Für Sascha Weskamp aus Ickern war es eine Amazon-Bestellung wie jede andere auch. „Ich bin seit 15 Jahren treuer Amazon-Kunde. Bisher gab es nie Probleme“, sagt der 52-Jährige. Im Gegenteil: Einmal durfte er sogar einen Artikel behalten, den er zurückschicken wollte, da er beim Versand beschädigt wurde - das Geld bekam er trotzdem zurück. Doch dieses Mal war es anders.
Weskamp bestellte am 11. Oktober einen Akkustaubsauger für rund 43 Euro, der noch am nächsten Tag ankam. Nachdem seine Frau Myriam Weskamp den Staubsauger getestet hatte, entschied sich das Paar dazu, das Gerät aufgrund mangelnder Leistung umzutauschen. Zunächst verlief die Retoure problemlos. Wie bei Amazon üblich, füllten sie ein kurzes Retoure-Formular per App aus und gaben das verpackte Gerät am 16. Oktober in einem Paketshop ab. Dies zeigt auch ein entsprechender Einlieferungsbeleg.
Aus der Sendungsverfolgung über die DHL-App geht hervor, dass die Retoure noch am selben Tag von DHL bearbeitet wurde. Am selben Tag erhält Weskamp eine volle Rückerstattung. Zwei Tage später, am 18. Oktober, kann er über die App nachvollziehen, dass das Paket in der Region des Empfängers, in diesem Fall in Polen, angekommen war und schließlich dem Geschäftskunden ab Paketzentrum zugestellt wurde. „Für mich war die Sache dann erledigt“, merkt der 52-Jährige an.
Dubioser Drittanbieter in San Francisco
Doch dann der Schock: Knapp einen Monat später, am 20. November, erhält Weskamp eine Nachricht von Amazon, mit der Erinnerung an die Rücksendung der Retoure. „Wir möchten Sie daran erinnern, den folgenden Artikel zurückzusenden“, sagt Amazon darin, „Ihre Rückerstattung wurde zwar bereits im Voraus ausgestellt, aber wir erwarten dennoch eine Rücksendung.“ Weiterhin droht das Unternehmen damit, das Bankkonto des 52-Jährigen erneut zu belasten, sollte bis zum 30. November keine Rücksendung erfolgt sein.
Kurze Zeit später trifft eine weitere Nachricht von Amazon ein, in der der Castrop-Rauxeler dazu aufgefordert wird, sich mit einer Kopie seines Personalausweises zu verifizieren. Darin heißt es: „Da Ihr Konto nur begrenzte Angaben zu Ihrer Identität enthält, möchten wir Sie im Rahmen unserer Maßnahmen zur Vorbeugung und Erkennung von Betrug und Missbrauch bitten, eine Identitätsprüfung zu absolvieren, bevor wir Ihren Antrag auf Erstattung oder Ersatzlieferung berücksichtigen können.“ Zu diesem Zweck wird Weskamp dazu aufgefordert, ein Foto oder eine Kopie eines gültigen Ausweisdokuments bei einem Drittanbieter namens „Persona Identities, Inc.“, mit Sitz in San Francisco in den USA, einzureichen. Laut Amazon ist dies „ein unabhängiges Unternehmen, das uns bei der Überprüfung Ihrer Identität unterstützt“. Weskamp empört sich: „Amazon hat bereits meine Handynummer, meine Mailadresse, meine Kreditkartennummer und meine Bankverbindung. Was möchte das Unternehmen denn noch alles von mir?“
Musste in 15 Jahren nie seine Identität bestätigen
Amazon weist ausdrücklich darauf hin, dass auf der Ausweiskopie ein Name, eine Ausweisnummer, ein Geburtsdatum sowie das Gültigkeits- beziehungsweise Ablaufdatum zu sehen sein sollen. An keiner einzigen Stelle wird erwähnt, dass irgendwelche Daten geschwärzt werden dürfen. Weiterhin würde Weskamp mit der Einreichung des Dokuments einer Verarbeitung der enthaltenen personenbezogenen Daten durch „Persona Identities, Inc.“ zustimmen. Zusätzliche Informationen zur Verarbeitung der Daten erhalte Weskamp auf einer Website, die in englischer Sprache verfasst ist. „Wenn das jetzt jemand Älterem passiert, der gar kein Englisch in der Schule hatte, der steht dann erstmal da“, sagt Weskamp. „Persona Identities Inc.“ werde nach entsprechender Identitäsprüfung ein Ergebnis an Amazon übermitteln und anschließend die Daten wieder löschen. Falls Weskamp die Retoure nicht zurücksende, stehe ihm nur eine Erstattung zu, wenn er seine Identität bestätigt. „Aber wer garantiert mir denn, dass meine Daten anschließend wirklich gelöscht und nicht an irgendwelche andere Firmen verkauft werden?“, fragt Weskamp.
Eine weitere Unstimmigkeit: Amazon teilt am Ende der Nachricht mit, dass es keinerlei Auswirkungen auf die Nutzung von Weskamps Amazon-Konto habe, wenn er seine Identität nicht verifiziere. „Ich musste in 15 Jahren nie meine Identität per Ausweis bestätigen, selbst nicht, als ich Alkohol bestellt habe“, merkt der Castrop-Rauxeler an. Unterzeichnet ist die Nachricht mit „Kontospezialist“, eine persönliche Anrede sucht man vergeblich.

