Schwatzgelb.de wird 20: Am Ende geht es immer um das Wohl des BVB

© Guido Kirchner

Schwatzgelb.de wird 20: Am Ende geht es immer um das Wohl des BVB

rnBorussia Dortmund

Das Fanzine schwatzgelb.de feiert Geburtstag. Seit 20 Jahren schreiben BVB-Fans nunmehr mit spitzer Feder und ehrenamtlich für BVB-Fans. Wir gratulieren – und sprechen miteinander.

Dortmund

, 21.07.2020, 17:15 Uhr / Lesedauer: 7 min

„Von Borussen für Borussen“, das war die Ursprungsidee – und sie ist es im Kern bis heute geblieben. Aber schwatzgelb.de ist mit den Jahren groß und „ein Stück weit erwachsen“ geworden, aus einer Handvoll Leser zu Beginn sind viele, viele Tausend geworden. Über sechs Millionen Aufrufe pro Monat zählen schwatzgelb.de und das dazugehörige BVB-Forum mittlerweile. Sebastian Sollgan (34) ist seit 2014 dabei und Vorsitzender des schwatzgelb.de e.V. – ein Gespräch über die Liebe zu Borussia Dortmund, über schwindende Fannähe und über den Kater nach berauschenden Jahren unter Jürgen Klopp.


20 Jahre schwatzgelb.de – herzlichen Glückwunsch. Wir rufen selbstverständlich erst nach der Party an, weil wir wissen wollen, wie gut die Feier war. Was war möglich – trotz Corona?

Danke für die Glückwünsche. Wir haben unseren Geburtstag im Rahmen der Möglichkeiten gefeiert – und haben uns von der DFL natürlich ein Hygienekonzept ausarbeiten lassen. Aber Spaß beiseite: Eigentlich hatten wir eine große Feier geplant. Durch Corona konnten wir die Pläne leider nicht umsetzen. Es war alles im Rahmen und wir haben Masken getragen, wenn es notwendig war. Wir haben regelmäßig desinfiziert – auch von innen. Es war nicht so wild wie ursprünglich mal gedacht. Wir haben vernünftig gefeiert, aber wir haben den gesundheitlichen Aspekt nie aus den Augen verloren.


Zu späterer Stunde wurde beispielsweise Dan-Axel Zagadou fleißig besungen. Hat sich der Spieler noch gemeldet? Oder die Nachbarn?

Zaga hat leider nicht angerufen, die Nachbarn haben glücklicherweise nicht angerufen. Danke dafür an dieser Stelle.


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20 Jahre bieten allein schon wegen der großen Zeitspanne unendlich viel Stoff für Anekdoten und lustige Erinnerungen. Wie spät ist es geworden?

Gute Frage. Wir haben ja sehr früh angefangen. Aber ich glaube, gegen zwei Uhr war ich dann irgendwann im Bett.


Sebastian Sollgan, Vorsitzender des schwatzgelb.de e.V., war auch in Marbella dabei.

Sebastian Sollgan, Vorsitzender des schwatzgelb.de e.V., war auch in Marbella dabei. © Privat

In diesem Interview wird nicht gesiezt, weil wir während eines BVB-Trainingslagers schon einmal zusammen auf dem Fußballplatz gegen eine BVB-Auswahl untergegangen sind, das nur zur Info. Die Frage lautet: Ihr habt am Samstag nicht nur gefeiert, sondern Ihr habt auch einen Spenden-Spaziergang zugunsten der Neven-Subotic-Stiftung organisiert. Wie viel Geld habt Ihr eingesammelt?

Ursprünglich hatten wir 1.909 Euro als Spendenziel angepeilt, aber wir sind jetzt schon bei über 3.600 Euro. Wir sind total glücklich, dass so eine tolle Summe zusammengekommen ist.


Und Neven Subotic freut sich.

Ja. Wir haben zu unserem 15. Geburtstag auch schon mal eine Aktion für seine Stiftung gestartet. Wir finden einfach, dass er nicht nur ein sehr verdienter Spieler ist, sondern auch, dass man ihm sein Engagement gar nicht hoch genug anrechnen kann. Deswegen war uns auch schnell klar, wohin das Geld gehen soll. Neven freut sich immer sehr darüber.

