Geschichte schreiben, dürfte nie so einfach gewesen sein: Wenn die Castrop-Rauxeler am 24. September aufstehen, ins Badezimmer gehen und die Toilettenspülung betätigen, eröffnen sie eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes mehr oder weniger feierlich. Der Emscherumbau feiert einen Meilenstein. Die Hauptstrecke des Abwasserkanals Emscher (AKE) ist dann fertig. Das Abwasser aus Castrop-Rauxel ist das erste, das die neue Abwasserautobahn durchfließt. Im Oktober sind die Dortmunder dran. 35 Kilometer unter der Erde und der Emscher, zwischen der Kläranlage in Dortmund-Deusen und der in Bottrop.
Hier, im Bottroper Klärwerk, drückt Ministerpräsident Armin Laschet dann auch einen Knopf, einen roten. Eher mehr als weniger feierlich. Bei einem Festakt tief unten in der Erde eröffnet er dann das neue Pumpwerk der Emschergenossenschaft. Es ist die Herzkammer des neuen Abwasserkanals Emscher, der die alte offene Kloake Emscher ersetzen wird. Oben dann der saubere Fluss, unten der Dreck in der langen Betonröhre.
Lange Röhre endet in Bottrop
Mehr als mannshoch, kreisrund, aber im Vergleich zu ihrer Bedeutung recht unspektakulär endet sie in einem tiefen, schwarzen Loch. Der Himmel über Bottrop ist ein enges Rechteck hoch oben. 50 Meter ist man in die Tiefe geklettert, wo ab dem 24. September das Abwasser des halben Ruhrgebiets hineinfließen wird. Noch dümpelt etwas Regenwasser in der großen Rinne. Anderthalb Meter hoch dürfte hier bald das Abwasser stehen.

In 50 Metern Tiefe erreicht der Abwasserkanal das Pumpwerk in Bottrop. Von dort wird das Abwasser in das Klärwerk hochgepumpt. © Legrand
Noch riecht es nach der Kunststoffabdichtung, die wie Gummi schwarz glänzend das ganze Gebäude bis zur Öffnung hoch oben verkleidet und den Beton vor Säure schützen sollen. Bald wird es stinken, giftige Gase werden wabern. Links und rechts in den Kammern ragen die grauen Ansaugrohre bis fast auf den Boden. Hier wird das Abwasser angesaugt und einmal hochgepumpt. In die Kläranlage oder weiter in Richtung Rhein.
Vernünftiges Abwassersystem
Warum das Ganze? „Damit das Ruhrgebiet endlich ein vernünftiges Abwassersystem bekommt“, sagt Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft. Es heißt im Umkehrschluss: Bislang hatte die Region eben kein vernünftiges Abwassersystem. Die Emscher war das ungeliebte Kind, das Köttelbecken Inbegriff vom schmutzigen Ruhrpott. Die Emscher, wie man sie heute kennt, ein Behelf, wenn auch eine Ingenieursleistung. Bergsenkungen durch den Bergbau hätten normale Abwasserleitungen zerstört, geknickt, zerbrochen. Also musste der Unrat von Mensch und Industrie oberflächlich ablaufen. Ein eigentümlicher Geruch, den man in Dortmund schon fast vergessen hat und der in Castrop-Rauxel nur noch schwach ist. In Bottrop, vor der Kläranlage, wo die Fäkalien nach ihre Reise über die 35 Kilometer seit der letzten Kläranlage in Deusen ankommen, liegt er schwer in der Luft. Viel Sonne schien auf wenig Wasser. Faule Eier.
Von Dortmund bis zum Rhein
Die Pumpstationen in Bottrop, aber auch in Gelsenkirchen und bald auch in Oberhausen, heben das Wasser wieder hoch. 1,5 Meter beträgt das Gefälle auf einen Kilometer. Nach 50 Kilometern von Dortmund bis zur Mündung in Dinslaken wäre das eine Tiefe von 75 Metern. In den Rhein fließt dann nichts, deshalb sind diese Pumpstationen so immens wichtig.

