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Altkleider im Container: Macht die Spende wirklich Sinn?
Lesetipp
Aussortierte Kleidung kommt in einen der Altkleider-Container. Dann kommt sie Hilfsbedürftigen zugute. So denken viele, stimmt aber nur bedingt. Wer daran verdient – und wo die Moral bleibt.
Das Geschäft mit Altkleider ist ein lukratives. Redakteurin Iris Müller hat sich vor eineinhalb Jahren auf die Spur ihrer eigenen Altkleider gemacht. Und dabei einige erstaunliche Erfahrungen gemacht. So berichtete sie von ihren Eindrücken - und am Ende der Recherche kommentiert sie klar ihre Meinung.
In die Jeans passe ich nie wieder rein, in das T-Shirt habe ich noch nie reingepasst und einige Trockentücher aus der Küche haben interessante Flecken aller Art. Ich packe alles in einen Sack und bringe ihn zum nächsten Container an der Wittener Straße. Schwupps, habe ich meine gute Tat für heute erledigt. Die Kleidung geht schließlich an Bedürftige. Doch ist das wirklich so?
Was mit den Kleidern passiert
Die Firma Remondis leert die Container, holt also meinen Beutel von der Wittener Straße ab und bringt ihn zum Wertstoffhof. In diesem Jahr waren es bis Juni bereits 240 Tonnen Altkleider, die so im Stadtgebiet zusammengekommen sind. Wenn der Sommer dem Ende zugeht, werden ich und auch die anderen Castrop-Rauxeler wieder ihren Schrank ausmisten - Sommerkleidung, die nicht mehr gebraucht wird, kann weg, die Winterkleidung wird noch mal kritisch betrachtet.
Was nicht mehr modisch ist, nicht mehr passt, was man nicht mehr sehen kann, fleckige und löchrige Kleidung - das wandert alles in den Altkleider-Sack. „Wir sind eine Wegwerfgesellschaft“, weiß Remondis-Sprecherin Anna Ephan. Im vergangenen Jahr kamen so in Castrop-Rauxel 441 Tonnen Altkleider zusammen, 2016 waren es 453 Tonnen.
Eine Spedition holt die Altkleider am Wertstoffhof ab und fährt sie rund 200 Kilometer Richtung Süden nach Polch bei Koblenz. Hier ist der Sitz der Remondis-Firma Re Textil mit rund 50 Mitarbeitern. Und hier wird aus meiner gut gemeinten Spende ein knallhartes Geschäft. Der erste Schritt dieses Geschäftes ist es, dass Re Textil der Stadt Castrop-Rauxel Geld zahlt für die Altkleider. Durch meine Spende helfe ich also dem klammen Haushalt der Stadt. Wie viel Re Textil zahlt, will Manfred Frey (59), der kaufmännische Leiter der Firma, nicht sagen. Er gibt mir eine Warnweste und erklärt bei einem Rundgang, was aus T-Shirt, Hose und Trockentüchern wird.
1. Anlieferung
Nach der Anlieferung kommen die Tüten mit den Altkleidern in große, blaue Gitterboxen, versehen mit der entsprechenden Stadt. „Generell kommt aus der Stadt bessere Ware als vom Land“, weiß Frey. Dass Düsseldorf eine Mode-Metropole ist, kann er auch an den Altkleidern sehen. Tüten, die an dieser Stelle schon stinken - weil volle Pampers statt Altkleider drin sind, oder tropfen, weil jemand nasse Kleidung reingeschmissen hat - werden direkt aussortiert und weggeschmissen. Alles andere kommt auf ein Förderband mit einem gelben Container-Roboter.
2. Grobe Vorsortierung
Der Container-Roboter düst auf Anforderung zu einem der zehn Fließband-Arbeiter und leert seine Ware aus. Die Mitarbeiter reißen jetzt die Tüten auf und sortieren die Kleidung. Mein T-Shirt kommt in einen T-Shirt-Container, die Hose zu Hosen und das Trockentuch zu Recycling. Daraus wird sehr viel später ein Putzlappen gemacht. Mehr ist für das Trockentuch nicht drin. Es gibt noch viele weitere Kategorien: Kinder, Sportkleidung, Röcke, Kleider... Eine besondere Kategorie ist „Hippie“. Da kommt Retro-Kleidung hinein, die später an Second-Hand-Läden in Amsterdam, Köln und Berlin verkauft wird. Verkauft! Nicht etwa verschenkt oder gespendet.
