Für gewöhnlich ist Borussia Dortmund sehr kommunikativ. Der BVB informiert seine Fans permanent über alles Wichtige, was im Verein vor sich geht. Manches geschieht bei Schwarzgelb aber auch, ohne dass es groß proklamiert würde. So wie die Neuausrichtung derU23, die sich seit einigen Monaten vollzieht.
BVB-U23 als Plattform für Talente
Explizit formuliert wurde die Richtungsentscheidung zwar nicht. Doch wer zwischen den Zeilen las, konnte bereits Mitte Dezember erahnen, dass der Klub beim Profi-Unterbau einen Paradigmenwechsel vollzieht. Im Zuge der Vertragsverlängerung mit Trainer Jan Zimmermann verkündete Sportdirektor Sebastian Kehl: „In Zukunft wollen wir diese Mannschaft noch stärker dafür nutzen, jungen Talenten – vor allem auch aus unserem NLZ – frühzeitig Spielpraxis im Herrenbereich zu geben, um somit eine Entwicklungsplattform mit klarer Anbindung an die Profis zu schaffen.“
Welchem Zweck soll die U23 vorrangig dienen? Ist sie in erster Linie Auffangbecken für die BVB-Profis, die (nach einer Verletzung) Spielpraxis benötigen? Ist sie für die Talente aus dem eigenen NLZ eine wichtige Brücke zwischen U19 und Profis? Ermöglicht sie genügend Durchlässigkeit? Oder ist sie bloß ein Sprungbrett für Spieler, die nach ein, zwei Jahren bei anderen Klubs ihr Glück suchen? Was Sinn und Zweck der Dortmunder Drittliga-Filiale angeht und in welcher Gewichtung die unterschiedlichen Ziele austariert werden sollten, darüber gab und gibt es im Verein nach wie vor kontroverse Meinungen. Die U23 ist bei Borussia Dortmund deshalb zuletzt auch zu einem Politikum geworden.
Damit aber soll nun Schluss sein. Die Neuausrichtung ist beschlossene Sache, das Ziel eindeutig: Die BVB-U23 soll künftig stärker als zuvor auf im Verein ausgebildete NLZ-Spieler setzen, ihnen regelmäßig Spielpraxis in der 3. Liga bieten und damit wichtigen Anschub für die weitere Entwicklung liefern.
BVB-U23 soll Ausbildungszeit verlängern
„Der direkte Sprung von der U19 in den Profibereich ist angesichts unserer Erwartungshaltung einfach sehr groß und nicht für jeden unserer Jugendspieler auf Anhieb zu schaffen. Daher möchten wir die U23 als strategisches Element gewinnbringend nutzen. Ein weiteres Jahr in der für diese Mannschaft höchstmöglichen, professionellen Erwachsenen-Liga ist für die individuelle Entwicklung unserer Talente, quasi als Verlängerung der persönlichen Ausbildungszeit, unheimlich wichtig“, betont Kehl im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten.

Auch Lars Ricken, langjähriger NLZ-Direktor und im Mai zum Geschäftsführer Sport befördert, hat das Thema auf seiner Agenda weit oben angesiedelt. Und der neue NLZ-Chef Thomas Broich ist ebenso ein Verfechter dieses Ansatzes. „Wir wollen die Spieler so früh wie möglich auf ihr nächstes Level bringen. Und es gibt nichts Besseres, als in diesem Alter schon Herrenfußball zu spielen. Das ist auch von der ganzen Athletik her ein ganz anderes Spiel. Da muss man sich strecken, man entwickelt sich körperlich sehr, man baut eine ganz andere Resilienz und Härte auf. Davon profitieren die Spieler immens“, sagt der 43-Jährige.
Fünf BVB-Talente in der U23
In den ersten Saisonspielen der 3. Liga setzte Zimmermann deshalb in Kjell Wätjen, Filippo Mane, Danylo Krevsun sowie die noch für die U19 spielberechtigten Cole Campbell und Almugera Kabar gleich fünf Eigengewächse ein. Dass die Youngster den einen oder anderen Fehler mehr machen als ihre Teamkollegen, ist allen Verantwortlichen bewusst. „Es geht immer darum, auf die individuelle Entwicklung des Spielers zu achten und dabei gleichzeitig die Konstellation der Mannschaft zu berücksichtigen. Es gibt viele Variablen, die in diese Rechnung mit einfließen“, sagt Zimmermann.
Um den Leistungsstand und die Entwicklung jedes Einzelnen valide bewerten zu können, gibt es – anders als früher – inzwischen eine einheitliche Datenerfassung. „Uns ist es wichtig, festzuhalten, wie hoch die Belastung in einem Spiel der Profis, einem Spiel der U23 und einem Spiel der U19 ist. Anhand der Daten können wir ableiten, wie wir diese Lücke schließen können“, erläutert Zimmermann. „Bei der Bewertung jedes einzelnen Spielers geht es aber nicht nur um nackte Daten, sondern auch darum, wie sich der Spieler in der Gruppe unter Trainingsdruck präsentiert und ob er sich wohlfühlt.2 Nicht von ungefähr hat der Klub in Marcel Schmelzer vor dieser Saison einen weiteren Co-Trainer für die U23 verpflichtet, der den Youngstern den Übergang erleichtern soll.
BVB-Plan soll Talente überzeugen
Weil in der Vergangenheit wenige(r) NLZ-Spieler in der U23 zum Einsatz kamen, gab es intern und im Umfeld des BVB eine Menge Kritik. Der Vorwurf: Junge, talentierte Spieler könnten sich nicht mit dieser Mannschaft identifizieren, wodurch deren Wertigkeit in Frage gestellt werde. Hochveranlagte Eigengewächse wie Nnamdi Collins (Eintracht Frankfurt), Samuel Bamba (VfL Bochum), Julian Rijkhoff (Ajax Amsterdam) oder jüngst Paris Brunner (AS Monaco) sahen in der BVB-U23 nicht die richtige Plattform, um sich weiterzuentwickeln, und kehrten der Borussia den Rücken.

