„Ich bin auf diesen Menschen unglaublich stolz und liebe sie“ Trauer um Angelika Harms (†72)

Eine Kämpferin für Benachteiligte: Angelika Harms (†72) ist gestorben
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Auf einem unbequemen Sessel in einem Wohnzimmer – das ihm Tags zuvor noch fremd gewesen war – wachte Thomas Frauendienst eines Morgens im Jahr 2003 auf. Von den zarten Worten „wie haben Sie geschlafen“ wurde er geweckt. Ob sich der damals in Solingen wohnende Mann sein erstes Date mit seiner zukünftigen Lebensgefährtin so vorgestellt hat? „Es war ein toller Tag“, blickt Thomas Frauendienst heute zurück, hält die Tränen in seinen Augen zurück. „Am Bahnhof haben wir uns später zum Abschied das erste Mal geküsst.“ Fortan kämpften sie gemeinsam. Füreinander, für Andere, gegen Ungerechtigkeit. Seit dem 28. September muss Thomas Frauendienst wieder alleine kämpfen, „Frau Harms“, wie er seine Angelika manchmal liebevoll nannte, ist im Alter von 72 Jahren verstorben.

In der Dortmunder Discothek „Laufsteg“ lernten sich die vierfache Mutter und der 13 Jahre jüngere Thomas Frauendienst im Jahr 2003 kennen. Sie tanzten gemeinsam, sahen sich dort öfter und teilten schließlich einen Bierdeckel mit ihren jeweiligen Nummern darauf und steckten die Stücke ein. Trotz der vorherigen Begegnungen war Thomas Frauendienst sehr aufgeregt, als er sich dann zum ersten Treffen zu zweit in den Zug nach Castrop-Rauxel setzte.

„Ich war 13 Jahre jünger, sie war 52 und ich 39.Und ich sah auch noch viel jünger aus“, sagt ihr langjähriger Begleiter. Daran musste sich wohl auch die gebürtige Ickernerin gewöhnen, war anfangs anscheinend sehr skeptisch. „Na ja, Kaffeetrinken können wir ja gehen“, habe sie dann gesagt. Ein Satz, den das Paar anschließend bis zuletzt immer wieder aus Spaß zueinander zu sagen pflegte. Sie waren am Kanal, Tanzen in Habinghorst und schließlich dann im Haus von Angelika Harms an der Borghagener Straße. Das Siezen haben sie derweil am ersten Abend sowie am Tag danach nicht abgelegt. „Das kam später“, sagt Thomas Frauendienst.

Für ihn hat sie ihr Haus verloren

Im Herbst drückte die Castrop-Rauxelerin Thomas Frauendienst die Schlüssel für ihr Haus in die Hand, in dem das Paar bis 2006 gelebt hat. „Ich wog damals 200 Kilo, musste in eine Klinik nach Hannover und Frau Harms ist mit mir dort geblieben“, erzählt Thomas Frauendienst, „aber das hat Geld gekostet und sie konnte daher die Rate für das Haus nicht zahlen. Das hat sie mir verschwiegen.“ Aus Liebe zu ihrem Thomas ist sie dort geblieben. „Ich wäre alleine nicht zurechtgekommen“, sagt er.

Herz zeigen für die Lange Straße. Das Projekt, das Angelika Harms (mi.) mit Thomas Frauendienst (re.) nach den Negativ-Schlagzeilen im Zuge des Anti-Terror-Einsatzes Anfang 2023 angestoßen hat, findet großen Anklang. Einer ihrer letzten Wünsche war es, dass der geplante Foto-Kalender Ende 2023 auf jeden Fall erscheinen soll.
Herz zeigen für die Lange Straße. Das Projekt, das Angelika Harms (mi.) mit Thomas Frauendienst (re.) nach den Negativ-Schlagzeilen im Zuge des Anti-Terror-Einsatzes Anfang 2023 angestoßen hat, findet großen Anklang. Einer ihrer letzten Wünsche war es, dass der geplante Foto-Kalender Ende 2023 auf jeden Fall erscheinen soll. © Tim Türke

In Habinghorst startete das Paar dann aber einen echten Neuanfang. Dort ging Angelika Harms in zahlreichen Projekten regelrecht auf. Sie war gerne zurückhaltend und eher im Hintergrund aktiv, passte daher perfekt zu dem euphorischen, impulsiven Frauendienst. Sie setzten sich für den Stadtteil mit der ehemals so florierenden Einkaufsstraße ein, dessen Image über die Jahre stark gelitten hatte. Sie waren im politischen Beirat, leisteten Hilfe im Alltag, luden an Heiligabend Alleinstehende ins Haus der Begegnung ein, um mit ihren zu feiern. „Bingo mit Herz, das war ihr Lieblingsprojekt“, erinnert sich Thomas Frauendienst nur allzu gerne zurück.