„Das ist keine leichte Arbeit“, erklärt Manfred Frey. Die Arbeiter müssten den ganzen Tag stehen und sehr aufmerksam sein. Haben sie die Beutel abgearbeitet, die der Roboter ihnen gebracht hat, drücken sie einen Knopf und der Roboter bringt die nächste Ladung. Das geht acht Stunden so. Ungefähr zwei Tonnen sortiert jeder Mitarbeiter am Tag. Insgesamt 5000 Tonnen werden jährlich angeliefert.
Manfred Frey: „Ich könnte hier von Beate Uhse bis zum Hippie alle neu einkleiden.“ So langsam dämmert mir: Der ganze Betrieb hier kostet ja Geld. Die Kleidung wird am Ende also bestimmt nicht verschenkt. „In den Containern landet alles Mögliche“, sagt Frey und holt eine kleine Plastik-Trommel aus einem Sack. Spielzeug, Kuscheltiere, Schmuck, Rucksäcke - all das finden er und seine Mitarbeiter hier.
3. Qualitäts-Kontrolle
Eine Etage tiefer stehen wieder Arbeiter an Sortiertischen - überwiegend Frauen. Die Beobachtung von Manfred Frey: „Die können das einfach besser und schneller. Männer können mehrere Dinge gleichzeitig ignorieren, aber Frauen können mehrere Dinge gleichzeitig machen.“ In diesem Fall: Ein Kleidungsstück bewerten, falten und wegsortieren. Eine Dame ist beispielsweise nur für T-Shirts zuständig. Unterteilt wird in
- Creme-Ware: Modische Kleidung ohne Mängel
- A-Ware: Keine Flecken oder Löcher, nicht verwaschen
- B-Ware: Leichte Waschspuren
- Retro/Hippie: Kleidung aus den 70er-Jahren, Lederjacken und Co.
- Schuhe: Hier wird nicht nach Qualität unterschieden
- Recycling/Putzlappen: Putzlappen werden zerschnitten und zu neuen Putzlappen verarbeitet. Aus sehr zerschlissener Kleidung können noch Dämmmaterialien, beispielsweise für Autos gewonnen werden
- Abfall: Was oben noch nicht rausgeflogen ist, weil es beispielsweise nass oder durch Öle und Fette verunreinigt ist oder komplett durchlöchert, wandert jetzt hier in den Müll.
60 Prozent der Dinge, die bei Re Textil ankommen, können so weiterverkauft werden. Dazu gehört Kleidung, Bettwäsche, aber auch Plüschtiere und Spielzeuge (obwohl die eigentlich gar nicht im Altkleider-Container landen sollten). Aus 15 Prozent werden Putzlappen, 21 Prozent werden zu Dämmstoffen oder Ähnlichem recycelt, 4 Prozent ist Abfall.

Würde ich meine Kleidung in die Altkleidersammlung geben, würde sie nach Qualität bewertet. Nach Angaben von Sortiermeister Mohamad Kudssi wäre mein T-Shirt A-Qualität. Es ist nicht verschlissen, hat keine Flecken oder Löcher. Die Hose hingegen wäre B-Qualität, sie ist etwas verwaschen. © Hendrik Müller
Besondere Kleidungsstücke wie Pelze, Kaschmirpullover oder Kleidung aus Merino-Wolle werden gesondert gesammelt. Jede Kategorie hat später ihren Preis. Mit Gartenstuhl-Auflagen und Matratzen kann Frey nichts anfangen: „Die sind mit Schaumstoff gefüllt.“ Für ihn geht es am Ende nur darum, ob er die Ware noch verkaufen kann.
4. Verpacken und Verschnüren
Haben die Frauen einen Sack voll gemacht, kommen zwei Jungs, die ihn abholen, wiegen, zunähen und beschriften. Recycling-Ware geht direkt weiter von einem kleinen Container zur Presse. „Die Jungs können den ganzen Tag mit den Mädels schäkern“, sagt Frey. Tatsächlich scheint die Stimmung in der Halle entspannt. Auf dem Boden steht ein roter Gettoblaster, aus dem das Radio dudelt, die Tore der Halle stehen weit auf.
