Eine Überraschung? Hilferufe gab es genug Warum Bäckerei Vieting nicht mehr marktfähig war

Überraschung? Hilferufe gab es genug! Warum Vieting nicht mehr marktfähig war
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Überraschung? Hilferufe gab es genug! Warum Vieting nicht mehr marktfähig war

Wie konnte er nur? Die armen Mitarbeiter! Das Echo ist groß auf die Blitz-Schließung, die die Backstube Vieting nun ereilt: Mittwoch (25.1.) entschied der Chef, Donnerstag informierte er die Mitarbeiter, Freitag wurde es öffentlich bekannt, Samstag ist der Verkauf zum letzten Mal geöffnet. Seither gibt es eine Debatte.

Die Leute sind traurig, zum Teil bestürzt, getroffen wie vom Blitz. Die Angestellten ohnehin, aber auch Kunden, die hier gern einkauften. Die die Micke oder das Käsebrötchen zu den besten Backwaren der Stadt erkoren, das Handwerk schätzen, das man hier herausschmecke.

Vieting ist beliebt: Das ergab unser Brötchen-Check vor Jahren, das ergibt der Blick auf die Bewertungen im Internet, die fast alle sehr gut sind. Das ergibt auch eine Umfrage vor dem Lokal, die wir am Freitag machten.

Aber Beliebtheit sichert noch keinen Geschäftserfolg. Und den braucht es, um zu bestehen. Lob und Anerkennung sind wichtig fürs Ego und die immer wieder notwendige Motivation, sichern aber am Ende nicht den Lebensunterhalt.

Das Engagement bei Vieting ist unbestritten: Mitja Wolf (33), ungewöhnlich jung für die Aufgabe, ein kleines Traditionsunternehmen durch die Krise zu führen, hat sich aufgeopfert für den Job. Der Bäckermeister ging voran. Aber das schützt ihn nicht vor dem Dilemma, das sich gerade den Bäckereien seit 2022 offenbart.

Das Problem, einfach erklärt, schwer gelöst: Der Kunde will gute Qualität zu einem bezahlbaren Preis. Wird es zu teuer, wendet er sich den Wettbewerbern zu. Das sind nicht (nur) die anderen Handwerksbäcker, die die gleichen Sorgen haben, sondern vor allem die Industriellen oder die großen Player wie Supermärkte und Discounter.

Ist einem das Handwerks-Weizenbrötchen 45 oder gar 60 Cent wert oder kauft man dann lieber drei für denselben Preis bei Aldi, Lidl, Netto? Oder bei Penny? Beim Discounter der Rewe-Group ist man stolz darauf, dass ein mutiger Marktleiter Ende der 90er-Jahre das Prinzip „Backtheke mit Ofen“ erfand. Es war der Anfang vom Ende des Handwerks.

Was nimmt man für ein Brötchen?

Der Handwerksbäcker muss die Frage beantworten: Nimmt er fürs Brötchen das, was er nehmen müsste, um kostendeckend zu arbeiten? Oder nimmt er das, was er dem Kunden noch abverlangen kann, ohne ihn zu verlieren? Die Einkaufspreise explodierten 2022 durch den Krieg in der Kornkammer Europas, der Ukraine.

Jeder Bäcker ist auch Mensch, kauft selbst Lebensmittel und weiß, was die Inflation gerade macht: Das Portemonnaie vieler Kunden ist leer. Oder wissenschaftlicher formuliert: Das „Preisbewusstsein hat zugenommen“. Kauf ich halt woanders...

Die Aktion „Licht aus“ war ein Hilferuf Ende August. Mitja Wolf machte mit und erklärte seine Lage als einer von drei Handwerks-Bäckern. Die „Alarmstufe Brot“ rief der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks im November aus: „Bei vielen Bäckern droht das Licht auszugehen“, hieß es. Nun ist es passiert.

Kauf ich halt woanders: Das ließe sich auch jetzt nach der Schließung einfach sagen. Kortmann, Auffenberg, Edeka, Aldi: An der Ickerner Straße ist das Angebot groß. Aber dass Vieting schließt, ist mehr als eine „Marktbereinigung“. Es ist ein Warnschuss, der zum Volltreffer wird. Ins Herz der Ickerner. Ins Mark unserer Gesellschaft. Haben wir uns genug bemüht? Gab es genug Hilfen?

Tendenz: Der Markt regelt das

Am Ende ist es wie mit der Munitionsproduktion oder Atemschutzmasken bei Corona oder Kinder-Fiebersäften oder, oder, oder: Deutschland hat in der globalisierten Welt aufgegeben, vieles herzustellen, weil andere es billiger und besser konnten oder man dachte, man braucht es nicht. Der Markt regelt das.

Es kommt die Zeit, da wird man das Bäcker-Handwerk vermissen. Es ist nicht weniger als die Produktion von Grundnahrungsmitteln.

Für die Beschäftigten ist die Lage in diesen Tagen sehr schmerzhaft. Vielleicht ist heute die einzig gute Nachricht, dass sie ziemlich sicher anderswo Beschäftigung finden. Gute Fachkräfte werden händeringend gesucht.

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