Das soll und muss aus Sicht der BVB-Bosse ein Ende haben: „Wir müssen es schaffen, den Spielern einen klaren Plan aufzuzeigen, was wir mit ihnen vorhaben. Auf der anderen Seite brauchen wir aber natürlich auch Spieler, die bereit sind, diesem Plan zu folgen und den Weg mit uns zu gehen“, sagt Zimmermann.
BVB-Jugendspieler benötigen Selbstreflexion
Das setzt voraus, dass die in der Jugend häufig erfolgsverwöhnten und nur selten mit Rückschlägen konfrontierten Talente ihre eigenen Fähigkeiten (und durchaus noch vorhandenen Grenzen) richtig einschätzen und dass sie die U23 nicht als Sackgasse, sondern vielmehr als weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zum (Bundesliga-)Profi begreifen.
„Wir wollen Begeisterung für die U23 wecken – das haben wir uns auf die Fahne geschrieben. Wir brauchen Jungs, die die richtige Überzeugung mitbringen. Wer aus der U19 kommt und erst mit Haut und Haaren davon überzeugt werden muss, bei uns in der U23 zu spielen, dessen Erfolgsaussichten sind eher gering“, stellt Ingo Preuß, Sportlicher Leiter der Reserve, klar.
BVB-Talente benötigen Geduld und Beharrlichkeit
Geduld sei in dieser Hinsicht das A und O. „Es bedarf eines gesunden Umfelds, das nicht auf den schnellen Erfolg aus ist. Natürlich gibt es die Spieler, die sofort voll durchstarten und direkt aus der U19 den Sprung zu den Profis schaffen. Aber es gibt eben auch die Jungs, die einen anderen Weg gehen, der sie trotzdem ans Ziel führt. Aber für den brauchen sie Geduld und Beharrlichkeit“, betont Preuß.

Das Aufgebot der U23 ausschließlich mit Eigengewächsen zu bestücken, hält der Sportliche Leiter derweil für wenig zielführend. „Um als U23 erfolgreich zu sein und zu funktionieren, brauchen wir eine gewisse Mischung im Kader. Es geht nicht nur mit NLZ-Spielern, wir brauchen auch Spieler von außerhalb. Bei ihnen erlebe ich es häufig, dass sie bei mir im Büro sitzen und ihren Blick übers Trainingsgelände schweifen lassen. Und sie sehen es nicht als selbstverständlich an, bei Borussia Dortmund zu sein, all diese Annehmlichkeiten zu haben. Diese absolute Gier, die natürlich auch unsere Jugendspieler entwickeln, ist enorm wichtig. Wer hier einen Vertrag unterschreibt, der fängt erst an und sollte nicht sich zurücklehnen. Die, die sich dann zurücklehnen, die haben schon verloren“, stellt Preuß klar.
BVB-U23 als „Beschleunigungsstreifen“
Jan Zimmermann hat an dieser Stelle einen schönen Vergleich parat. Es gebe die Sorte Spieler, die aus dem Stand durchstarten wollten, und jene, die über die U23 noch etwas Anlauf für die weitere Karriere nehmen würden. Letztere, da ist sich der Trainer sicher, zögen auf Sicht in den allermeisten Fällen vorbei, Erstere blieben häufiger auf der Strecke. Fordern und fördern als Leitplanken der U23. Borussia Dortmunds Unterbau begreift sich demnach – um im Bild zu bleiben – als Beschleunigungsstreifen sein, nicht als Standspur.