Es läuft exzellent für Borussia Dortmund. Schwarzgelb sitzt Liga-Spitzenreiter FC Bayern vor dem letzten Saisondrittel hautnah im Nacken. Natürlich reifen nach der jüngsten Dortmunder Siegesserie Meisterträume. Ist der BVB titelreif? Darüber diskutieren Sascha Klaverkamp und Martin Bytomski in unserem Pro und Contra.
Ist der BVB titelreif?
Pro: Schlicht eine bessere Qualität (von Sascha Klaverkamp)
Wer nach 22 Spieltagen punktgleich mit dem FC Bayern an der Tabellenspitze steht, der hat nicht nur gerade mal ein bisschen Glück. Das taugt als Zeugnis von großer Qualität, von echter Titelreife. Ja, der BVB kann in dieser Saison Meister werden, weil er sich Schritt für Schritt in entscheidenden Punkten nachhaltig verbessert hat. Er lässt keine Punkte mehr fahrlässig liegen gegen Klubs aus dem Tabellenkeller. Er leistet sich keine extremen Leistungstiefs mehr, zieht Konzentration und Gegenwehr von An- bis Abpfiff durch. Er ist effizient vor des Gegners Tor, ist gefährlich bei Standards, gieriger auf Balleroberungen. Er hat verstanden, Fußball auch manchmal ganz ohne Kunst einfach zu arbeiten.
Zudem hat es Cheftrainer Edin Terzic geschafft, bei Spielern, die zuvor selten an ihr oberes Leistungslimit gestoßen waren, das stete Maximum herauszukitzeln: Julian Brandt, Emre Can, Marius Wolf. Sie mutierten vom Mitläufer zum Leistungsträger. Gepaart mit einer nun stärker und breiter besetzten Ersatzbank als früher, härterem Konkurrenzdruck und weniger Verletzungssorgen agiert die Borussia auf einem neuen Niveau. Nach 22 Spielen hat sie zwar mit 46 genauso viele Punkte wie zum entsprechenden Zeitpunkt der Vorsaison auf dem Konto, aber sie wirkt heute deutlich stabiler, fokussierter, schlicht besser und weniger ausrechenbar als die Borussia vor einem Jahr. 15 verschiedene Torschützen im Kader untermauern, dass sie nicht mehr abhängig ist von einem heilbringenden Torjäger wie Erling Haaland.
Im Gegensatz zu der Borussia von 2022 schafft sie es, konstant Druck auf die Bayern zu machen, auch durch Aufgaben in Pokal und Champions League lässt sie sich nicht vom Brot- und Buttergeschäft Bundesliga ablenken. Nicht zuletzt: Im Tor steht in Gregor Kobel ein Keeper in Weltklasse-Form. Also, Strich drunter: Braucht es noch mehr für einen Titelkandidaten?
Contra: Zuviel Glück war nötig (von Martin Bytomski)
Julian Brandt hat es nach dem 1:0-Sieg bei der TSG Hoffenheim auf den Punkt gebracht. „Wir waren effizient und hatten eine Prise Glück.“ Fortuna meint es aktuell gut mit dem BVB. Sicher, die Siegesserie ist keineswegs allein ein Glücksprodukt, doch bei näherer Betrachtung erinnert vieles an den Saisonstart: Häufig durchschnittlich gespielt, am Ende aber drei Punkte eingesackt. Doch das Spielglück verließ die Borussia, die Ergebnisse blieben aus und die Stimmung kippte zum Jahresausklang.
Sollten arge Verletzungsprobleme ausbleiben, ist ein extremer Einbruch zwar nicht zu erwarten, doch ohne den Nimbus der Unschlagbarkeit werden mit dem Rücken erzielte Tore wie in Sinsheim von Julian Brandt nicht mehr so einfach fallen.
Viele BVB-Profis spielen am Limit
So löblich es außerdem ist, dass die zuvor häufig kritisierte Mentalität jetzt stimmt: Auf Strecke braucht es auch eine energieeffiziente, aber dennoch erfolgreiche Spielanlage, um Deutscher Meister zu werden. Oder die Mannschaft spielt und stürmt sich wie bei den Meisterschaften 2011 und 2012 in einen kollektiven Rausch. Das allerdings gibt der taktische Ansatz des BVB derzeit nicht her. Außerdem haben etwa Marius Wolf oder Emre Can ihr Limit erreicht. Sollte die Frische im Laufe der kommenden intensiven Wochen verloren gehen, dürfte auch die Leistungskurve wieder sinken.
Dazu war die Hypothek der neun Punkte Rückstand auf die Bayern zum Jahresbeginn zu groß. Die ist zwar mittlerweile getilgt, dafür benötigte es aber selbstredend eine Schwächephase der Bayern – und die sind mit Ausnahme der Niederlage in Mönchengladbach nun wieder im Siegmodus angekommen, wiesen am Sonntag Union Berlin nachdrücklich in die Schranken. Auch die Borussia muss noch nach München, wo 2014 der letzte Sieg gelang. Es folgten acht teils desaströse Niederlagen in Serie. Das verheißt leider nichts Gutes für den Endspurt.