„Vor ein paar Wochen sind mir die hier alle umgefallen wie die Fliegen“, erinnert sich Frey. Wegen der Hitze fangen jetzt alle morgens um 6 statt um 7 Uhr an und es gibt an jedem Arbeitsplatz Wasserflaschen. Überraschenderweise riecht es nicht unangenehm in der Halle, obwohl die Kleidung zu keinem Zeitpunkt gewaschen wird. Zu teuer. Die Sortierer tragen keine Handschuhe, keinen Mundschutz, manche dafür Kopfhörer.
5. Pressen oder Lagern
Rund 40 Prozent der Textilien werden jetzt vor Ort gepresst und in dicken Ballen verschnürt. Kollege „Caruso“ kommt auf seinem Gabelstapler vorbei und grüßt fröhlich. Er stapelt die Ballen im Lager. Irgendwo darunter sind jetzt auch meine Trockentücher. Sie werden später irgendwo in Europa geschreddert und zu neuen Putzlappen verarbeitet. Die kommen dann in die Industrie oder in Werkstätten. Auf jeden Fall nicht wieder in die Warenhäuser. Bis zum Ende werden sie schließlich nicht gewaschen.
Die andere Kleidung kommt in ein Lager. Mein T-Shirt ist in einem der Säcke mit der Beschriftung FTSH1, 50 Kg - Frauen-T-Shirts A-Ware in einem 50-Kilo-Sack. Auch Kuscheltiere, Bettdecken, Spielzeug und Taschen kommen in beschriftete Säcke.
6. Abholung und Verkauf an Großhändler
Regelmäßig kommen Kunden zu Re Textil. Kunden sind Großhändler aus der ganzen Welt, also aus Afrika, Russland, Indien, Bulgarien und aus Deutschland oder den Niederlanden. Die suchen sich vor Ort aus, was sie brauchen. Second-Hand-Händler aus Deutschland und den Niederlanden sind interessiert an der Retro-Ware, Afrikaner brauchen leichte Baumwoll-Kleidung, die Russen warme Jacken. Spätestens jetzt wird aus der Spende endgültig ein Geschäft, denn kostenlos bekommen die Händler die Ware nicht. Was sie zahlen müssen, will Frey aber nicht sagen.
Frey: „Für mich endet die Arbeit hier mit der erlaubten Ausfuhr.“ Die Textilien gehen in Übersee-Containern auf die Reise. Diese Reise endet oft bei den Hilfsbedürftigen, denen ich mein T-Shirt ja eigentlich schenken wollte. Doch die müssen jetzt dafür zahlen, denn die Kleidung wird in den Zielländern verkauft und nicht verschenkt. Sonst könnten Re Textil, die Speditionen und die Händler nicht existieren.
Eine Folge davon ist aber, dass so manche heimische Textilindustrie nicht aufrecht erhalten werden kann. Ist das moralisch vertretbar? Das klären wir im Re-Textil-Besprechungsraum bei Quarkbällchen und Sauerkirschen.
Die moralische Frage
“Glauben Sie, dass man etwas Gutes tut, wenn man seine Kleidung in den Altkleider-Container wirft?“, frage ich Manfred Frey. Schließlich wäre es doch besser, den Menschen in den Entwicklungsländern Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Wäre es also nicht besser, die heimische Textilindustrie zu fördern und somit Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen? Wenn die Menschen Altkleider kaufen müssen, verlieren sie einerseits ihren Job in der Textilindustrie, weil diese den Bach runtergeht, und müssten andererseits Geld für alte, abgelegte Kleidung bezahlen.
Die Hilfe zur Selbsthilfe sei ein schwieriger und langer Weg, meint Frey. Aktuell sei es so, dass die Menschen in den entsprechenden Ländern barfuß laufen würden, wenn sie keine Second-Hand-Schuhe kaufen könnten. Er ist überzeugt davon, die heimischen Märkte nicht kaputt zu machen. In Indien beispielsweise würden T-Shirts selbst hergestellt, dann sei der Bedarf an Second-Hand-T-Shirts dort auch nicht gegeben. Remondis-Sprecherin Anna Ephan erklärt, dass es auch in den Entwicklungsländern viele Bevölkerungs-Schichten gebe. Während sich die reichen Menschen Kleidung aus dem eigenen Land leisten würden, wären die ärmeren dankbar für Second-Hand-Kleidung.
