Den Fußball, in den er sich verliebt habe, als er vor sechs Jahren zum BVB gekommen sei, wolle er sehen, meinte Mike Tullberg gut eine halbe Stunde vor dem Anpfiff seiner ersten Partie auf der ganz großen Bühne. Tullberg am Ziel, der BVB erlebt allerdings die nächste Enttäuschung: Nur 2:2 gegen Werder Bremen, weil die Rote Karte gegen Nico Schlotterbeck das Drehbuch dieses Spiels maßgeblich veränderte. Die Chronologie:
14.15 Uhr: 75 Minuten vor dem Anpfiff steigt der Däne aus dem Mannschaftsbus, auf dem Weg zum Stadion hat der 39-Jährige die Menschenmassen gesehen, die ihn später freundlich, zum Teil sogar frenetisch begrüßen werden.
15.05 Uhr: Tullberg lernt das Interview-Prozedere kennen. Er spricht bei Sky über seine Erwartungen, wiederholt, was er schon tags zuvor erklärt hatte: Einfach Lust solle seine Mannschaft haben, befreit Fußball spielen. Das wird schwierig angesichts der großen Verkrampfung. Anders als Vorgänger Nuri Sahin verfolgt Tullberg das Aufwärmen seiner Mannschaft auf dem Rasen.

15.27 Uhr: Hinter seinen Spielern, die aus den Katakomben kommen und sich auf dem Rasen auf den Anpfiff vorbereiten, geht Tullberg zur Dortmunder Bank. Das „You’ll never walk alone“ haben sie im Kabinentrakt mitbekommen. Kurzes Handshake mit Werder-Trainer Ole Werner, kurzes Abklatschen mit seinen Assistenten Daniel Rios und Patrick Fritsch, dann kann es losgehen.
15.36 Uhr: Julian Ryerson setzt direkt vor der Dortmunder Bank zu einer Monster-Grätsche an. Tullberg ballt die Faust, klatscht Beifall. Der Däne unter Vollstrom. Energie liefert er genug, er wollte sie von seiner Mannschaft, er wird sie bekommen.
15.41 Uhr: Hektik auf der Bank, Felix Nmecha wird verletzt ausgewechselt. Der Interimstrainer beordert Marcel Sabitzer an die Seitenlinie.
15.49 Uhr: Tullberg starrt ungläubig Richtung Südtribüne, wo Schiedsrichter Christian Dingert kurz vor dem Dortmunder Strafraum Nico Schlotterbeck die Rote Karte gezeigt hat. Nach dem langen Ball von Bremens Veljkovics hat Ducksch an der Mittellinie zu Schmid abgelegt, der den Ball steil auf Grüll durchsteckt. Im Laufduell schubst Schlotterbeck den Bremer von hinten. Dingert zögert keine Sekunde. Alle Proteste laufen ins Leere. Auf der Bank schaut sich Tullberg die Wiederholung an und spendet dem Rotsünder Trost.

15.51 Uhr: Tullberg stellt die Abwehrkette um. Pascal Groß besetzt die rechte Seite, Ryerson wechselt nach links, Ramy Bensebaini rückt nach innen.
15.57 Uhr: Tullberg stürmt die Linie entlang, jubelt Richtung Südtribüne und klatscht sich dann mit Co-Trainer Patrick Fritsch ab. Der BVB geht durch Serhou Guirassy mit 1:0 in Führung. Erstmals erlebt der Däne im vollbesetzten Stadion die Explosion der Emotionen von den Rängen.

16.06 Uhr: Erster kleiner Austausch mit dem vierten Offiziellen Timo Gerach, Schiedsrichter Dingert hatte zuvor sehr lange mit einem Abseitspfiff gezögert. Tullberg ist mit vollem Einsatz an der Linie dabei, er gestikuliert, feuert an.
16.41 Uhr: In der Kabine hat Tullberg seine Elf auf den zweiten Durchgang eingestimmt. Das 2:0 treibt ihn erneut die Linie entlang. Nach dem Bremer Eigentor feiert er mit einem Jürgen-Klopp-Gedächtnisspurt ekstatisch das zweite BVB-Tor.
16.50 Uhr: Den Bremer Dreifach-Wechsel kontert Tullberg mit zwei frischen Kräften. Julien Duranville und Maximilian Beier ersetzen die entkräfteten Jamie Gittens und Karim Adeyemi.
16.54 Uhr: Fast regungslos registriert Tullberg den Sonntagsschuss von Leonardo Bittencourt. Nur noch 2:1 für den BVB. Schlecht verteidigt zuvor von der Dortmunder Defensive. Reflexartig schaut der Trainer auf die Uhr. Es ist noch lange zu spielen …

17.01 Uhr: Das 2:2. Tullberg rauft sich die Haare, weil Duranville kurz zuvor bei einer Überzahl das 3:1 verdaddelt hat. Tullberg ruft: „Weiter, weiter“ und versucht damit, seine Elf zu mehr Aktivität zu animieren. Doch der Kräfteverschleiß ist nach mehr als einer Stunde Unterzahl deutlich zu erkennen.
17.06 Uhr: Der BVB schwimmt gewaltig, bekommt vor allem die rechte Abwehrseite gegen den eingewechselten Issa Kabore kaum noch geschlossen. Tullberg bringt Waldemar Anton für Julian Brandt.
17.21 Ein Wechselbad der Gefühle für Tullberg. Erst die Doppelchance für seinen BVB, dann im Gegenzug Riesenchaos im Dortmunder Strafraum. Wieder ist Werder über die rechte BVB-Abwehrseite durchgebrochen, mit Glück und einem Reflex von Gregor Kobel bleibt es beim 2:2
17.26 Uhr: Der Abpfiff, Tullberg klatscht die gesamte Bank ab, auf dem Rasen erfolgt eine innige Umarmung mit Werders Trainer Ole Werner. Zufrieden wirkt der 39-Jährige in diesem Moment natürlich nicht.
17.42 Uhr: Tullberg wird auch am Mittwoch gegen Schachtar Donezk auf der Bank sitzen. Das erklärt Sport-Geschäftsführer Lars Ricken in den Katakomben des Stadions. „Mike wird auch am Mittwoch auf der Bank sitzen. Das war eigentlich auch vorher schon klar. Ich habe ihm aber gesagt, dass es erst einmal ums Bremen-Spiel geht, weil ich hundert Prozent Mike Tullberg haben wollte – und den haben wir auch bekommen“ meinte der 48-Jährige.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26. Januar 2025.