Der Jüdische Friedhof an der Oberen Münsterstraße ist der älteste erhaltene jüdische Friedhof im Kreis und der älteste Friedhof in Castrop-Rauxel. © Abi Schlehenkamp
Jüdischer Friedhof
275 Jahre Geschichte und ein erneuerter Gedanke: Der Jüdische Friedhof in Castrop
Der Jüdische Friedhof in Castrop ist 275 Jahre alt. Klaus Michael Lehmann hat einen Vorschlag zur Pflege: Er denkt an Patenschaften. Der 8. November ist der perfekte Tag für eine kluge Idee.
von Abi Schlehenkamp
Castrop
, 08.11.2019 / Lesedauer: 5 minDas Datum zählt seit Jahrzehnten im meist jahreszeitlich trüben November zu den herausragenden Daten im Laufe eines jeden Jahres in Castrop-Rauxel: Am Vorabend der Reichspogromnacht laden Stadtjugendring und Team Jugendarbeit der Stadt zur Mahn- und Gedenkveranstaltung an den 9. November 1938 ein.
Start am Freitag, 8. November, um 17 Uhr ist traditionell der jüdische Friedhof an der Oberen Münsterstraße. Von dort geht es zum Platz der ehemaligen Synagoge am Simon-Cohen-Platz. Also alles wie gehabt, um die Erinnerung an den verstörenden Holocaust aufrecht zu erhalten, aufzuzeigen und zu mahnen, dass sich so etwas nie wieder wiederholen darf.
Aber eine Sache ist anders: Angesichts der Wahlerfolge für die AfD, in der wohl auch Menschen mit antisemitischem Gedankengut organisiert sind, ist das in diesem Jahr ein Impuls für neue Überlegungen. Das Motto der Veranstaltung lautet 2019 zielgerichtet: „Augen auf - Wieder Widerstand“.
Der älteste erhaltene jüdische Friedhof im Kreis
Vor ein paar Wochen hat Stadtfotograf Klaus Michael Lehmann daran erinnert, dass der Jüdische Friedhof 275 Jahre alt ist, damit der älteste im Stadtgebiet, und ohnehin der älteste erhaltene jüdische Friedhof im Kreis Recklinghausen.
Lehmann hat unserer Redaktion seinen Wunsch dazu niedergeschrieben: „Die Gymnasien mögen eine Patenschaft übernehmen und gemeinsam mit dem Grünflächenamt die Pflege übernehmen.“
Den Schlüssel für dieses Tor gibt es beim Bereich Stadtgrün und Friedhofswesen im Rathaus und beim Stadtanzeiger nebenan. © Abi Schlehenkamp
Ein Ansatz, der nicht ganz neu ist - aber bislang ohne Echo geblieben ist. Gisbert Baranski, unentwegter Kümmerer um die Geschichte der jüdischen Mitbürger in Castrop-Rauxel und das Aufrechterhalten der Erinnerung als stete Mahnung, erzählt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass er schon mal eine entsprechende Patenschaft mit dem Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) vorgeschlagen habe. Darauf habe es keine Resonanz gegeben.
Lehmanns Ausflüge mit dem EBG
Lehmann hat vor langer Zeit selbst mehrmals Schülerinnen und Schüler des Ernst-Barlach-Gymnasiums auf die jüdischen Spuren in Castrop geführt. Endpunkt dieser Wanderungen sei immer der Jüdische Friedhof gewesen, schreibt Lehmann in einem Beitrag für die bald erscheinende Doppelausgabe von „Kultur und Heimat“ zum 70-jährigen Jubiläum.
„Ich erinnere mich des großen Interesses der Jugendlichen, ihrer Fragen und Teilnahme“, so Lehmann. Geschichte vor Ort sei immer eindringlicher, als vom fernen Berlin zu berichten. Und es sei eben viel näher dran, etwa im Haus in der Fußgängerzone in der Altstadt, in dem sich seit vielen Jahren der Süßwarenanbieter Hussel befindet, nach oben zu zeigen und quasi in die Augenpaare der Menschen jüdischen Glaubens zu schauen, die sich damals dort auf dem Dachgeschoss versteckt hatten. So lange, bis die Familie entdeckt, abtransportiert und ermordet wurde.
Klaus Breuer sagt: „Vom Grundsatz her finde ich die Idee sehr gut“
Wäre es denn denkbar, dass Jugendliche eine Patenschaft übernähmen oder sich vielleicht bei schulischen Projekten auf dem Friedhof engagierten? Klaus Breuer, Chef des Bereichs Stadtgrün und Friedhofswesen, sagt dazu: „Vom Grundsatz her finde ich die Idee sehr gut.“ Er begrüße es gar, wenn sie sich tatsächlich verwirklichen ließe.
Für die Friedhofspflege ist das städtische Grünflächenamt zuständig. Dessen Chef Klaus Breuer sagt: „Wir würden gerne mehr tun, kriegen es personaltechnisch aber nicht hin.“ © Abi Schlehenkamp
Vor einiger Zeit habe es schon mal einen Einsatz der Pfadfinder auf dem jüdischen Friedhof gegeben, der gut geklappt habe. Natürlich müsse es einen Ansprechpartner im Rathaus geben und jemanden, der bei möglichen Einsätzen den Hut aufhabe. Breuer: „Ich stehe gerne als Ansprechpartner bereit.“
Die Stadt ist zuständig
Für die Pflege des 275 Jahre alten Friedhofs ist seit geraumer Zeit die Stadt zuständig. Genauer nachzulesen ist das in entsprechenden Publikationen von Stadthistoriker Dietmar Scholz in einem Beitrag aus dem Jahr 2000, bei Klaus Michael Lehmann demnächst in einem Aufsatz anlässlich des 275-jährigen Bestehens des Friedhofs und im Stadtarchiv, für das Stadtarchivar Thomas Jasper verantwortlich ist.
