesen, um später schauen zu können, ob es noch immer brannte, so Wundrok. „Die Luftzufuhr in den Schacht wurde so abgeschnürt, die Mauer wurde gut verprasst. Da kam nichts mehr durch, und das alles ging ruck-zuck, das hat nicht mal eine Stunde gedauert“, sagt August Wundrok. „So schnell konnte man gar nicht gucken, da stand die Mauer schon. Aber wir haben ja auch alles gelernt als Berglehrlinge.“

Ein Brand mit verheerenden Folgen

Er und die Grubenwehr versorgten die Leute „an der Front“, so bezeichnet es August Wundrok. „Wir haben das Material zum Brandort transportiert. Das waren zum einen Sauerstoffflaschen und Alkali-Patronen, die die verbrauchte Luft auffrischten und den Kohlenstoff gebunden haben. Und dazu natürlich jede Menge zu Trinken und Essen und was an sonstigem Material gebraucht wurde.“ Diese Sauerstoffpatronen waren überlebensnotwendig bei einem Brand, da sonst die Gefahr zu ersticken sehr hoch war.

August Wundrok erinnert sich: „Ein Kumpel starb damals. Er hatte den Kohlenstoff eingeatmet und erstickte daran.“ Man erzählte später, er habe am Blindschacht das Telefon benutzt, um den Lageplan durchzugeben, als der Brand geschah. „Da soll er das Mundstück rausgenommen haben, das uns vor dem Gas schützte.“ Danach wurden die Vollmasken eingeführt, die weitaus sicherer waren.

Zwei Monate hat es gebrannt

Wie lang das Stück im Stollen war, das brannte, konnte im Nachhinein niemand mehr sagen. „Als die Mauer dicht war, wurde sie nicht mehr geöffnet, da ist keiner mehr rein gegangen.“ Zwei Monate habe es im drei bis vier Meter breiten Stollen gebrannt, direkt nachdem die Mauer im brennenden Stollen hochgezogen war, wurden die Kumpel der vier betroffeneren Reviere nach Ickern 1/2 verlegt. Auch die anderen Zechen standen still, als der Brand ausbrach, da die Stollen unter Tage alle miteinander verbunden waren. „Das war aus Sicherheit, wenn in einer Straße ein Haus brennt, werden schließlich auch erstmal alle in der Straße evakuiert“, sagt Wundrok.

Alles im Stollen ging dabei verloren, auch die Maschinen, die darin standen. Erst nach drei Monaten konnten die Kumpel zurück, so Wundrok. Es musste gewartet werden, bis das Gas, das durch schleichende Wetter durch die Stollen zog, weg waren. Und das erfuhr man durch die Sonden, die durch die in der Mauer eingebauten Ventile schieben konnte.

Brötchen anstatt Grubeneinsatz

August Wundrok erlebte noch andere Einsätze, mehrere kleine Brände, unter anderem während einer Schicht mit seinem jüngeren Bruder Fritz. „Einmal waren wir an einem Samstag am Kohlehobeln, das Soll war nämlich noch nicht erfüllt für die Woche“, erzählt Wundrok, der sich als 18-Jähriger freiwillig zum Kohlehauer meldete, um nicht „Nachtschicht“ fahren zu müssen. „Da war ich mit meinem Bruder Fritzchen unter Tage und roch es schon, da schmorte eine Maschine durch. Die Kohle brannte bereits, aber es ging alles glimpflich aus.“

August Wundrok (mittlere Reihe, erster von rechts) mit seinen Mitkumpeln nach seiner Zeit in der Bergschule.

August Wundrok (mittlere Reihe, erster von rechts) mit seinen Mitkumpeln nach seiner Zeit in der Bergschule. © Silja Fröhlich

Trotz der Gefahr, die der Bergbau immer mit sich brachte, erinnert sich August Wundrok gerne an die Zeit zurück. „Wir haben alles gelernt dort, fürs Leben. Und bei der Grubenwehr standen wir immer bereit. Ich habe das Rufgerät sogar mit ins Freibad genommen, und wenn es piepste, hieß es anziehen und ab zur Zeche. Und zwar so schnell wie möglich.“

Das konnte manchmal auch um 2 Uhr nachts sein. Und selbst wenn es nur ein Probealarm war, „dann kamen wir da an und es hieß: Probe! Aber es stand immer ein Tisch mit geschmierten Brötchen bereit. Das war eine Sache“, kann August Wundrok nur schmunzelnd darüber sagen, während er das Bilderbuch mit rotem Umschlag anschaut, in dem ein altes Foto von ihm unter Tage zu sehen ist. An viele seiner Kameraden erinnert er sich, und ab und zu kommt er noch vor, dass er einen von ihnen trifft. Und sei es auch nicht unter Tage, wenn es brennt, sondern nur auf dem Parkplatz vom Rewe.