Alyssa Brauckmann (29) rettet Leben in Castrop-Rauxel „Man muss Menschen mögen“

Alyssa Brauckmann ist Notfallsanitäterin: „Das ist hier ein tolles Team“
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Alyssa Brauckmann ging es nach der Schule wie vielen. Sie wusste nicht so wirklich, wohin mit sich, am Ende schwankt sie zwischen Kauffrau und Arzthelferin. „Daran sieht man ja schon, dass ich nicht wirklich eine Richtung hatte, in die ich wollte.“ Sie wird Arzthelferin und arbeitet in einer Augenklinik in Hagen. „Da hatte ich dann immer wieder mit der Notaufnahme zu tun“, erzählt sie. Die Arbeit der Kollegen dort fasziniert sie. „Ich war mir aber damals aber noch nicht sicher, ob das was für mich sein könnte“, erinnert sich Alyssa Brauckmann.

Sie entschließt sich, die dreimonatige Ausbildung zur Rettungssanitäterin zu machen. Ziemlich schnell ist Alyssa Brauckmann klar, das ist ihr Ding: „Mir hat es total Spaß gemacht, ich habe mich da voll reingekniet.“ Nach der ersten kleinen Ausbildung zur Rettungssanitäterin will sie jetzt die Notfallsanitäterin machen: „Allerdings nicht in Hagen. Ich wollte keinen Einsatz fahren und dann kenne ich jemanden, deswegen habe ich mich im Ruhrgebiet umgeschaut.“ So landet sie in Castrop-Rauxel und startet 2017 ihre Ausbildung.

Eine Tasche mit mehreren kleinen Untertaschen auf denen groß steht „Medikamente“, „Verband“ oder „Diagnostik“.
Im Notfallrucksack ist alles groß beschriftet und nach Farben sortiert. Im Ernstfall kann sich Alyssa Brauckmann darauf verlassen, dass sie alles schnell findet. © Nora Varga

Bis heute hat Alyssa Brauckmann ihre Entscheidung nicht bereut: „Das ist ein Job, der einem total viel zurückgibt.“ Klar sei es auch anstrengend. In einer Woche hat sie meist zwei Schichten, die 24-Stunden gehen: „Wenn man dann am Ende morgens mit den Kollegen wieder zurück auf die Wache kommt und weiß, dass man für die Menschen in der Stadt da gewesen ist, dann ist das ein tolles Gefühl.“

Kein Dienst ist wie der andere: „Es gibt Schichten, da hat man sieben Einsätze und es ist nichts Ernstes dabei und dann gibt es Tage, da fährt man von einem Einsatz zum anderen und kommt kaum zu Atem.“ Und auch wenn es natürlich immer wieder ähnliche Einsätze gibt, keiner ist wie der andere: „Wenn man an einem Tag drei Herzinfarkte hat, sind die immer unterschiedlich, genau wie die Menschen.“

Alyssa Brauckmann steht an einem Regal und such Beatmungsmaterialien heraus.
Alyssa Brauckmann kann nicht nur im Rettungswagen arbeiten, sie ist auch Feuerwehrfrau. Ein Vorteil, denn im Notfall weiß sie genau, was ihre Kolleginnen und Kollegen vom Rettungsdienst oder der Feuerwehr brauchen und wie man optimal zusammenarbeiten kann. © Nora Varga

Manchmal darf sie in ihrem Alltag auch Zeugin von ganz besonderen Momenten sein: „Wenn man zum Beispiel eine Geburt hier hat, dann ist das schon ein besonderes Gefühl. Im besten Fall hat man am Ende zwei gesunde Patienten und einen Vater, der völlig aufgelöst daneben steht.“

Als Notfallsanitäterin müsse man aber auch lernen, mit schweren Verletzungen, sterben Menschen oder Tragödien umzugehen. „Es hilft dem Patienten ja auch nicht, wenn ich dann völlig emphatisch und geschockt neben ihm stehe, derjenige braucht mich in dem Moment als funktionierende Hilfe.“ Jeder Notfallsanitäter hat Fälle erlebt, die man gedanklich mit nach Hause nimmt und eben nicht auf der Arbeit lassen kann.

Allein sei man mit diesen Gedanken aber nie, erzählt Alyssa Brauckmann: „Wir haben hier Kollegen mit einer Zusatzausbildung und an die man sich dann wenden kann, man spricht dann natürlich über so was.“ Besonders belastend sei es, mit den Angehörigen oder Hinterbliebenen eines Patienten zu sprechen.

Alyssa Brauckmann steht im Rettungswagen, den man im Weitwinkel sieht. In der Mitte steht eine Liege, an den Wänden hängen überall Gerätschaften und Schränke mit Material.
Der Weitwinkel täuscht, denn in dem Rettungswagen ist es ziemlich eng. Auf nur ein paar Quadratmetern hat Alyssa Brauckmann alles, was es im Notfall braucht. © Nora Varga

Alyssa Brauckmann sei es besonders wichtig, trotz aller beruflichen Distanz in diesen Momenten geduldig und verständnisvoll zu sein. Beispielsweise wenn eine ältere Dame nach einem Sturz ins Krankenhaus gebracht wird und der Ehemann zu Hause bleibt: „Für diese Menschen passiert gerade etwas aus heiterem Himmel, sie geben ihren liebsten Angehörigen in die Hände von fremden Leuten. Mir ist es immer wichtig, dass man sich noch verabschieden kann und wir nicht einfach die Tür zuschlagen und losfahren.“ Eine emotionale Maschine dürfe man im Rettungswesen einfach nicht sein, meint Brauckmann: „Man muss Menschen mögen.“