Abgestimmt werden müssten Patenschaftspläne oder andere Projekte mit der jüdischen Kultusgemeinde Dortmund, sagt Klaus Breuer. Die Frage ist unter anderem, ob es dabei bestimmte Regeln zu beachten gebe.
Pflegebeitrag beträgt 1400 Euro im Jahr
2011 und 2012 gab es erhebliche Turbulenzen auf dem und um den Friedhof: Grund waren Herbstwinde, umgekippte Grabsteine und der arg kritisierte Pflegezustand. In jüngster Vergangenheit wurde es ruhiger.
Er macht einen guten Eindruck, der alte Friedhof, der nur mit einem Schlüssel zugänglich ist. Als unsere Redaktion vor Ort war - am Mittwoch, 30. Oktober - schickte die Herbstsonne einen kleinen Gruß.
Mehrere der Steininschriften sind hebräisch. Einige sind heute verblasst. © Abi Schlehenkamp
Die Grabsteine sehen okay aus, manche Inschriften sind allerdings nur noch sehr schwer entzifferbar - zumal oft auf Hebräisch. Der Weg ist gepflegt, von einer der gefällten Pappeln blieb ein Stumpf für Kleinstlebewesen.
Grünes Idyll auf 1162 Quadratmetern
Es ist ein kleines grünes Idyll auf 1162 Quadratmetern. Die Synagogengemeinde Castrop-Rauxel geleitete hier seit grauer Vorzeit - die Alte Eiche an der Heerstraße ist vermutlich nur wenig jünger - ihre Toten zur letzten Ruhe. Der Friedhof liegt mitten in der Stadt. Lediglich die Bank könnte mal einen neuen Anstrich vertragen und das ein oder andere Beet kleinlicher geharkt werden.
„Wir sind hier nach Bedarf vor Ort“, sagt Breuer, vielleicht vier oder fünf Mal im Jahr. Seine Mitarbeiter täten dies mit viel Herzblut. Der Pflegebeitrag in Höhe von 1400 Euro, den sich Land und Kommune teilten, gebe das eigentlich überhaupt nicht her. Insofern würde man sich über Unterstützung freuen.
Das sagt die Kultusgemeinde in Dortmund
Und was sagt die jüdische Kultusgemeinde in Dortmund dazu? Vorstandsmitglied Wolfgang Polak erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wir könnten es nur begrüßen, wenn sich so etwas unter Anleitung verwirklichen ließe.“ In mehreren anderen Städten gebe es solche Patenschaften oder auch Projekte.
Zur Zeit macht das Gelände einen gut gepflegten Eindruck. Damit das auch so bleibt, ist ein Patenschaftsmodell vielleicht eine gute Idee. © Abi Schlehenkamp
Den Jüdischen Friedhof besuchten meist Schulklassen, die nach dem Schlüssel fragten. So heißt es beim Stadtanzeiger, der einen Schlüssel verwaltet, und bei der Stadt. Dort kämen schon mal ältere Menschen vorbei - alles aber in sehr überschaubarem Rahmen.
Das Friedhofstor ist immer abgeschlossen. Vermutlich aus der Befürchtung heraus, es könnte wieder zu einer Beschädigung oder gar Verwüstung kommen. So wie 1951, 1957 und 1995. 1995 sprühte ein 17-Jähriger Hakenkreuze auf die Grabsteine. Bei einer Bestandserhebung 2006 wurden 44 Grabsteine gezählt.
Der Kaufpreis betrug einen Reichstaler und eine Tonne voller Eier
Im Jahre 1743 erhielt die jüdische Gemeinschaft zu Castrop nach Verhandlungen mit dem Bürgermeister und dem Rat der „Fryheit“ Castrop die Erlaubnis, einen Friedhof zu errichten. Es handelt sich um das „Örtchen im vorderen Gehölz hinter Kellerhofs Länderey an der linken Seite“, so zitiert Klaus Michael Lehmann in seinem Beitrag für das „Kultur und Heimat“-Heft die Quellen.
Der Kaufpreis betrug demnach einen Reichstaler und eine Tonne voller Eier. Die Eichen auf dem Gelände blieben jedoch Eigentum der Gemeinde. „Wann die ersten Beerdigungen stattfanden, wissen wir nicht“, sagt Lehmann.
Die letzte Bestattung fand nach Erkenntnissen des verstorbenen Stadthistorikers Dietmar Scholz wohl 1939 statt, vermutlich aber ohne Grabstein. 1913 lebten 150 Menschen jüdischen Glaubens in Castrop-Rauxel, 1933 waren es 160, 1939 waren es 46.
Am 27. Juli 1942 wurden die letzten jüdischen Bürger aus Castrop-Rauxel nach Dortmund zur Deportation „verbracht“. Heute leben in der Stadt einige jüdische Familien. Sie gehören zur Gemeinde Recklinghausen.
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