Der Kampf für Benachteiligte

„Thomas, hier leben doch keine Unmenschen, hier leben doch Menschen“, habe Angelika Harms ihren Einsatz immer begründet. Gemeinsam trat das Paar im Jahr 2009 in die SPD ein, Harms vertrat sogar im Landesgremium „Selbst aktiv für Inklusion“ der Sozialdemokraten die Interessen von Menschen mit Behinderung.

Sie selbst hatte einen Grad der Behinderung (GDB) von 60. „Nachdem sie im Jahr 2012 eine künstliche Hüfte bekommen hatte, wurde sie nicht mehr glücklich“, sagt Thomas Frauendienst, die gesundheitlichen Probleme nahmen daraufhin zu. Es sollte auch eine Operation an ihrer Hüfte sein, nach der sie im Jahr 2023 das Krankenhaus nicht mehr verlassen sollte. Nach einer wochenlangen Leidenszeit verstarb Angelika Harms.

Thomas Frauendienst und Angelika Harms gingen 20 Jahre Hand in Hand. Gemeinsam realisierten sie zahlreiche Projekte.
Thomas Frauendienst und Angelika Harms gingen 20 Jahre Hand in Hand. Gemeinsam realisierten sie zahlreiche Projekte. © Sandra Heick

„Wir waren acht Tage vor der OP noch gemeinsam in Hamburg“, sagt Thomas Frauendienst. Sie habe nicht viel von der Welt gesehen, habe die im Jahr 1953 in Ickern-End geborene Harms in ihrer Kennenlernphase zu Frauendienst gesagt. Also zeigte er ihr die Welt. Ihre erste Reise ging nach Paris, um 5 Uhr morgens saß das Paar dafür im Bus. „Aber als sie das erste Mal den Eiffelturm glitzern gesehen hat, war sie hin und weg“, sagt Thomas Frauendienst ergriffen.

In ihrer Heimat war ihre Leidenschaft derweil der Cäcilienchor St. Antonius Ickern. „Selbst im Krankenbett hat sie bis zuletzt noch Stücke für die Weihnachtseinführung einstudiert“, sagt Thomas Frauendienst. Dass das Steigerlied ihr absolutes Lieblingslied war, kam nicht von ungefähr: Als Tochter eines Bergmanns – ihr Vater war Steiger auf Zeche Victor 3/4 in Ickern – heiratete sie mit Reinhold Harms ebenfalls einen Bergmann, der 1999 verstarb. „Auf ihn hat sie nichts kommen lassen, er war ein sehr guter Mann, hat sie immer gesagt“, erklärt Frauendienst. Die geborene Angelika Gross besuchte die Volksschule in Ickern, wollte eigentlich Krankenschwester werden und entschied sich dann aber für eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau. „Und auch mit vier Kindern, zwei davon mit Behinderungen, hat sie immer gearbeitet“, sagt Thomas Frauendienst.

Frauendiensts letzte Liebeserklärung

Es fällt dem anerkannten Missbrauchsopfer leicht, die schönen Anekdoten aus 20 gemeinsamen Jahren zu erzählen, manchmal wirkt es, als wäre sie nur für den Moment nicht mehr bei ihm. Doch sobald Thomas Frauendienst Einblick in seine Gefühlswelt gibt, wird auch dem 59-Jährigen der Verlust wieder bewusst: „Ich bin auf Frau Harms unglaublich stolz, ich werde sie unendlich lieben und in meinem Herzen tragen und sie nie vergessen.“ Sie sei sein „purer Lebensinhalt“, seine Lebensstütze gewesen.

Am Freitag, 3. November, wird Angelika Harms auf dem Waldfriedhof in Bladenhorst beigesetzt. Die Trauerfeier beginnt um 12 Uhr. Dann muss Thomas Frauendienst Abschied nehmen von seiner geliebten Angelika. Bei diesen unzähligen schönen Erinnerungen wird sie aber nie vergessen, da ist sich der sonst so lebensfrohe Castrop-Rauxeler sicher. Für sie will er weitermachen, weiterkämpfen und für mehr Gerechtigkeit sorgen.

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