Borussia Dortmund hat den ersten Schritt aus der Krise gemacht. Julian Brandt fehlte beim 6:0 gegen Union Berlin aufgrund einer Muskelverhärtung. Pascal Groß überzeugte in seiner Abwesenheit mit vier Torvorlagen, auch Neuzugang Carney Chukwuemeka zeigte gute Ansätze in der Zentrale. Sollte Brandt dennoch in die Startelf zurückkeheren oder Nico Kovac vorerst auf ihn verzichten? Das diskutieren Dirk Krampe und Thomas Schulzke im Pro & Contra.
Pro: Brandt gehört in die BVB-Startelf (von Dirk Krampe)
Die nackten Zahlen sprechen gegen Julian Brandt. Als er am Samstag fehlte, spielten sich seine Kollegen in einen Rausch – 6:0 gegen Union Berlin. Brandts bisherige Saisonstatistiken sind mau, da stehen nur magere vier Tore, immerhin kommen noch zehn Assists hinzu. Dennoch ist seine Beteiligung an Dortmunder Treffern im Vergleich zu Vorsaison statistisch gesehen deutlich gesunken.
BVB-Profi Brandt hat Gespür für die richtige Aktion
Es wäre dennoch reine Stammtisch-Polemik, nach einem guten BVB-Spiel ohne Brandt gleich den Abgesang auf diesen Fußballer einzuläuten. Der 28-Jährige macht ein Formtief durch, damit war er bis zum Samstag beileibe nicht alleine. Und natürlich steht er nicht außerhalb der normalen Bewertungskriterien. Aber er ist einer der besten Techniker im Team, wenige haben so ein gutes Gespür für die richtige Aktion, wenige einen besseren ersten Kontakt.
Niko Kovac hat alle Hände voll damit zu tun, seine Spieler stark zu reden. Es wäre taktisch unklug, bei Brandt damit aufzuhören und ausgerechnet an ihm jetzt ein Exempel zu statuieren. Brandt hat zwar betont, in seinen sechs BVB-Jahren nie zuvor in einer derart schwierigen Situation gesteckt zu haben, aber er macht auch nicht das erste Formtief als Dortmund-Spieler durch. Bislang konnte er sich immer herauskämpfen.
Auch BVB-Offensivspieler Reyna und Beier enttäuschen
Die Erkenntnis dieser Saison ist, dass Brandt nicht der Leader ist, zu dem man ihn aufbauen wollte und der verunsicherte Kollegen aus dem Tief führen kann. Er kann aber ein sehr wertvoller Zulieferer in der Offensive sein, wenn es besser läuft. Und ehrlicherweise haben sich seine Konkurrenten kaum nachdrücklich um Brandts Posten beworben, als dass jetzt Kovac in der offensiven Zentrale einen radikalen Wechsel vornehmen müsste. Das gilt sowohl für Giovanni Reyna als auch für Maximilian Beier.
Contra: Brandt hilft dem BVB aktuell nicht (von Thomas Schulzke)
Julian Brandt gehört zu den wenigen Fußballprofis, die nach Spielen offen reden, authentisch, ohne Floskeln. Er kritisiert, hinterfragt und gewährt auch einen Blick in sein Inneres. Wie zum Beispiel nach dem 0:0 in der Champions League gegen Sporting. „Ich mache sehr viel mit mir selbst aus. Es ist eine schwere Situation und das ist auch ein Grund dafür, weshalb Selbstverständnis und Leichtigkeit fehlen. Es ist ein Kampf, da musst du rauskommen“, sagte er.
BVB scheint auf keinen Fall vorbereitet
Der 28-jährige Nationalspieler macht eine schwierige Zeit durch. Er ist in die Saison gestartet, um das Team zu führen – als Vize-Kapitän, als Leader. Die Rolle des Hauptdarstellers ist für ihn anscheinend eine Nummer zu groß. Er hatte seine besten Auftritte bisher immer in Nebenrollen. Neben Marco Reus, Jude Bellingham oder Erling Haaland. Die Last, jetzt dem gesamten BVB-Ensemble Glanz zu verleihen, ist zu groß. Der filigrane Techniker hat die Leichtigkeit verloren, gibt dem Dortmunder Spiel nur wenige Impulse. Deshalb benötigt er jetzt eine Pause. In erster Linie deshalb, weil er dem Team mit seiner aktuellen Form nicht weiterhilft.
Niko Kovac muss vorerst einen neuen Hauptdarsteller für die Zentrale suchen. Vielleicht ist es ja Carney Chukwuemeka. Eigentlich als Box-to-Box-Spieler verpflichtet, zeigte der englische U19-Europameister von 2021 nach seiner Einwechslung gegen Union Berlin auch auf der Zehn eine ansprechende Leistung. Unbekümmert, leichtfüßig und mit Spielwitz trat er auf. In Chukwuemeka steckt viel Fantasie. Er verkörperte aktuell all das, was Brandt verloren gegangen ist. Deshalb muss der Trainer ihm jetzt die Zeit gönnen, sich wieder zu finden, denn ein Julian Brandt im Topform wird unbedingt benötigt.