Beim Thema Schönheit ist die Meinung so gut wie einhellig. Bei der Frage nach Kosten und Nutzen gehen die Einschätzungen weit auseinander. Und beim Thema Breite? Oder genauer: Ist der „Sprung über die Emscher“, die neue Mega-Brücke am Wasserkreuz von Rhein-Herne-Kanal und Emscher in Castrop-Rauxel, zu schmal konstruiert? Haben die Architekten Dirk Krolikowski und Falko Schmitt die 411,5 Meter lange Fahrbahn zu klein geplant?
„Auf 2,50 Meter Breite ist Platz genug zum Spazierengehen und Radfahren“, schreibt die Finanzverwaltung NRW auf bundesbau.nrw.de. Das ist die eine Meinung. Die andere lautet: „Die Brücke ist viel zu schmal, das haben die ersten Tage eindrucksvoll gezeigt.“ Und Leser Dieter Böhm, der uns einen langen Brief schickte, meint: „Ein Bauwerk, das gleichermaßen für Fußgänger und Radfahrer zugänglich ist, entpuppt sich für uns als eine Fahrradpiste, auf der sich in erster Linie rücksichtslose E-Biker in der Altersklasse 60+ tummeln und die Fußgänger zum ‚Sprung über die Emscher‘ zwingen.“

Ob sich Radfahrer richtig verhalten, hin oder her. Die Frage bleibt im Raum: Warum wurde die Brücke nicht breiter geplant, wenn man dort Radfahrer und Fußgänger in einem Schwung und ohne Fahrbahn-Trennung herüberleiten möchte? „Als ADFC haben wir schon nach Bekanntgabe des Gewinners der Ausschreibung zum Brückenbau darauf hingewiesen, dass diese Breite für eine kombinierte Fußgänger- und Radfahrerbrücke zu eng sei“, sagt der damalige Sprecher der Ortsgruppe, Martin Kühl-Lukas, gegenüber unserer Redaktion.
2018 war das. Da war noch nichts gebaut, aber alles schon durchgeplant. Neuplanungen, hieß es damals, würden 2 Millionen Euro extra kosten. Aber die Finanzierung mit einem 8-Millionen-Etat sei mit dem Bund als Fördergeld-Geber abgestimmt. „Die Kosten für die Brücke seien ‚auf Kante genäht‘, deshalb sei eine Änderung nicht mehr möglich“, habe man Kühl-Lukas damals geantwortet. Aber er sagt heute: „Unsere Befürchtung damals: Es wird zu eng, wenn Radfahrer und Fußgänger sich auf der Brücke begegnen. Leider scheint sich nun diese Befürchtung zu bestätigen.“ Auch ein Antrag der CDU im Stadtrat aus dem Jahr 2021, die einen „eklatanten planerischen Mangel“ beanstandete, wurde verwiesen.

Von uns angefragt, bleibt der ADFC heute bei seiner Haltung und schließt sich so denen an, die sich in den ersten Tagen in den Trubel vor Ort begaben, um die neue Brücke zu erkunden, die am 30. September freigegeben wurde.
Leser Dieter Böhm, der uns die bissige Kritik schrieb und sich selbst zur Altersgruppe 60+ zählt, berichtet von einer Begebenheit: Er habe schnell fahrende Pedelec-Fahrer am „Sprung“ auf ihre Rücksichtslosigkeit angesprochen. Antworten: „… wenn ich jetzt auch noch mein E-Bike schieben würde, würde ich noch mehr Platz auf der Brücke in Anspruch nehmen…“ und „… ich kann das Rad nicht einfach schieben, wissen Sie eigentlich, wie schwer das ist?“ und „…ich kann nicht so einfach bremsen…“

Schaue man sich die E-Biker mal an, meint er, gewinne man schnell den Eindruck, dass es Menschen sind, die „vorher nie mit einem Fahrrad unterwegs waren und nun mit der Technik und der Einstellung der Geschwindigkeit hoffnungslos überfordert sind“. Es gebe oft nur ein Motto: „Nach vorne, und das schnell! Bremsen, so hat man das Gefühl, werden nicht gebraucht, weil meistens abgesprungen wird.“
Immerhin führen sie hochwertige Bikes, hätten Funktionskleidung und Zubehör voll aufeinander abgestimmt. Auch zusätzliche Reflektoren seien farblich auf Helm und Kleidung abgestimmt. „Mein Schluss daraus: Wenn man schon nicht mit dem Gerät umgehen kann, muss man wenigstens gut aussehen und gesehen werden.“
Und dann gebe es noch die mit dem Rennrad, Stöpsel in den Ohren, alles in Grund und Boden rasend. Dieter Böhms Fazit: „Rücksicht auf die Fußgänger Fehlanzeige.“
Martin Kühl-Lukas vom ADFC meint: „Leider gibt es die in der Mail beschriebenen Kampfradler, so wie es auch unter Autofahrern und Fußgängern sehr intolerante, egoistische Menschen gibt. Ein Zeichen unserer Zeit?“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 13. Oktober 2024.
Die neue PottCAS-Folge #106 ist da: Hype um neue Brücke und die Sorge um die eigene Wohnung