BVB-Trainer Lucien Favre. © Kirchner-Media

Borussia Dortmund

Lucien Favre nutzt die Corona-Pause – bleibt er länger BVB-Trainer?

Lucien Favre hat bei Borussia Dortmund Höhen und Tiefen erlebt, die Corona-Pause nutzt der BVB-Trainer jetzt auf seine eigene Art und Weise. Vielleicht hat sie etwas Gutes.

Dortmund

, 24.04.2020 / Lesedauer: 5 min

Seit fast zwei Jahren hat Lucien Favre die Verantwortung für die Profimannschaft von Borussia Dortmund – es gab in dieser Zeit viele Höhen, aber auch einigen Tiefen. Zuletzt hatte der Schweizer den BVB wieder auf Kurs gebracht. Wenn die Liga ihren Betrieb wieder aufnimmt, findet seine Bewerbung um eine Weiterbeschäftigung unter stark veränderten Bedingungen statt.

Favre stellt seine BVB-Mannschaft vor neue Herausforderungen

Als der Schweizer Favre am Ende der ersten Juli-Woche des Rekord-Sommers 2018 in Dortmund seine Arbeit aufnahm, überraschte er viele seiner neuen Spieler. Von seiner Detailversessenheit hatte man zuvor gehört, wie das aber in der täglichen Praxis aussah, das stellte seine neue Mannschaft vor Herausforderungen.

„Sehr ungewöhnlich, aber lehrreich“ sei das manchmal, erzählte Abdou Diallo mit einem unüberhörbaren Schmunzeln. Auf ihn als Abwehrspieler, der noch jung war und neu bei der Borussia, kam Einzelunterricht zu. Stellungsspiel ist besonders wichtig für einen Verteidiger, doch Favre erklärte Diallo, Zagadou und Co. sogar, mit welcher Fußstellung man die besten Chancen besitzt, dem Gegner beim Anspiel in die Spitze einen Schritt voraus zu sein.

Coronavirus: Favre kann seiner geheimen Leidenschaft intensiver nachgehen

Die Arbeit an der richtigen Technik, erklärte Favre in der vergangenen Woche in einem Podcast-Format der Borussia, käme ja im normalen Betrieb oftmals ein wenig zu kurz. Jetzt aber, wo aufgrund der Corona-Beschränkungen Training nur in Kleingruppen erlaubt ist, Zweikämpfe weiter nicht geführt werden dürfen und Torschuss allein auf Dauer langweilig wird, kann Favre seiner geheimen Leidenschaft wieder intensiver nachgehen. „Viel Techniktraining“, sagt der 62-Jährige, stünde derzeit auf dem Programm, er klang dabei gar nicht so, als ob er dies als Einschränkung empfindet.

Favre hat im Frühsommer 2018 einen Zweijahresvertrag bei Borussia Dortmund unterschrieben, der im vergangenen Jahr um ein Jahr verlängert wurde. Schon seinerzeit war das ein großes Thema, denn auch wenn seine erste Saison in Dortmund vorab als eine Art Übergangsjahr definiert worden war, blieb die verspielte Meisterschaft nach zwischenzeitlich neun Punkten Vorsprung ebenso als Makel wie das frühe Scheitern in beiden Pokalwettbewerben. Der BVB hatte eine große Chance verspielt, das blieb für viele als Fazit nach einer eigentlich sehr ordentlichen Saison mit satten 76 Punkten haften. Aktuell ist Favre also bis zum 30. Juni 2021 an den BVB gebunden, doch die Frage, ob Borussia Dortmund über das Saisonende weiter mit dem 62-Jährigen plant, begleitet den Dortmunder Trainer auch in dieser Saison.

Favre bot Angriffsfläche für Kritiker

Gründe dafür gab es einige. Zu inkonstant trat die Mannschaft in der Hinrunde auf, sein stures Festhalten an formschwachen Spielern wie Manuel Akanji bot ebenso Angriffsflächen für Kritiker wie sein spätes Wechseln, sein In-Game-Coaching und fehlende taktische Flexibilität. Doch Favre bekam die Kurve nach dem peinlichen 3:3 gegen Paderborn, das ihn beinahe seinen Job gekostet hätte, heute aber als Saison-Wendepunkt gilt für Borussia Dortmund.

