Borussia Dortmund steht vor einem großen Umbruch im Sommer. Wieder neues Personal, vielleicht wieder ein neuer Trainer: Im vierten Teil unserer Serie blicken wir auf die unterschiedlichen taktischen Ideen und Vorgaben, die mit den zu vielen Trainerwechseln einhergingen. Und die Spieler oft nur noch mehr verwirrten.
Viel BVB-Ballbesitz unter Favre
Als Edin Terzic im Dezember 2020 bei Borussia Dortmund für den entlassenen Lucien Favre einsprang und retten sollte, was kaum noch zu retten war, stand der ehemalige Scout und Nachwuchstrainer vor einem großen Problem.
Favre hatte seiner BVB-Mannschaft zweieinhalb Jahre lang eingebläut, wie wichtig Ballbesitz und Ballkontrolle ist. Unter dem Schweizer gehörte der BVB zu den Top-Drei der Liga bei den Ballbesitzwerten, die in fast jeder Partie die Marke von 60 Prozent übersprangen. Länger den Ball hatten nur die Bayern, mehr Pässe als die Borussia spielte kein Klub aus den Top-5-Ligen Europas. Eine ballsichere Kette, die die Kugel in Endlosschleife zirkulieren lassen konnte, davor in Axel Witsel ein ballsicherer Sechser: Das Personal gab Favre die Möglichkeit, seine taktischen Vorlieben auszuleben.
Doch im Kader standen auch noch andere Spieler. Pfeilschnelle wie Erling Haaland, dribbelstarke wie Jadon Sancho. Bis zu denen gelangte der Ball aber nur über viele Umwege, nach einer ewig anmutenden Zeit. Borussia Dortmund war am Ende gefangen in einem lähmenden, uninspirierten Ballgeschiebe, weil Favre es immer seltener hinbekam, seine Spieler aus dem vielen Ballbesitz mutig und mit Tempo nach vorne zu kombinieren lassen. Dazu waren Ballverluste im ersten Drittel des Spielfeldes deutlich folgenschwerer als dreißig Meter weiter Richtung gegnerisches Tor – und wurden häufiger mit Gegentoren bestraft.
Es dauerte, bis Terzic die eingeschliffenen Mechanismen aus den Köpfen und Beinen bekam. Und dann kam im Sommer in Marco Rose schon wieder ein neuer Trainer, mit einer etwas anderen Vorliebe, wie der moderne Profifußball auszusehen hat.
BVB scheint gefangen zu sein
Es ist ein ewiger Kreislauf, in dem Borussia Dortmund seit Jahren gefangen zu sein scheint. Mit den zu vielen Trainerwechseln nach der Ewig-Ära von Jürgen Klopp änderten sich Taktiken und Spielphilosophien beinahe beliebig. Eine klare Strategie, ein klares Muster, nachdem der BVB Fußball spielen möchte, ist durch die manchmal im Zwölf-Monats-Rhythmus veränderten Zuständigkeiten an der Seitenlinie verloren gegangen.
Klopp war der Trainer, der Borussia Dortmund in die Moderne geführt hatte. Unter der Führung des ehemaligen Mainzer Zweitligaspielers entwickelte sich der BVB zu einer der laufstärksten Mannschaften der Liga. Die Spieler waren jung und rannten wie die Hasen. Die unbarmherzige Balljagd war Klopps Markenzeichen, die Spieler folgten seinem Dogma willig, weil sich superschnell der Erfolg einstellte. Das schnelle Umschaltspiel nach Ballgewinnen revolutionierte den Fußball in der Bundesliga.
Thomas Tuchel wollte mit dem BVB nächsten Schritt gehen
Mehrere Jahre funktionierten Klopps Methoden sehr gut. Bis sich Nachahmer fanden, vor allem aber Gegner, die Rezepte gegen diese Art des Fußballs entwickelt hatten. Thomas Tuchel war der Trainer, der den nächsten Schritt gehen wollte. Balljagd ja, schnelles Umschalten ja, aber vor allem ließ Tuchel seine Mannschaft unter dem Credo spielen, mit der perfekten Positionierung so manche Körner sparen zu können. Er ließ unkonventionelle Spielfelder abstecken, die die Spieler dazu zwangen, bestimmte Räume abzudecken und Bälle „blind“ dorthin zu spielen in der Gewissheit, dass dort ein Mitspieler steht.
Tuchels Fußball war stilbildend, seine Zeit endete aus nicht-sportlichen Gründen viel zu schnell. Den radikalsten Wechsel verordnete sich der BVB dann nach dem Scheitern des Konter-Fanatikers Peter Bosz. Dessen Ansatz einer wütend anstürmenden Mannschaft hielt nicht wie bei Klopp mehrere Jahre, er war schon nach einem Drittel der Saison entschlüsselt. Es hagelte Niederlagen in Serie. Das schnelle Aus des Niederländers war alternativlos. Peter Stöger danach war ein Übergangstrainer mit altbackenen Methoden. Als Favre kam, sehnte sich der BVB nach den wilden, hektischen und zunehmend erfolglosen Zeiten vor allem nach Ruhe und Sicherheit.
BVB-Trainer war detailversessen und ermüdend
Der Schweizer Tüftler war detailversessen wie Tuchel, aber nicht ansatzweise so risikobereit und kreativ. Wieder eine neue Taktik, diesmal quasi eine Kehrtwende um 180 Grad. Favre war Ballbesitz-Fanatiker, mit diesem Fundament fühlte sich die Mannschaft eine Zeitlang sehr wohl. 2019 hätte er sich ein Denkmal setzen können, er scheiterte auf der Zielgeraden. Wie später auch andere Trainer. Weil Favre den nächsten Entwicklungsschritt verpasste, endete seine Zeit. Sein Fußball ermüdete erst die Zuschauer, wickelte dann auch seine Spieler ein.

Und so ging es weiter. Nach Rose wieder Terzic, nach Terzic Sahin, der Favre-Fußball, nur in modern, spielen lassen wollte. Nach Sahin der ungestüme Mike Tullberg, nach dem Vulkan aus Dänemark der betont ruhige Niko Kovac. Seit Klopp haben sich in knapp zehn Jahren neun Trainer in Dortmund versucht, teils mit diametral unterschiedlichen taktischen Herangehensweisen. Die Suche nach dem richtigen Weg, nach einem Fußball, mit dem man Borussia Dortmund eindeutig identifizieren kann, aber geht weiter.