Kein Erfolg beim Kundenservice
„Ich habe mich gefühlt, als würde man mir eine Pistole an den Kopf halten“, gibt Weskamp an, „Zunächst dachte ich, es handelt sich um eine Spam-Mail. Der Sitz dieses Drittanbieters ist in San Francisco. Auf einem Personalausweis befinden sich sehr sensible Daten, die in den falschen Händen für alles Mögliche genutzt werden können.“ Als der 52-Jährige sich einen Tag später direkt an den Kundenservice von Amazon wendet, bestätigt ein Mitarbeiter zunächst seine Angaben. Nach einer kurzen Recherche gerät dieser jedoch ins Stutzen und teilt dem Castrop-Rauxeler mit, dass er ihn an eine andere Abteilung weiterleiten werde. Hier wird Weskamp erneut auf die Verifizierung per Ausweiskopie hingewiesen. „Nachdem ich dies verneint hatte, bekam ich noch während des Telefonats die nächste E-Mail: Wieder eine Aufforderung zur Verifizierung“, empört sich Weskamp „Da reichte es mir! Ich habe mich an den Verbraucherschutz gewendet.“

Verbraucherschutz eingeschaltet
In der Verbraucherzentrale in Castrop-Rauxel erhält Weskamp kurzfristig einen Termin und auch da sorgt der Fall für Alarmbereitschaft. Als der 52-Jährige schließlich am 5. Dezember von Amazon benachrichtigt wird, dass sein Bankkonto wirklich erneut belastet wurde, verfasst die zuständige Mitarbeiterin vom Verbraucherschutz am 10. Dezember ein Schreiben an Amazon. Hierin heißt es: „Uns ist nicht klar, warum eine solche Prüfung der Identität notwendig sein soll (...) Wir sehen keine Rechtsgrundlage für die Neubelastung des Kaufpreises und für die Übermittlung personenbezogener Daten an Dritte.“ Weiterhin teilt die Verbraucherzentrale dem Unternehmen mit: „Der Verbraucher wird hier mit der unrechtmäßigen Neubelastung seines Kundenkontos unter Druck gesetzt, seine Daten rechtsgrundlos an Dritte zu übermitteln. Dieses Vorgehen halten wir für missbräuchlich.“
Noch am selben Tag erhält Weskamp eine weitere Nachricht von Amazon, dieses Mal von der Abteilung „Executive Customer Relations“. Plötzlich behauptet das Unternehmen, dass es anstelle des Akkustaubsaugers einen davon abweichenden Artikel erhalten habe, der jedoch zwischenzeitlich entsorgt worden sei. Amazon bittet erneut darum, den „richtigen Artikel“ so schnell wie möglich zu versenden, ansonsten wäre keine Rückerstattung möglich. Auf die zuvor gestellten datenschutzrechtlichen Fragen wird keinerlei Bezug genommen. „Amazon sagt von sich selber, dass es das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt sein will. Aber das, was hier versucht wird, gehört für mich nicht zu Kundenfreundlichkeit“, merkt der Castrop-Rauxeler an. Auf Nachfrage der Verbraucherzentrale versichert Amazon, dass eine Recherche und Bearbeitung des Falls eingeleitet worden sei und Herr Weskamp persönlich kontaktiert werde, sobald Ergebnisse vorliegen.

Erpressung sensibler Daten?
Parallel beauftragt Weskamp eine Anwältin durch seine Rechtsschutzversicherung, sich der Sache anzunehmen. Auch von dieser Seite aus wird am 14. Dezember ein Schreiben an Amazon versendet, welches bislang unbeantwortet blieb. Zudem hat die zuständige Mitarbeiterin der Verbraucherzentrale in Castrop-Rauxel die Angelegenheit an einen Datenschutzbeauftragten weitergeleitet, der nun die Rechtsmäßigkeit prüft.
„Mir geht es bei dem Ganzen nicht um das Geld. Es geht darum, dass Amazon versucht, höchst sensible Daten zu erpressen“, betont Weskamp, „Auch wenn Amazon ein riesiges Weltunternehmen ist und die Datenschutzbestimmungen in Amerika oder anderen Ländern vielleicht anders sind, gelten beim Verkauf in Deutschland deutsche Rechte.“ Wenn Amazon weiterhin keine Lösung anbietet, wäre er auch zu einem Rechtsstreit bereit.