Der BVB setzt sich seit Jahren gegen jegliche Form von Diskriminierung ein. Borussia Dortmund möchte verbinden und nicht ausgrenzen. Ein wichtiger Baustein der Antidiskriminierungsarbeit sind Aktionstage mit Fans sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Vereins. Beim jüngsten Aktionstag „SchwarzBuntGelb – für mehr Vielfalt im Fußball. Gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit“ war Julia Monro eine der Gastrednerinnen. Die 41-Jährige, selbst eingefleischter BVB-Fan, wurde als Junge großgezogen, konnte sich aber mit der männlich zugewiesenen Rolle nicht identifizieren. Seit einem nicht selbstbestimmten Outing setzt sie sich für die Belange von trans* Menschen ein. Im Interview mit RN-Redakteur Cedric Gebhardt spricht Monro über ihren Umgang mit wiederkehrenden Vorurteilen, welche Ängste sie beim Besuch im Dortmunder Stadion begleiten und was sie sich vom BVB als gesellschaftlicher Akteur wünscht.
Frau Monro, wieso sind Sie als Gastrednerin beim BVB-Aktionstag aufgetreten?
Die Idee, einen solchen Aktionstag gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit durchzuführen, hatte ich schon länger. Über einen Redakteur des „kicker“ gab es dann eine Verbindung zum BVB und ich habe mich sehr gefreut, als der BVB auf mich zugekommen ist. So durfte ich die Planungen zum Aktionstag beratend begleiten und mir wurde dann auch die Ehre zuteil, dass ich eine einführende Impulsrede halten durfte, um einen groben Überblick zu verschaffen, wie die Realität von LSBTIQ*-Menschen aussieht. Mein Anliegen besteht grundsätzlich darin, Aufklärungsarbeit zu leisten. In den Medien liest man beispielsweise häufig, das Thema trans* sei ein Hype oder ein Trend. Dem möchte ich gerne entgegenwirken und zeigen, dass es oftmals totaler Quatsch ist, der da erzählt wird. Ich versuche darüber aufzuklären, wie trans* Menschen in Deutschland leben, wie sie sich fühlen, mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben und wie schwierig es ist, in der Gesellschaft Akzeptanz zu finden. Damit möchte ich erreichen, das Leben von trans* Personen besser zu machen. Der BVB-Aktionstag bot hierfür eine einmalige Gelegenheit Menschen zu erreichen, die sonst kaum Berührungen mit solchen Themen haben.

Woher kommt Ihre Verbindung zu Borussia Dortmund?
Zum einen durch meine Leidenschaft für den BVB. Was mich an Dortmund so reizt, ist diese Authentizität. Als der BVB 1993 im Finale des Uefa-Pokals stand und gegen Juventus Turin verloren hat, habe ich erstmals die Leidenschaft gespürt, die aus dem Ruhrpott von diesem Verein ausgeht, obwohl ich selbst gar nicht aus dieser Region komme. Das war für mich alles so aufrichtig und hat mir sehr imponiert. Seitdem war klar, dass ich BVB-Fan bin. Es hat für mich eine ganz besondere Bedeutung, dass mein Verein sich mit meinem Thema so auseinandersetzt. Zum anderen hat der Fußball eine sehr große Reichweite, um Aufklärungsarbeit leisten zu können. Gerade dort kann man ein großes Publikum erreichen, um über bestimmte Themen aufzuklären.
Warum sind Ihnen Fußballfans als Zielgruppe so wichtig?
Fußball ist bis heute noch sehr stark eine Männerdomäne. Es gibt auch Vereine und Fanclubs, die sich speziell dem Thema Homosexualität gewidmet haben. Aber für das Thema trans* existiert nur sehr wenig. Deshalb ist es mir wichtig, das zu thematisieren und zu sensibilisieren. Ich habe selber sehr lange Angst gehabt und wollte diese Angst durchbrechen.

