Hinter Borussia Dortmund liegt eine durchwachsene erste Saisonhälfte mit mehr Tiefen als Höhen. Während der BVB in den Bundesliga-Heimspielen 20 Punkte holte, präsentierte man sich auswärts über weite Strecken wie ein Abstiegskandidat (fünf Punkte) und überwintert auf einem enttäuschenden sechsten Rang. Im DFB-Pokal musste die Mannschaft von Nuri Sahin erneut früh die Segel streichen. Nur in der neuen Champions-League-Ligaphase liegt man vor den letzten beiden Vorrundenspielen als Neunter im Soll. In unserer Analyse nehmen wir alle Mannschaftsteile genau unter die Lupe. Im vierten Teil blicken wir auf das defensive Mittelfeld:
Emre Can: Der 30-Jährige blieb auch in der ersten Hälfte dieser Saison einer der umstrittensten Spieler bei Schwarzgelb. Was auch an der exponierten Rolle liegt, die er nach wie vor inne hat: Sahin hielt im Sommer an Can als Kapitän fest. Eine Entscheidung, die extrem polarisierte. Ein Amt, das einhergeht mit viel Verantwortung und ebenso hohen Erwartungen. Denen wurde der Routinier über weite Strecken der Saison allerdings nur bedingt gerecht.
Immer wieder lieferte Can seinen Kritikern mit haarsträubenden Aussetzern und konfusen Auftritten (Augsburg, Madrid, Mainz) neue Nahrung. Die Zweifel an seiner Tauglichkeit als Anführer und Abfangjäger vor der Viererkette wuchsen. Seit November aber hat sich der Kapitän stabilisiert und zeigte als solide Aushilfe in der (personell dezimierten) Innenverteidigung, welchen Mehrwert er bieten kann. Can hatte die zweitmeisten Ballkontakte (1667) aller Dortmunder und bestritt die drittmeisten Zweikämpfe (204). Note: 3,5
Felix Nmecha: 1385 Minuten stand der 24-Jährige wettbewerbsübergreifend für Schwarzgelb in der ersten Saisonhälfte auf dem Platz – das entspricht exakt dem Wert, auf den er nach der gesamten vergangenen Saison gekommen war. Diesmal aber blieb er von Verletzungen verschont, ist körperlich in einer guten Verfassung. Die massiv erhöhten Einsatzzeiten belegen Nmechas gestiegene Bedeutung.
Mit einjähriger Verspätung löst er allmählich das ein, was sie sich in Dortmund von ihrem (möglichen) Bellingham-Ersatz versprochen haben. Mit Ausnahme der Erstrunden-Pokalpartie gegen Phönix Lübeck kam Nmecha in jedem Pflichtspiel zum Einsatz. Er versteht es, das Spiel mit raumgreifenden Pässen zu beschleunigen und es zu lenken. Auch gegen den Ball ist Nmecha mittlerweile wesentlich stressresistenter, muss sein Spiel aber weiter stabilisieren. Immer wieder gibt es auch Ausreißer nach unten. Seit Herbst ist der 24-Jährige im 4-3-3-System Stammspieler und hat Pascal Groß im zentral defensiven Mittelfeld den Rang abgelaufen. Note: 2,5
Pascal Groß: In den ersten Wochen der Saison für gute Leistungen und seinen frühen Einfluss aufs BVB-Spiel gelobt, hat der Impact des Routiniers zuletzt spürbar nachgelassen. Nach sieben Jahren in England Erfahrung auch bei Schwarzgelb ausspielen und in zentraler Rolle zum Stabilisator werden. Sahin setzte in jedem (!) Pflichtspiel auf den 33-Jährigen.

Seine Dienste waren zunächst im 4-2-3-1 auf der Doppelsechs gefragt, ehe er Nmecha weichen musste. Seither entweder als Rechtsverteidiger oder als Achter gefragt. Beim BVB für viele Standards zuständig und mit Abstand lauffreudigster Dortmunder, spulte allein in der Bundesliga 145,11 Kilometer ab. Sein Tempo-Defizit ist allerdings ebenfalls unübersehbar. Kassierte unmittelbar vor der Winterpause in Wolfsburg die Rote Karte und ist deshalb im neuen Jahr für zwei Spiele (gegen Leverkusen und in Frankfurt) gesperrt. Note: 3,5
Marcel Sabitzer: Im Frühjahr bildete der Österreicher an der Seite von Julian Brandt die neue Mittelfeld-Achse bei Borussia Dortmund. Seiner außerordentlich guten Verfassung läuft der 30-Jährige seit Sommer deutlich interher. 21 Spiele, kein Tor, kein Assist – Sabitzer ist nur noch ein Schatten früherer Tage. Entsprechend begrenzt ist bislang sein Einfluss aufs BVB-Spiel.
Büßte zudem an Kredit ein, weil er anfangs auf der ungeliebten Position als Rechtsaußen aushelfen musste und sich darüber öffentlich mokierte. Auch in zentraler Rolle kaum ein Faktor – und meist nur zweite Wahl. Zweikampfbilanz (44 Prozent) und Passquote (84 Prozent) sind ausbaufähig. Note: 4,5
RN-Fazit: Nominell ist Borussia Dortmund im defensiven Mittelfeld gut aufgestellt. Allerdings unterliegen drei der vier BVB-Profis in diesem Mannschaftsteil bisher mehr oder weniger starken Schwankungen. Nach Anlaufzeit überzeugte nur Nmecha. In der zweiten Saisonhälfte braucht es mehr Dortmunder auf Top-Niveau, um den höheren Ansprüchen gerecht zu werden.