„Ich glaube, dass schwatzgelb.de nicht nur groß, sondern auch ein Stück weit erwachsen geworden ist.“

Die Idee für schwatzgelb.de ist am 18. Juli 2000 bei einem Testspiel des BVB gegen Rot-Weiß Lüdenscheid ins Leben gerufen worden. Das Baby von einst ist ganz schön groß geworden. Wie würdest Du die Entwicklung Eures Fanzines zusammenfassen?

Es ist, glaube ich, auf jeden Fall deutlich größer geworden, als es sich die Gründungsmitglieder damals hätten vorstellen können. Zu Beginn hat die Redaktion zehn Leute gezählt, heute sind es über 50 Menschen, die schwatzgelb.de mit Leben und Ideen füllen. Wir haben Leute, die sich um Texte kümmern, um Grafiken, um unseren eigenen Podcast: Dieses Ausmaß hat so niemand kommen sehen. Ich glaube, dass schwatzgelb.de nicht nur groß, sondern auch ein Stück weit erwachsen geworden ist. Damit geht sicherlich auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung einher, die über den BVB hinausgeht. Vielleicht sind wir nicht mehr ganz so bissig wie früher, als wir nur von einer Handvoll Leute gelesen wurden, aber wir versuchen natürlich trotzdem noch immer, sehr kritisch mit den Vorgängen bei Borussia Dortmund umzugehen.

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Klassische Frage zum runden Geburtstag: Gibt es das eine Highlight? Gibt es den einen Artikel, der alle anderen Texte in den Schatten stellt?

Nein, ich würde sage, den gibt es eher nicht. Aber natürlich gibt es Artikel, die besonders viel Aufmerksamkeit generiert haben. Unser erstes Interview mit Hans-Joachim Watzke beispielsweise. Oder ein Brief an Robert Lewandowski vor seinem Wechsel zu Bayern München, der bis heute den Rekord bei den Abrufen hält. Grundsätzlich ist auffällig, dass rund um besondere Ereignisse, egal ob positiver oder negativer Natur, das Leserinteresse immer besonders hoch ist. Der Anschlag vor dem Monaco-Spiel ist so ein Beispiel. Oder auch die Trennung von Thomas Tuchel. Aber es gibt auch sehr persönliche Texte, die vielleicht losgelöst sind von der Nachrichtenlage, die aber trotzdem sehr hohe Zugriffszahlen erreichen.


„Von Borussen für Borussen“ – so steht es auf bei Euch auf schwatzgelb.de. Und dass Ihr den Fans eine Stimme verleihen möchtet, „die Gehör findet“. Wie viel Gehör findet die Stimme der Fans im Jahr 2020?

Ich glaube, sehr viel Gehör. Gerade beim BVB. Nicht nur wegen schwatzgelb.de, sondern weil im Laufe der Jahre Strukturen gewachsen sind, in denen Fans eingebunden werden. Ich glaube, dass wir stark dazu beitragen, dass Fans gehört werden, aber dafür sind wir nicht alleine verantwortlich.


Wie hat sich das Verhältnis zum Klub in den vergangenen 20 Jahren entwickelt?

Ich würde das Verhältnis zum Klub als sehr konstruktiv und produktiv beschreiben. Natürlich kommt es dabei auch darauf an, mit wem man gerade spricht und worum es geht. Es wird auch gestritten, das ist doch klar, weil wir die Dinge manchmal unterschiedlich bewerten. Aber der Umgang ist immer respektvoll – und am Ende kämpfen wir ja auch für eine gemeinsame Sache, nämlich darum, das Wohl von Borussia Dortmund auf allen möglichen Ebenen zu steigern. Die Ansichten darüber, was das Beste für den Klub ist, gehen dabei natürlich auch mal auseinander. Aber wie gesagt: Respektvoll ist der Umgang miteinander immer. Und der Eine nimmt den Anderen ernst, das finde ich wichtig.