Welche Angst meinen Sie?
Ich bin seit 2013 BVB-Mitglied und früher während einer Saison regelmäßig ins Stadion gegangen. Aber das war seit dem Outing 2016 gar nicht mehr möglich. Ich hatte zum einen durch die Transition keinen Kopf mehr dafür, weil man in zahlreiche Belastungssituationen katapultiert wird. Man muss z.B. Konflikte in Familie und Freundeskreis oder am Arbeitsplatz aushalten und etliche Anträge bei der Krankenkasse stellen. Da ist man eine Weile ordentlich beschäftigt. Einige Situationen lassen sich nach einer gewissen Zeit bewältigen, andere bestehen den Rest des Lebens fort. In so einer Phase hat man kaum Zeit, Luft zu holen und ich habe meine Bedürfnisse auf existenziellen Überlebenswillen reduzieren müssen. Dinge, die Freude bereiten, hatten über einen langen Zeitraum keinen Platz mehr. Nachdem das Gröbste überstanden war, kam auch wieder das Interesse für den BVB zurück und damit ganz andere Fragestellungen: Ich habe mir große Sorgen gemacht , wie man wohl im Stadion mit mir als trans* Person umgeht. Wenn jemand homosexuell ist, sieht er nach dem Outing in der Regel immer noch genauso aus und besucht danach auch weiterhin die gleiche Toilette und trägt den selben Namen. Das ist bei einer trans* Person anders. Du siehst eine drastische optische Veränderung, dein Name, die Anrede, die Pronomen, die Umkleidekabine, die Toilette – das alles ändert sich. Du bist sichtbar und das fällt auf. Ich habe mir die Frage gestellt, wie gerade ein männerdominiertes Umfeld, in dem mitunter viel Alkohol getrunken wird und bei dem es ein gewisses Gewaltpotenzial gibt, mit mir als trans* Person im Stadion umgeht? Das hat mir sehr lange Angst bereitet. Deshalb bin ich fünf Jahre lang gar nicht ins Stadion gegangen.

Aber dann haben Sie es doch getan.
Ja, und zwar als ich tolle Menschen beim BVB kennengelernt habe. Dann sind wir in einer Gruppe mit mehreren trans* Personen und Menschen, die sich von Ballspiel.vereint und vom Fanprojekt Dortmund mit uns solidarisch gezeigt haben, ins Stadion gegangen und haben beim Heimspiel gegen Mainz 05 im Oktober 2021 ein Spruchbanner der „Kick racism out“-Kampagne hochgehalten. Da habe ich mich ermutigt und stark gefühlt. Das Gruppengefühl nimmt einem die Angst und gibt einem den Mut und die Sicherheit. Man weiß, es gibt Leute, die hinter uns stehen, wenn eine blöde Situation eintreten.
Wie waren die Reaktionen auf Ihren Stadionbesuch?
Hinter uns hat es Kommentare über lackierte Fingernägel gegeben. Es waren hinter uns auch einige beleidigende Sprüche zu hören. Es war nicht bedrohlich, aber schon verunsichernd. Aber dadurch, dass wir als Gruppe dort waren, haben wir uns einigermaßen sicher gefühlt. Im Stadion gab es keine brenzligen Situationen. Aber auf dem Weg ins Stadion habe ich mich immer wieder umgeguckt, wie wir gemustert und wahrgenommen werden. Je größer die Menge an Menschen um uns herum wurde, desto sicherer habe ich mich gefühlt, wobei das natürlich eigentlich total paradox ist. Aber in der Masse konnte man quasi in der Anonymität untertauchen und wurde nicht so intensiv wahrgenommen. Wenn Leute einem hingegen direkt gegenübergestanden haben, haben sie schon irritiert geguckt.

Können Sie die Irritation, die Sie schildern, auch ein Stück weit nachvollziehen, weil viele Menschen in ihrem Alltag schlichtweg keine Berührungspunkte mit trans* Menschen haben? Oder ist das trotzdem jedes Mal verletzend für Sie?
Jedes Mal, wenn Menschen so reagieren, macht es mir bewusst, wie ich wahrgenommen werde. Mittlerweile weiß ich, damit umzugehen. Aber eigentlich möchte ich anders wahrgenommen werden.
Nämlich wie?
Ich würde mir wünschen, dass ich eindeutig als Frau wahrgenommen und nicht mit irritierten Blicken konfrontiert werde. Klar, ich bin nicht gerade sehr klein. Ich bin 1,92 Meter groß und falle schon allein deshalb auf. Es kommt auch oft vor, dass ich eindeutig als Frau gelesen werde. Aber in den Fällen, in denen es nicht so ist, merkt man, dass man doch nicht als Frau durchgeht. Das tut dann schon weh und macht mich manchmal betroffen.
Sie sagen, dass Sie in der Gruppe ein überwiegend positives Stadionerlebnis hatten. Sind Sie danach auch allein schon mal wieder ins BVB-Stadion gegangen?
Nein. Nur in „professioneller“ Funktion als Beraterin für den Aktionstag zum Beispiel.

