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Kritik am BVB-System: Wieso Reus nach der Leipzig-Pleite so scharfe Worte wählte
Borussia Dortmund
BVB-Kapitän Marco Reus hat nach dem 1:2 in Leipzig in scharfen Worten die Dortmunder Taktik kritisiert. Ging er damit bewusst auf Konfrontation oder ist es einer anderen Sorge geschuldet?
Am Freitag durfte sich Marco Reus etwas überraschend auf den Heimweg nach Dortmund machen. Die Dienstreise der DFB-Elf zum WM-Qualispiel am Sonntag in der armenischen Hauptstadt Eriwan darf der BVB-Kapitän auslassen. „Belastungssteuerung“ führte der deutsche Fußball-Bund am Freitag als Grund an. Das dürfte vor allem Reus‘ Heimatklub Borussia Dortmund freuen, der zuletzt leidvolle Erfahrungen machen musste mit verletzt von ihren Auswahlen zurückkehrenden Nationalspielern. Und ohne den fehlenden Erling Haaland lastet die Hauptverantwortung in der BVB-Offensive auch in den kommenden Wochen auf Reus, dem Dortmunder Urgestein.
BVB-Kapitän Marco Reus kritisiert Rose-Taktik
Reus hat für Aufsehen gesorgt in den vergangenen Tagen. Weniger auf dem Rasen, als mehr danach vor den Fernsehkameras. Nach dem 1:2 in Leipzig, der zweiten Niederlage in einem wichtigen Pflichtspiel binnen drei Tagen, war der Frust vor den Mikrofonen des TV-Senders „Sky“ nur so aus ihm herausgesprudelt. Reus prangerte das Versagen der Mannschaft in den ersten 45 Minuten an, er kritisierte mit klaren Worten vor allem die taktische Herangehensweise in diesem Spiel. Gegen die zu erwartende Offensivpower der Sachsen und aufgrund der Personalnot auf der linken Abwehrseite hatte Trainer Marco Rose mit drei Innenverteidigern in der Kette und zwei bei gegnerischem Ballbesitz zurückweichenden Außenbahnspielern davor agiert. „In der Fünferkette“, sagte Reus, „haben wir einen Mann weniger im Zentrum, der mit uns pressen kann, und damit kommen wir gar nicht klar. Das müssen wir ganz klar so sagen.“ Besser sei es erst nach der Umstellung zur Pause geworden.
Reus‘ Worte bargen eine gewisse Brisanz. Denn sie ließen sich kaum anders interpretieren, als dass es zwischen Trainer und Teilen der Mannschaft unterschiedliche Auffassungen darüber gab, in welcher Systematik Borussia Dortmund am erfolgversprechendsten Fußball spielen kann. Rose, eigentlich Verfechter der Viererkette, hat die Systematik in den vergangenen Wochen gleich mehrfach geändert. Das war oftmals allerdings weniger dem Gegner, als vielmehr dem ihm nur begrenzt zur Verfügung stehenden Personal geschuldet.
BVB-Trainer Marco Rose und Reus haben sich ausgesprochen
Schon unter Lucien Favre gab es in Dortmund die Diskussion über System und Taktik. Im Herbst 2019 wechselte Favre nach wenig zufriedenstellenden Ergebnissen auf sanftem Druck aus der Kabine, wie damals zu vernehmen war, das System. Kurioserweise ging es damals darum, mit einer Dreier- statt Viererkette mehr Stabilität in die Defensive zu bekommen.
Ob Reus bewusst auf Konfrontation zu seinem Trainer gehen wollte, lässt sich allerdings schwer überprüfen. „Mal wieder Grummeln über den Trainer“ titelte am vergangenen Montag die „Süddeutsche Zeitung“ und deutete damit zunehmende Unzufriedenheit über die Arbeit von Marco Rose an. Reus‘ Kritik dürfe man als „Echo der Stimmung in der Kabine“ werten. Der Verein ließ zuvor schon verlauten, dass es noch am Abend nach dem Spiel in Leipzig ein kurzes Gespräch zwischen Kapitän und Marco Rose gegeben habe. Tenor: alles sei wieder in Ordnung! Als Kapitän darf Reus durchaus meinungsstark sein, man kann allerdings davon ausgehen, dass Rose ihm erklärt haben dürfte, solche Diskussionen künftig besser intern zu führen.
Droht BVB-Kapitän Marco Reus wieder eine Saison ohne Meistertitel?
Vielleicht ist es allerdings auch so, dass nur der Frust Marco Reus ein wenig übers Ziel hinausschießen ließ. Reus ist 32, er hat einmal mit angerissenem Kreuzband und der trüben Aussicht auf eine monatelange Pause den DFB-Pokal in den Berliner Himmel gestemmt (2017) und im Mai dieses Jahres seinen zweiten Pokal-Titel coronabedingt ohne Fans feiern müssen. Der Meisterschale ist Reus mit dem BVB seit seiner Rückkehr im Sommer 2012 bislang vergeblich hinterhergejagt. Allzu viele Chancen wird er in seinem Alter nicht mehr bekommen.
Vielleicht also waren Reus‘ Worte auch der Sorge geschuldet, die nächste Gelegenheit schon sehr früh in der Saison und fahrlässig zu verspielen. Auf vier Punkte ist der Rückstand auf die Bayern angewachsen, Anfang Dezember kommt es in Dortmund zum direkten Duell. Da könnte der Rückstand bei einer erneuten Niederlage vorentscheidend anwachsen. Auch die Spiele davor gegen den VfB Stuttgart und beim VfL Wolfsburg haben es durchaus in sich.
Marco Reus schielt auf den Weltmeistertitel in Katar
Reus‘ Sehnsucht nach Titeln ist ungebrochen. Das spürt man auch im DFB-Trikot, wo der Dortmunder ohnehin noch Nachholbedarf hat, weil er verletzungsbedingt viel zu oft absagen musste. Alter, Verletzungsvorgeschichte, die verkorkste EM im Sommer, der Trainerwechsel von Joachim Löw zu Hansi Flick, das wären Gründe genug gewesen, um über einen Rücktritt aus der Nationalmannschaft nachzudenken. Für Reus war das aber kein Thema. Katar ist das Ziel, die WM im Spätherbst 2022 wird, und das ist ziemlich sicher, definitiv seine letzte Titelchance im Trikot mit dem Adler sein.
In Dortmund werden es hoffentlich einige mehr sein. Vielleicht waren seine Worte in Leipzig daher vor allem eins: ein Weckruf an alle, der aus seiner Sicht nach zwei Niederlagen in Serie dringend angesagt war.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