Sechster war der BVB nach diesem Spiel und hatte in zwölf Partien 18 Gegentore kassiert. Die 20 Punkte waren eine für die Ansprüche der Borussia indiskutable Marke. Die fiktive Tabelle ab dem 13. Spieltag aber weist Dortmund mit 31 Zählern punktgleich mit dem FC Bayern aus, keine andere Mannschaft war in diesem Zeitraum besser. 15 Gegentore in dieser Zeitspanne sind der Beleg für die Stabilisierung der Defensive.

Systemumstellung war Favres Glück beim BVB

Favre hat gepunktet durch eine Systemumstellung und auch durch ein verändertes Verhalten an der Seitenlinie. Ihm haben auch die Winter-Neuverpflichtungen geholfen: Mit Erling Haaland ist Borussia Dortmund offensiv noch variabler und unberechenbarer, mit Emre Can defensiv stabiler und präsenter in den Zweikämpfen. Demgegenüber steht allerdings das erneute frühe Ausscheiden in beiden Pokalwettbewerben, weiterhin droht bei vier Punkten Rückstand auf die Bayern auch das Verpassen des wichtigsten Saisonziels.

Als Lucien Favre durch die Corona-Zwangspause ausbrechen konnte aus dem Hamsterrad mit Spielen im Drei-Tages-Rhythmus, Training, Regeneration und Spielvorbereitung, blieb endlich mal Platz und Zeit für generelle Gedanken zur gesellschaftlichen Entwicklung. Favre hat kluge Worte gesprochen, als er anmahnte, dass diese Pandemie die Menschheit zum inne halten bringen müsse, dass es viel wichtigere und drängendere Probleme gebe als eine Pause im Profi-Sport, und dass die Coronakrise auch gezeigt habe, dass es ein „immer besser, immer weiter“ danach nicht mehr geben dürfe. Zweifel, ob dieses notwendige Umdenken auch tatsächlich einsetzen wird, hat Favre auch geäußert.

Geisterspiele werden neue Herausforderung für den BVB

Wenn im Mai die Bundesliga-Saison hoffentlich fortgesetzt werden kann, rücken die sportlichen Herausforderungen wieder in den Vordergrund. Es ist schwer, jetzt vorauszusagen, wie die Mannschaften mit den dann veränderten Rahmenbedingungen klar kommen werden. Es werde schwer sein, eine Mannschaft mental darauf vorzubereiten, „wenn Lärm und Pfiffe fehlen“, hat Favre gesagt. Borussia Dortmund hat beim Geisterspiel in Paris einen kleinen Vorgeschmack darauf bekommen, wie es sein wird, dauerhaft vor leeren Rängen zu spielen.

Favre wird vor allem auch in dem Punkt gefordert sein, seine Elf wieder mental auf den Titelkampf einzuschwören. Dass alle Mannschaften mit extrem veränderten Rahmenbedingungen klar kommen müssen, könne zu vielen überraschenden Ergebnissen führen, hat Sebastian Kehl unlängst prophezeit. Das könnte ein Vorteil sein für die Borussia, gewiss ist das aber nicht. Die restliche Saison wird unter erschwerten Bedingungen ablaufen – ziemlich sicher wird auch der Start in die neue Spielzeit noch von dieser Pandemie, die das Leben fast aller Menschen auf den Kopf gestellt hat, beeinflusst werden.

Favre könnte vielleicht länger beim BVB bleiben

Das Abschneiden in dieser Saison gilt weiter als ein wichtiger Maßstab für die Beurteilung von Favres Arbeit. Die aktuelle Ungewissheit, die ziemlich sicher den Transfermarkt im Sommer prägen wird, könnte sich aber auch auf den Trainermarkt auswirken. Am Bewährten festzuhalten, kann eine sinnvolle Lösung sein. Verpasst der BVB die Meisterschaft, hält aber den zuletzt eingeschlagenen Kurs, muss das daher nicht das Ende von Favres Zeit beim BVB bedeuten.

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