Eineinhalb Jahre lang ist Justin Njinmah für die U23 von Borussia Dortmund auf Torejagd gegangen – und das mit Erfolg, er war in der vergangenen Saison mit 13 Treffern in 34 Partien der mit Abstand erfolgreichste BVB-Torschütze in der 3. Liga. Dennoch entschieden sich die Dortmunder Verantwortlichen gegen das Ziehen der Kaufoption. Njinmah kehrte zu Werder Bremen zurück und sorgt dort in dieser Spielzeit für Furore, spielt sich sogar in den Fokus der Nationalmannschaft. Im Interview mit Cedric Gebhardt spricht der 23-Jährige vor dem Dortmund-Wiedersehen am Samstag (18.30 Uhr, live auf Sky) über die rasante Entwicklung an der Weser, seine EM-Hoffnung und das Duell gegen seinen Ex-Klub.
Herr Njinmah, haben Sie eigentlich derzeit viele blaue Flecke am Körper?
Nein, warum?
Wir haben gedacht, Sie mussten sich in letzter Zeit häufiger mal fest kneifen. Vor drei Jahren waren Sie noch nicht einmal Stammspieler in der Regionalliga, heute sind Sie einer der Shootingstars in der Bundesliga.
(lacht) Ab und zu muss ich mich schon noch mal kneifen. In der Corona-Zeit saß ich bei Holstein Kiel II in der Regionalliga nur auf der Bank. Ich war noch weit weg vom Profi-Fußball und habe keine wirkliche Perspektive gesehen. Da hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich wenig später mal neben Bellingham und Haaland auf dem Platz stehen würde. Über Dortmund ging es nach Bremen und im Fußball kann es schnell gehen, das habe ich am eigenen Leib erlebt. Mittlerweile habe ich das alles verarbeiten und einordnen können. Die blauen Flecke verschwinden allmählich.
Clemens Fritz hat kürzlich bei einer Podiumsdiskussion gesagt, dass die Geschwindigkeit Ihrer Entwicklung in diesem Maße für ihn nicht absehbar gewesen sei. Kam Ihre eigene Entwicklung für Sie ähnlich unvorhergesehen?
Nein, sie kam für nicht unvorhergesehen, aber doch schneller als ich gedacht habe. Dass ich schon in meiner ersten Saison so viel Spielzeit erhalte und auch noch treffe, ist natürlich ein unglaubliches Gefühl. Aber ich bin immer noch weit entfernt davon zu sagen, dass es für mir persönlich eine super Saison ist. In der Hinrunde bin ich schließlich häufig nur von der Bank gekommen. Mein Ziel ist es natürlich, immer auf dem Platz zu stehen.
Was war ausschlaggebend dafür, dass Sie zum Stammspieler geworden sind und sich neben Marvin Ducksch im Angriff etabliert haben?
Was genau es war, kann ich gar nicht so richtig sagen. Ich habe auch in der Hinrunde bei meinen Joker-Einsätzen schon gut auf mich aufmerksam machen können und als Einwechselspieler getroffen. Vielleicht ist mir das zum Verhängnis geworden, dass ich die Joker-Rolle so gut ausgefüllt habe. (lacht) Aber ich musste mich im Verlauf der Hinrunde über die Joker-Einsätze durchsetzen und das habe ich geschafft. Deswegen freut es mich umso mehr, dass ich jetzt regelmäßig in der Startelf stehe.
Schon während Ihrer Zeit bei der BVB-U23 haben Sie immer wieder betont, dass Sie ein Unterschiedsspieler sein möchten. In Bremen sind Sie genau das immer häufiger. Inwieweit kommt Ihnen die Spielweise von Werder dabei entgegen?
Ich habe einfach immer das Gefühl, dass ich in jedem Spiel ein Tor machen kann. Ich kann mich an kaum ein Spiel erinnern, in dem ich nicht in eine torgefährliche Situation gekommen bin. Unser Spielsystem ist sicherlich von Vorteil, aber ich kann mich mit meinen Stärken auch gut anpassen.

Denken Sie manchmal darüber nach, wie es gewesen wäre, wenn Niclas Füllkrug nicht aus Bremen nach Dortmund gewechselt wäre? Durch seinen Abgang war für Sie der Raum vorhanden, sich zu entfalten.
Natürlich hätten wir mit Niclas Füllkrug noch einen Stürmer, der hier bei uns gesetzt wäre. Das wäre wahrscheinlich nicht zu meinem Vorteil gewesen. Aber das ist letztlich in jedem Verein so. Und wir haben nach Füllkrugs Abgang in Rafael Borre schnell einen Nachfolger verpflichtet, der auch sofort gesetzt war. Ich bin als Stürmer Nummer fünf hier gestartet und musste mich erst mal beweisen. Aber dabei konnte ich von meinen Erfahrungen aus den vergangenen Jahren profitieren. Es hat mir geholfen, nicht immer die erste Wahl gewesen zu sein, mich auch mal hinten anstellen zu müssen. Ich musste mich durchbeißen und das ist mir gelungen.