Der größte Abschnitt des neuen Abwasserkanals Emscher - zwischen Dortmund-Deusen und den Pumpwerken in Gelsenkirchen und Bottrop - wird am 24. September eröffnet. © Emschergenossenschaft
Das Projekt Emscherumbau dauert 30 Jahre, deshalb geraten die Dimensionen auch in der Region immer mal wieder in Vergessenheit. Am Ende, wenn 5,5 Milliarden Euro recht pünktlich verbaut sind, sind 430 Kilometer Kanal und 340 Kilometer renaturierte Gewässer entstanden.
„Symbol für den Strukturwandel“
„Das ist ein Symbol für den Strukturwandel“, sagt Paetzel: „Ein Projekt, das zeigt, dass wir es schaffen, Zukunftsaufgaben anzupacken.“ Der Mehrwert für die Region umfasse viele Ebenen: 3700 Arbeitsplätze, die geschaffen wurden. Tourismus, der durch die Radwege gestärkt werde. Eine riesige Chance für die Stadtentwicklung. Schlechte Wohnquartiere an der stinkenden Emscher sind heute gefragte Baugebiete. „Wohnen an der Emscher ist wieder ein Thema.“ Das Paradebeispiel für Paetzel ist der Phoenixsee in Dortmund-Hörde. „Das zeigt, wie eine Stadt, die einen klaren Plan hat, vom Emscherumbau profitiert.“
Das neue Emscher-Pumpwerk in Bottrop
Mit Stolz, eigentlich auch mit Erstaunen und mit Begeisterung erzählt Paetzel von neuen Bewohnern der Emscher: die Blauflügelige Prachtlibelle, der Eisvogel und natürlich die Emschergroppe. Ein kleiner Fisch, aber ein großer Erfolg.
Die Natur kommt zurück, aber nur dank immenser Technik. Zehn Pumpen halten den Abwasserkanal Emscher ab dem 24. am Laufen. Leise summt es, die Pumpen laufen ja noch nicht. Es riecht, ja nach was eigentlich? Eigentlich nach nichts. Tief unten im Pumpwerk erwartet man mehr Bouquet, das kriecht jedoch erst später wieder in die Nase, wenn man Stufe um Stufe die 50 Meter wieder nach oben klettert. Einer der seltenen Orte, an dem die Luft nach oben nicht dünner, sondern dicker wird.
Für den Notfall ausgelegt
Zwei große Kammern, kathedralenhoch, aber grau und betoniert, liegen neben der großen, mit Kunststoff ausgekleideten Hauptkammer. Dort fließt das Abwasser aus dem Kanal hinein. Hier stehen die zehn Kreiselpumpen. Fein lackiert, picobello. „Der Kanal darf nicht ausfallen, und das wird er auch nicht“, sagt Manuel Grün, Technischer Vorstand der Emschergenossenschaft. Zehn Pumpen ziehen bis zu 8100 Liter pro Sekunde nach oben in die Kläranlage. Wie viele laufen, hängt von der Abwassermenge ab. Das ändert sich im Tagesverlauf, morgens mehr, später weniger. Alle Systeme sind mehrfach vorhanden, die Stromversorgung ist auch mehrfach ausgelegt. „Wenn das Abwasser einmal drin ist, muss es auch raus.“
Um sicher zu gehen, werden die Systeme mit Wasser aus dem Rhein-Herne-Kanal getestet. Die Ingenieure der Emschergenossenschaft wagen sich langsam heran. „Es gibt keine Blaupause, weil es so ein Projekt einfach nicht gibt“, sagt Grün.
Schritt für Schritt wird der Abwasserkanal geflutet. Am 24. September das Abwasser aus Castrop-Rauxel, das am Emscherdüker am Rhein-Herne-Kanal einströmen wird. Dann folgen Mitte Oktober der Hellbach in Recklinghausen-Süd, dann der Nettebach in Dortmund. 25 Zuflüsse sind es insgesamt. Peu a Peu. „Ende 2021 werden wir das große Ziel, die Abwasserfreiheit der Emscher, erreicht haben“, sagt Paetzel. Oben die saubere Emscher, unten das Abwasser in der Röhre.
Und wer es immer mal wissen wollte: Acht Stunden braucht das Abwasser von der Spülung in Dortmund bis zum Klärwerk nach Bottrop.