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Paco Alcacer steht beim BVB vor dem Abschied - die Chronologie einer Entfremdung
Borussia Dortmund
Paco Alcacer steht vor dem BVB-Abschied. Trotz eines bis 2023 laufenden Vertrags, trotz einer sehr ordentlichen Torquote. Die Chronologie einer Entfremdung.
Der Gegner an diesem 6. Oktober 2018 heißt FC Augsburg, wie just am vergangenen Samstag. Und wie in der WWK Arena überschlagen sich im Signal Iduna Park die Ereignisse. 3:3 steht es, fünf Minuten der Nachspielzeit sind schon rum. Schiedsrichter Markus Schmidt pfeift einen Freistoß für den BVB, relativ zentral vor der Südtribüne, die Mario Götze schon zum Erbeben gebracht hat, als er Dortmund in diesem verrückten Spiel erstmals mit 3:2 in Führung schießt.
Alcacer trifft zum 4:3 - auf den Rängen gibt es kein Halten mehr
Schmidts Gesten deuten an, dass es die letzte Aktion des Spiels sein wird. Paco Alcacer wird den Freistoß schießen, und als der Ball im Augsburger Tor einschlägt, gibt es auf den Rängen kein Halten mehr. Für Borussia Dortmunds Neuerwerbung ist es nach seiner Einwechslung der dritte Treffer des Tages, er hat seine unglaubliche Torquote weiter verbessert, in seinem dritten Spiel für den BVB trifft er schon zum sechsten Mal.
Alcacer ist in aller Munde. Das ist gerade einmal knapp 16 Monate her. Nun könnten sich noch vor dem Ende der Winter-Transferperiode die Wege des Stürmers und Borussia Dortmund wieder trennen. Was ist da passiert?
Michael Zorc zaubert Paco Alcacer aus dem Hut
Paco Alcacer, damals 25 Jahre jung, ist die große Überraschung, die Michael Zorc wenige Wochen zuvor kurz vor Ende der Sommer-Transferperiode aus dem Hut zaubert. Einen gestandenen Stürmer hatte der Sportdirektor gesucht, bezahlbar und dennoch möglichst eine Soforthilfe. In Barcelona wird Zorc fündig. Er vereinbart ein Leihgeschäft für ein Jahr und minimiert dadurch das Risiko.
Alcacer hat sich für die Katalanen in Valencia empfohlen. In 93 Spielen in der „LaLiga“ macht Paco Alcacer 30 Tore und bereitet 14 weitere vor. Schon im Alter von 22 Jahren wird er der Kapitän der „Fledermäuse“, im Sommer 2017 folgt er dem Lockruf des großen FC Barcelona. Doch Messi und Suarez sind eine Nummer zu groß, Alcacer spielt viel zu selten. So landet er in Dortmund. Nach seiner Verpflichtung lässt er sich mit dem Satz zitieren: „Der BVB mit seinen unglaublichen Fans und der berühmten Süd hat wahrscheinlich für jeden Fußballer etwas.“ Was die Süd bewirken kann, erfährt er erstmals, als sein Freistoß zum Siegtor gegen Augsburg im Netz einschlägt. Direkt vor den 24.000, die dort immer stehen und förmlich ausflippen.
Der BVB behandelt Alcacer wie ein rohes Ei
Alcacers Vorgeschichte mit zwei Jahren ohne regelmäßige Spielzeit aber verfolgt Borussia Dortmund in den folgenden Monaten. Er kommt mit reichlich Trainingsrückstand in Dortmund an, verpasst in den ersten acht Wochen schon fünf Pflichtspiele und steht bis Weihnachten nur zwei Mal über 90 Minuten auf dem Platz. Drei Muskelverletzungen zeugen davon, dass sein Körper eine regelmäßige Belastung nicht mehr gewöhnt ist. Schon gar nicht in Englischen Wochen. Der BVB behandelt seine Neuerwerbung wie ein rohes Ei. Nur keine Überbelastung riskieren.