„Ich würde sagen, wir sind ein Teil des Korrektivs.“

Versteht sich schwatzgelb.de auch als eine Art Korrektiv für die BVB-Entscheidungsträger?

Ich würde sagen, wir sind ein Teil des Korrektivs. Wir wissen um unsere Rolle, aber wir sind ja beileibe nicht die einzigen, die sich in der BVB-Fanszene äußern.


Über die Fortsetzung der Bundesliga-Saison trotz der Corona-Pandemie wurde in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise intensiv diskutiert.

Genau. Zum damaligen Zeitpunkt war ich der Meinung, dass es zu früh ist, wieder mit der Bundesliga anzufangen. Dieser Meinung waren einige bei uns. Und dann sollte man das diskutieren. Und man sollte auch den Verein dazu anhalten zu erklären, warum wieder gespielt werden muss. Vielleicht nicht unbedingt, weil man den Leuten die Freude am Leben zurückgeben will, sondern weil es einfach um sehr viel Geld geht. Deshalb haben wir uns schon darüber echauffiert, was und wie der Verein anfänglich kommuniziert hat – und haben unseren Standpunkt auch öffentlich kundgetan.


Was sind die besonderen Herausforderungen, wenn man für ein Fanzine berichtet?

In erster Linie sind wir Fans, aber wir wollen trotzdem kritisch sein. Manchmal sehen wir Dinge vielleicht zu rosarot, manchmal regen wir uns vielleicht über gewisse Dinge auch zu sehr auf. Aber wir schreiben und arbeiten alle ehrenamtlich in unserer Freizeit für schwatzgelb.de – und deswegen sind unsere Texte meistens emotionsgeleitet und eben auch emotional. Wir sind teilweise vielleicht zu nah dran, aber manchmal trifft die subjektive Kritik aus der Nähe womöglich härter als die objektive Kritik aus der Distanz. Das ist sicherlich Chance und Risiko zugleich. Darüber müssen wir uns bewusst sein. Unser großer Vorteil ist, dass wir mit dem, was wir tun, kein Geld verdienen und nicht regelmäßig abliefern müssen. Wir können komplett frei entscheiden, wann wir worüber berichten – und worüber nicht. Es gibt bei uns weder zeitliche noch monetäre Zwänge.


Welche Themen liegen schwatzgelb.de besonders am Herzen?

Natürlich der sportliche Erfolg des BVB und Fanbelange. Wir sprechen gerne mit den Protagonisten, aktuellen wie ehemaligen. Und es geht uns um die Verantwortung des Vereins. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung, soziale Verantwortung, darum, sich klar gegen Rassismus, Diskriminierung und Sexismus zu positionieren. Uns ist letzten Endes wichtig, dass der Fußball Menschen zusammenbringt. „Borussia verbindet“ ist dafür ein gutes Beispiel. Manchmal gibt es sicherlich wichtigere Themen als Fußball, die aber trotzdem im Umfeld des Fußballs stattfinden. Wir wollen immer wieder darauf hinweisen und dabei helfen, unsere Gesellschaft und damit auch den Fußball ein bisschen besser und gerechter zu machen.


Ihr bezeichnet Euch selbst als „bunt zusammen gewürfelte Truppe von BVB-Fans aller Couleur, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Liebe zu unserer Borussia ist“. Ist diese Liebe, Stichwort Stimmung im Stadion, Stichwort Stimmung im Umfeld, in den vergangenen Jahren und vielleicht auch durch die Corona-Krise kleiner geworden als in den berauschenden Jahren unter Jürgen Klopp mit zwei Meistertiteln, einem Pokalsieg und dem Champions-League-Finale in Wembley?