Warum nicht?
Weil ich immer die Begleitung brauche, um mich abgesichert zu fühlen. Ich brauche schon das Gefühl, dass jemand solidarisch an meiner Seite steht und mir den Rücken stärkt, falls eine unangenehme Situation eintreten sollte. Ganz davon abgesehen macht es alleine auch gar keinen Spaß.
Wie wird es möglich sein, die Akzeptanz zu erfahren, die Sie sich wünschen?
Das kann nur durch Aufklärungsarbeit funktionieren, durch Aktionstage, wie sie der BVB durchgeführt hat, aber auch durch Sichtbarkeit. Es geht darum, von Vorurteilen wegzukommen und in den Dialog zu treten. Menschen, die uns angreifen, haben vielfach ein falsches Bild von uns. Das kann man nur geraderücken, indem man in den Dialog geht und sie einlädt, sich mal anzuschauen, wie die Lebensrealität wirklich ist. Natürlich gibt es Menschen, die haben keinerlei Empathie – da ist dann auch Hopfen und Malz verloren. Die sind in ihrer Meinung und Ablehnung so festgefahren, daran lässt sich nicht rütteln. Aber es gibt eben auch diejenigen, die offen und empathisch sind, und einfach nur ein falsches Wissen haben. Diese Menschen kann man gut erreichen und aufklären, indem man miteinander spricht.

Was erhoffen Sie sich in dieser Hinsicht von gesellschaftlichen Akteuren, wie zum Beispiel Borussia Dortmund?
Mir geht es um eine grundsätzliche Haltung. So ein Aktionstag, wie wir ihn beim BVB gemacht haben, ist natürlich ungemein wertvoll. Aber es darf nicht bei einer einmaligen Sache bleiben. Es geht darum, diese Haltung grundsätzlich zu leben, Aufklärungsarbeit innerhalb des Unternehmens zu platzieren und zu leisten und das nach außen hin auch zu zeigen. Der BVB ist da auf einem guten Weg, aber es könnte definitiv noch mehr passieren.
Was zum Beispiel?
All-Gender-Toiletten im Signal Iduna Park wären ein gutes Signal. Das Toiletten-Thema ist für jede trans* Person und gerade für trans* Frauen sehr schwierig. Wenn du als trans* Frau das Damen-WC aufsuchst, gibt es häufig komische Blicke. Da die Akzeptanz bei Männern noch geringer ist, willst du als trans* Frau aber erst recht nicht aufs Herren-WC gehen. Bisher sind Toiletten mit männlich und weiblich ausgeschildert. Damit hast du allen ein Verbot ausgesprochen, die nicht diesem Symbol entsprechen. Wenn du aber zum Beispiel Toiletten mit einem Piktogramm versehen würdest, mit Sitz- oder Stehtoilette, symbolisierst du ein Angebot, das jeder Mensch je nach Bedarf frei in Anspruch nehmen kann. Das ist kein Ausschluss mehr, sondern alle können frei entscheiden. Es ist eine ganz andere Haltung. Das eine ist ausgrenzend, das andere ist einladend. Das würde bedeuten, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität diese Räume aufsuchen können, die sie benötigen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das ganz gut funktioniert. Man muss sich nur mal klarmachen: Im Zug oder Flugzeug haben wir auch All-Gender-Toiletten.

Wie könnte der BVB außerdem ein Zeichen setzen?
Echte Liebe ist ja das Motto des Vereins. Vielleicht könnte der BVB beim nächsten CSD in Dortmund mit einem eigenen Truck vertreten sein – dann mit dem Motto ‚Echte Liebe für alle‘. Wichtig ist mir vor allem die Sichtbarkeit. Denkbar wäre auch ein eigenes Positionspapier, das eine öffentliche Haltung zeigt und für alle wahrnehmbar ist. Hilfreich wäre es auch, wenn prominente Akteur*innen des BVB sich zu diesem Thema äußern. Ich würde gerne mal mit Mats Hummels zum Beispiel über diese Themen sprechen, das fände ich stark. Wenn man solche Menschen als Verbündete, als sogenannte „Allies“ hat, dann sendet das natürlich ein bedeutendes Signal an eine viel größere Anhängerschaft. Aber davon abgesehen, würde ich auch so mal sehr gerne mit ihm schnacken.
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