Eine Reihe von Medikamenten in kleinen Phiolen und Fläschchen in einer Tasche des Rettungsdienstes in Castrop-Rauxel.
Alyssa Brauckmann muss sich auf ihre Kolleginnen und Kollegen verlassen können, zum Beispiel bei der Wartung von Geräten oder dem Kontrollieren der Haltbarkeit von Medikamenten. Für die 29-Jährige ist das Team auf der Feuerwache wie eine Ersatzfamilie. © Nora Varga

Das gilt natürlich nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Kollegen. Für die Wache in Castrop-Rauxel hat Alyssa Brauckmann nur Lob: „Das ist hier ein tolles Team, ich kann mich hier auf alle verlassen.“ Man habe eine viel engere Verbindung als woanders: „Bei 24-Stunden-Diensten machen wir hier alles zusammen, es ist wie eine Ersatzfamilie.“ Als wir uns mit Alyssa Brauckmann zum Interview treffen, ist ihr 29. Geburtstag, den feiert sie im Dienst. Freiwillig, wie sie erklärt, aber einsam fühle sie sich an ihren besonderen Tag im Kreise der Kollegen nicht.

Ulrich Vogel ist der Leiter Feuerwehr in Castrop-Rauxel. Ihm ist der Zusammenhalt in seinem Team sehr wichtig, auch für ihn sind die Kollegen wie eine Familie: „Wir feiern hier zusammen Weihnachten, Silvester oder Ostern“, natürlich nur so lange, bis der Alarm kommt.

Eine Manschette zum Blutdruckmessen in unterschiedlichen Größen, eine große für Erwachsene und zwei kleinere in grün und orange für Kinder.
Im Rettungswagen gibt es auch Ausrüstung für den Einsatz mit Kindern, alles kleiner, die Medikamente in geringeren Dosen. Einsätze mit Babys und Kindern seien immer besonders emotional, meint Alyssa Brauckmann. © Nora Varga

Immer wieder, wenn es um den Rettungsdienst geht, ist auch von den Einsätzen die Rede, bei denen es eigentlich gar keinen Notfall gibt. Auch Alyssa Brauckmann und Ulrich Vogel kennen solche Einsätze, trotzdem dürfe man nicht zu schnell urteilen, meint Brauckmann: „Häufig ist es dann so, dass die Leute wirklich der Überzeugung sind, sie seien in einer Notlage und dann beschäftigen wir uns auch damit.“ Ulrich Vogel befürchtet außerdem, dass durch die Kritik an Patienten echte Notfälle den Notruf auch nicht wählen. Gerade bei einem Herzinfarkt entscheidet die erste Stunde darüber, wie gut ein Patient sich erholen kann. Da dürfe nicht gezögert werden: „Die Patienten sind keine Ärzte, wir können von ihnen nicht verlangen, dass sie sich selbst diagnostizieren.“

Alyssa Brauckmann sieht das ähnlich: „Wenn dann eine Person nach so einem Einsatz, der vielleicht kein Notfall war, deine Hand nimmt und sagt ‚Danke, dass sie da sind‘, das sind einfach bewegende Momente.“ In der Feuerwache gibt es eine große Pinnwand mit Briefen oder gemalten Bildern für die Rettungskräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst. Geschrieben und gemalt von Castrop-Rauxelern, die sich für einen Einsatz bedanken wollen. „Dieser Job gibt einem viel zurück“, sagt Alyssa Brauckmann.

Brauckmann ist aber nicht nur Notfallsanitäterin, sie ist auch Feuerwehrfrau. Die Doppelfunktion gehört bei der Wache in Castrop-Rauxel zum Konzept, erklärt Ulrich Vogel: „Bei uns fahren fast alle doppelgleisig. So können alle alles und die Zusammenarbeit klappt natürlich auch besser, wenn ich weiß, was meine Kollegen machen.“ Das hat natürlich noch einen anderen Vorteil, erzählt Brauckmann: „Es bleibt immer spannend, beide Bereiche haben ihre ganz eigenen Herausforderungen.“

Wer sich für die Ausbildung zum Notfallsanitäter interessiert, muss vor allem „Menschen mögen“, meint Brauckmann. In stressigen Situationen Ruhe bewahren und man müsse sich am Anfang ein bisschen an den Schichtbetrieb gewöhnen. Für Alyssa Brauckmann ist klar, dass sie auf der Wache in Castrop-Rauxel bleiben will, mittlerweile bildet sie junge Nachwuchskräfte aus. „Man kann immer noch etwas Neues lernen, langweilig wird es bei uns wirklich nie.“

Die Stadt Castrop-Rauxel sucht gerade wieder Auszubildende für den Beruf des Notfallsanitäters.

  • In der dreijährigen Ausbildung gibt es theoretischen und praktischen Unterricht an der Berufsfachschule des Kreises Recklinghausen
  • Praktische Ausbildungsblöcke an den Rettungswachen
  • Praktika in Krankenhäusern

Wer sich bewerben will, der muss folgende Dinge mitbringen:

  • mittlerer Bildungsabschluss (Realschulabschluss) und höher (Fach-/Abitur) oder erster allgemeinbildender Schulabschluss (Hauptschulabschluss) mit min. zweijähriger Berufsausbildung
  • Rettungsdiensttauglichkeit
  • erfolgreiche Teilnahme am Auswahlverfahren

Bewerben können sich Interessenten auf der Internetseite der Stadt Castrop-Rauxel, dort gibt es auch noch weitere Informationen.

Dieser Text erschien ursprünglich am 10. Mai 2023. Aufgrund des großen Interesses haben wir ihn neu veröffentlicht.

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