Ich glaube nicht, dass die Liebe zum BVB kleiner geworden ist, eher die Liebe zum Profifußball und dem System dahinter. Ein gewisses Sättigungsgefühl gibt es bei dem einen oder anderen sicherlich. Es gibt immer mehr Wettbewerbe, aber dafür immer weniger Wettbewerbsgleichheit. Wer soll beispielsweise die Bayern in der Bundesliga herausfordern? Vielleicht wir, aber der finanzielle Abstand ist trotzdem riesig. Die Rahmenbedingungen sind schon verquer. Das ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Dazu ist in den vergangenen Jahren in den großen Verbänden wie der Fifa, der Uefa oder dem DFB sicherlich einiges falsch gelaufen. Aber am Ende spielen natürlich auch diese rosaroten Jahre unter Jürgen Klopp mit rein. Wenn man alles damit vergleicht und diese Zeit immer im Hinterkopf hat, dann ist das, was danach kam, natürlich ziemlich ernüchternd. Niemand will diese Hochphase missen, aber danach kann und konnte man eben schon in ein gewisses Loch fallen.


Auf jede Party folgt ein Kater?

Ein bisschen ist es so, ja. Man hatte tolle Jahre, man hat vor allem einen unglaublichen Zusammenhalt zwischen Fans und Mannschaft gespürt. Die Erwartungshaltung ist unheimlich groß geworden. Man hat im Verein, vielleicht musste man das auch so tun, ein bisschen die Strategie geändert. Man hat jetzt keine Mannschaft mehr, die die totale Identifikation mit dem Klub verkörpert, sondern auch ein paar (angehende) Stars, die vielleicht auch mal für Ärger sorgen oder sich nicht so fannah verhalten, wie es sich der eine oder andere wünschen würde. Unter dem Strich kommen da viele Faktoren zusammen – und sorgen vielleicht für eine gewisse Müdigkeit in Fankreisen.


„Ich glaube, dass es mit dem Weggang Jürgen Klopps schwieriger geworden ist.“

Du sprichst die Fannähe an: Habt Ihr den Eindruck, dass es in der Zusammenarbeit zwischen den Fans und dem BVB immer schwieriger wird?

Gute Frage. Ich glaube, dass es mit dem Weggang Jürgen Klopps schwieriger geworden ist. Nicht für uns als schwatzgelb.de, sondern für die Fans ganz allgemein. Ich glaube, dass der Verein das auch erkannt hat und versucht, die Situation wieder zu verbessern. Es gibt wieder mehr öffentliche Trainings, zumindest gab es sie vor der Corona-Krise. In den letzten Trainingslagern waren beispielsweise fast alle Trainingseinheiten öffentlich. Es ist wirklich eine komplizierte Frage, weil wahrscheinlich jeder Fan das Stichwort Fannähe anders definiert. Sicherlich sind die Spieler heute ganz anders abgeschottet als früher, was aber auch mit dem Anschlag vor dem Monaco-Spiel im April 2017 zu tun hat. Ich würde mir sehr wünschen, dass der Umgang wieder lockerer wird und Spieler nach dem Training auch mal stehen bleiben und ein Wort mit den Fans wechseln. Der BVB versucht natürlich, Fannähe auf andere Weise zu generieren. Es gibt lustige Videoformate auf der eigenen Homepage, die die Spieler auch abseits des Platzes vorstellen, aber das ist natürlich nicht das Gleiche wie früher, als man die Spieler noch hautnah erleben konnte.


Und es ist gefiltert.

Das ist so. Es ist nicht so echt wie früher.


Wirkt sich diese Entwicklung auch unmittelbar auf Eure Arbeit bei schwatzgelb.de aus? Ist es schwieriger geworden, Fans für die Arbeit in Eurer Redaktion zu begeistern?

Nein, ich sehe da eigentlich keine Veränderung. Das Treiben in der Redaktion ist immer ein bisschen von der aktuellen Situation abhängig. Wenn wir innerhalb von drei Wochen – und das ist überhaupt nicht despektierlich gemeint – gegen Mainz, Düsseldorf und Augsburg spielen und vielleicht relativ glanzlose Pflichtsiege einfahren, dann geht es in der Redaktion deutlich ruhiger zu als nach unfassbar schwachen Leistung und einer 0:2-Niederlage gegen Mainz kurz vor dem Saisonende. Das ist schon so. Es gibt immer Phasen, in denen es ruhiger zugeht, und Phasen, in denen mehr diskutiert wird. Aber für die nächsten 20 Jahre wird uns der Diskussionsstoff sicher nicht ausgehen, denke ich.