Welche Rolle spielt Ihr Trainer Ole Werner, den Sie ja schon aus Ihrer Zeit in Kiel kannten, für Ihre Entwicklung?
Das kann ich gar nicht wirklich beurteilen. Es ist nicht so gewesen, dass ich, nur weil wir uns schon vorher kannten, Vorschusslorbeeren erhalten hätte. Ich wurde in den ersten drei Pflichtspielen nicht berücksichtigt, musste mir alles selbst durch Leistung erarbeiten.
Ihre Leistungen sind auch beim DFB nicht verborgen geblieben. Geschäftsführer Andreas Rettig hat jüngst gesagt, Sie seien durchaus im erweiterten Blickfeld der Nationalmannschaft. Was macht so eine Aussage mit Ihnen?
Das ist natürlich schön zu hören. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass ich noch neu in der Bundesliga bin und mir und den Leuten da draußen erst noch viel beweisen muss. Aber dass ich nach gut 20 Bundesliga-Spielen in solchen Sphären gehandelt werde, motiviert mich und es zeigt mir, dass sich, wenn ich weiter Gas gebe, Möglichkeiten auftun könnten, die ich vor ein paar Jahren noch für unvorstellbar gehalten hätte.
Im März stehen zwei Länderspiele gegen Frankreich und die Niederlande an. Ist Julian Nagelsmann schon auf Sie zugekommen?
Nein, bislang noch nicht.
Haben Sie schon Urlaubspläne für den Sommer geschmiedet oder halten Sie sich den Juni und Juli für die Europameisterschaft frei?
Es sind noch zehn Bundesliga-Spiele in dieser Saison. Und im Fußball kann es sehr schnell gehen. Ich habe mir noch keinen Urlaub gebucht, aber es ist trotzdem sehr unwahrscheinlich, dass ich im Sommer die Heim-EM spiele – so ehrlich muss man schon sein.

Zuletzt hieß es, auch die nigerianische Nationalmannschaft habe ein Auge auf Sie geworfen. Wäre es ebenfalls eine Option, für das Heimatland Ihres Vaters zu spielen?
Das wäre definitiv auch vorstellbar, da ich Nigeria durch meine Familie ebenfalls sehr verbunden bin. Nigeria ist eine super Fußball-Nation mit tollen Spielern wie Victor Osimhen, Samuel Chukwueze oder Victor Boniface. Wenn man sich diese Namen anhört, ist es auch dort nicht einfach, zur Nationalmannschaft zu gehören. Deswegen freut es mich, wenn sie mich auf dem Schirm haben.
Reden wir übers Tagesgeschäft. Am Samstag erwarten Sie mit Werder den BVB im Weserstadion. In Dortmund rätseln gerade viele, wie stark die Borussia wirklich ist. Bis letzten Sommer waren Sie selbst beim BVB. Wie nehmen Sie aus dem fernen Norden die Entwicklung bei Ihrem Ex-Klub wahr?
Auch wenn ich die Spiele von Dortmund natürlich regelmäßige verfolge, ist es für mich schwierig, das einzuordnen. Aber am Ende des Tages hat Borussia Dortmund Spieler mit so viel individueller Qualität, die mit einer Aktion ein Spiel entscheiden können. Das hat man ja am letzten Spieltag bei Karim Adeyemi gegen Union Berlin gesehen. Und das ist natürlich gefährlich für uns.
Der Sportliche Leiter der BVB-U23, Ingo Preuß, soll Sie nach Ihrem Weggang aus Dortmund in die Pflicht genommen. Er soll Ihnen mitgeteilt haben, er sei in dieser Saison erst zufrieden, wenn Sie acht Saisontore erzielt haben. Momentan stehen Sie bei fünf Treffern. Wir nehmen an, Sie wollen ihn nicht enttäuschen.
(lacht) Ja, das hat mir Ingo in der Tat gesagt und da will ihn und auch mich selbst nicht enttäuschen. Ob es damit klappt, hängt aber natürlich auch davon ab, ob ich gesund bleibe und wie viele Spiele ich noch mache. Aber acht Tore zu erzielen, ist definitiv ein realistisches Ziel. Ich bin bereit für Dortmund am Samstag.
In einem Interview mit dem YouTuber Bilal Kamarieh haben Sie vor ein paar Wochen verraten, dass Sie sich, als es mit Ihrer Profi-Karriere nichts zu werden schien, mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten haben. Damals waren Sie auch als Postbote tätig. Sie wissen demnach, wie man austeilt. Bekommt der BVB das am Samstag zu spüren?
(lacht) Ich werde jedenfalls alles geben, um zu gewinnen. Wir wollen immer wieder Nadelstiche setzen. Gerade zu Hause im Weserstadion mit unseren Fans im Rücken haben wir in dieser Saison schon gezeigt, dass wir größere Mannschaften ärgern können. Genau das wollen wir auch mit Dortmund machen.