Auch der Geschäftsführer von Re Textil, Karen Navoyan, ist der Meinung, dass eine eigene Textilindustrie in den Entwicklungsländern vor Ort die Idealsituation wäre, Know-How und Infrastruktur seien jedoch oft nicht gegeben. Er ist der Überzeugung, dass ich etwas Gutes getan habe, als ich meinen Beutel an der Wittener Straße in den Altkleider-Container geworfen habe. Er nennt drei Gründe:
1. „Wir schaffen hier und dort Arbeitsplätze.“ Um bei Re Textil in Polch zu arbeiten, braucht man keine Ausbildung, man wird vor Ort eingearbeitet. Auch in den Empfänger-Ländern schaffe er Arbeitsplätze, schließlich würde der Großhändler die Ware an kleine Händler weiter vertreiben, die ebenfalls Angestellte bräuchten.
2. „Der Müll in Deutschland wird reduziert.“ Verwerten statt Beseitigen sei das Motto. Würden die Textilien nicht verwertet, würden sie verbrannt. Das hätte schlimme Auswirkungen für die Umwelt.
3. Würden die Altkleider nicht aus Deutschland in die Entwicklungsländer kommen, würden andere Länder wie China den Markt überschwemmen. Es sei ein Welthandel, der schon jetzt umkämpft sei. Würde man die Hilfe zur Selbsthilfe anstreben, müsste es ein weltweites Konzept geben. Es würde nicht reichen, wenn Re Textil die Textilien aus Polch nicht mehr in die Welt verschiffe.
Der goldene Weg sei es, aus den Textilien wieder Garn herzustellen, den Rohstoff also wieder verfügbar zu machen. „Baumwolle säuft Wasser ohne Ende“, so Frey. Irgendwann würden die Wasser-Ressourcen zu Ende gehen und dann auch die Baumwoll-Ressourcen. Würde man aus den Textilien neues Garn herstellen, wäre das zwar aufwendiger, aber nachhaltiger. „Das kostet allerdings Wissen und viel Geld“, erklärt Anna Ephan. Es gebe aber schon Projekte in einigen Ländern, die das machen. Frey bezweifelt, dass er noch erlebt, dass sich dieses Verfahren durchsetze. Am Ende ist er eben doch ein Kaufmann: „Ich kann die Welt nicht retten.“

Das Team von Re Textil: Anna Ephan (Pressesprecherin), Manfred Frey (kaufmännischer Leiter), Karen Navoyan (Geschäftsführer) und Jan Mais (Betriebsleiter). Das Hemd des Geschäftsführers wäre übrigens Creme-Ware. Es hat keine Verschleißspuren und ist modisch aktuell. © Iris Müller
Altkleider-Spende im Container des Deutschen Roten Kreuzes
Auch das Deutsche Rote Kreuz hat in Castrop-Rauxel an der Neptunstraße einen Container aufgestellt. Nach Angaben von DRK-Vorstand Christoph Behrenspöhler werden die Kleiderspenden ausgepackt, gereinigt und sortiert. Geeignete Kleidung wird in die Kleiderkammer übernommen, wo Bedürftige sie für einen geringen Betrag kaufen können. Nicht mehr verwendbare Bekleidung wird an gewerbliche Altkleiderhändler weiter verkauft, die es ebenfalls in Entwicklungsländer verschiffen. Das Geld kommt dann - nicht wie bei den EUV-Containern der Stadt - dem DRK zugute.
Meine Meinung
Da stehe ich nun. Mein T-Shirt, die Hose und die Trockentücher sind von Castrop-Rauxel über Polch auf dem Weg in Entwicklungsländer und so richtig gut fühlt sich das nicht an. Was tun? Hier meine Meinung:
Mein Ziel ist es, Sie gut zu informieren und gut zu unterhalten. Thematisch bin ich offen – Bildung, Familie und Nachhaltigkeit liegen mir besonders am Herzen.