In der Hinrunde 18/19 trifft Paco Alcacer nach Belieben. © dpa
So nutzt Lucien Favre Paco Alcacer zunächst als Edeljoker, der so zuverlässig trifft wie kaum ein anderer. Im Wochenrhythmus pulverisiert er Rekorde. In Leverkusen ist er mit zwei Toren für die Wende nach einem 0:2-Pausenrückstand verantwortlich, erst am 3. November beim 1:0 in Wolfsburg trifft er in der Bundesliga erstmals nicht.
BVB überweist für Alcacer 23 Millionen Euro an den FC Barcelona
Drei Wochen später informiert der BVB den FC Barcelona, dass man die Kaufoption für Paco Alcacer ziehen werde. Michael Zorc spricht von einer „schnellen Integration, Paco ist mit ganzem Herzen bei uns.“ Alcacer sagt: „Ich bin sehr glücklich in Dortmund und in dieser wunderbaren Mannschaft.“ Der sich der Leihe anschließende Vier-Jahres-Vertrag war schon vorher ausverhandelt. 23 Millionen Euro überweist Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Sommer 2019 nach Spanien.
Die dunklen Wolken ziehen erst mit den Herbststürmen heran. Auch in der Rückrunde seiner Leih-Saison waren Verletzungen ein ständiger Begleiter, forderten immer wieder einen Neuaufbau, torpedierten seinen Spielrhythmus. Die Sommervorbereitung aber kann er endlich komplett durchziehen und wirkt fit wie nie. Und trifft sofort munter immer weiter.
Drei Mal steht Alcacer in den ersten vier Bundesliga-Partien über die volle Distanz auf dem Platz, schießt fünf Tore. Es sind bis heute seine letzten Treffer. Denn dann schlägt das Verletzungspech wieder zu: Erst eine Achillessehnen-Reizung (fünf Spiele Pause), dann eine Fleischwunde am Knie bei seinem Comeback. Beim Gang in die Kabine vergießt er bittere Tränen. Wieder muss er aussetzen und verliert seinen Stammplatz.
Alcacer wird beim BVB zum Einzelgänger
Irgendwie scheint sich Paco Alcacer in dieser Zeit entfremdet zu haben. Er kehrt zurück, seine Trainingsleistungen aber lassen zu wünschen übrig, sein Fitnesszustand auch. Es ist zu hören, dass seine Frau sich mit dem kleinen Kind nicht wohl fühlen soll in Dortmund. Schon lange vorher hat Paco Alcacer einer spanischen Boulevard-Zeitung ein Interview gegeben, in dem er davon spricht, „irgendwann“ zurück nach Spanien zu wollen. Er bereitet damit den Boden für Spekulationen, die schnell zusätzliche Nahrung erhalten durch seine Abkapslung von der Mannschaft.
Paco Alcacer wird zum Einzelgänger, sein Deutsch ist bis heute nur rudimentär vorhanden, sprechen sieht man ihn vornehmlich mit Hakimi und Morey, den anderen Spielern mit spanischem Hintergrund. Er ist nach den Spielen der Erste im Bus und der Erste, der nach Hause fährt. Von Integration ist da nur wenig zu spüren. Zudem holt Borussia Dortmund Erling Haaland als zusätzliche Alternative für den Sturm. Für Alcacer ist das wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht.
BVB-Trainer Favre zählt Alcacer an
Der vergangene Samstag, wieder ist der FC Augsburg der Gegner. Borussia Dortmund schießt diesmal sogar fünf Tore, die Bühne aber gehört diesmal einem jungen Norweger. Alcacer steht nicht einmal im Kader. Seine Trainingsleistungen hätten ihm nicht das Gefühl gegeben, dass der Spanier der Mannschaft derzeit helfen könne, sagt Lucien Favre.

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Das nächste Kapitel in der Beziehung zwischen dem sensiblen Stürmer und Borussia Dortmund hat begonnen, es könnte rückblickend später vielleicht mit „Der Abschied“ überschrieben werden. Wenn Paco Alcacer einen Verein bringt, der die Rahmenbedingungen erfüllt, wird der BVB ihn ziehen lassen. Nach 46 Pflichtspielen, in denen er 25 Tore schoss und vier vorbereitete, steht die „Ehe“ vor dem Aus. Spätestens im Sommer wird endgültig Schluss sein.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
