Vor der Südtribüne holten sich völlig erschöpfte Dortmunder verdienten Applaus der treuesten Fans ab. Das Ergebnis im Spitzenspiel gegen RB Leipzig war nicht schöner anzusehen für den BVB, der nach dem 2:3 nun vier Punkte Rückstand auf die Roten Bullen und Platz vier aufweist. Dennoch hatten die Fans die erhoffte Reaktion ihrer Mannschaft gesehen. In einer am Ende wilden Partie hatte die Borussia in der fünften Minute der Nachspielzeit und nach 75 Minuten Unterzahl noch die große Ausgleichschance. Niklas Süles Schuss von der rechten Strafraumkante aus aber strich um Zentimeter am Tor der Gäste vorbei. Der Innenverteidiger schlug verzweifelt die Hände vors Gesicht.
BVB-Verteidiger Hummels sieht Rot
Über die Szene, die den Verlauf der Partie natürlich maßgeblich beeinflusste, ließ sich später trefflich streiten. Unstrittig war das Foul von Mats Hummels, mit dem er als letzter Mann den davoneilenden Lois Openda stoppte. Schiedsrichter Sven Jablonski entschied ohne zu Zögern auf Elfmeter und Gelb für den Dortmunder Abwehrchef. Doch der VAR schaltete sich ein. Eine Abseitsstellung von Openda lag nicht vor, weil Thomas Meunier beim Abwehrversuch des Passes von Xaver Schlager den Ball bewusst ablenkte. Doch es galt zu prüfen, ob das Foul innerhalb des Strafraums passierte.
Das Ergebnis konnte der Borussia eigentlich nicht gefallen, denn nach Ansicht der Bilder verlegte Jablonski den Tatort auf außerhalb des Strafraums – und zückte folgerichtig gegen Hummels die Rote Karte (15.). Der wusste, was kam und stapfte bedient vom Feld, noch bevor er die Karte sah – und dürfte sich dabei gefragt haben, ob er seiner Mannschaft mit der riskanten Grätsche nicht einen Bärendienst erwiesen hatte.
BVB-Torhüter Kobel auf dem Posten
An der Unterzahl hatte Dortmund zu knacken. Trainer Edin Terzic brachte in Süle einen Innenverteidiger und opferte Jamie Bynoe-Gittens. Eine logische, gleichwohl schwierige Entscheidung, denn fortan fehlte zur Entlastung ein schneller Konterspieler. Im 4-4-1 gegen den Ball hatte der BVB ohnehin aber zunächst seine liebe Mühe, Leipzigs Kombinationsfluss einzudämmen. Terzics Elf suchte nach Ordnung und Zugriff – und ließ sich sehr tief in die eigene Hälfte drängen. Zum Teil standen acht Dortmunder im oder am eigenen Strafraum. Daraus resultierten 9:0-Torschüsse für die Gäste bis zur 25. Minute, zwei musste Gregor Kobel entschärfen.
Ausgerechnet, als sich die Borussia gefangen und etwas besser eingestellt hatte, fiel das Führungstor für die Gäste – maximal unglücklich für die Heimmannschaft, denn Ramy Bensebaini hatte Gegenspieler Mohamed Simankan einen Moment aus den Augen verloren, stieg dann gegen den Leipziger hoch zum Kopfball und lenkte die Kugel ins eigene Tor (32.).
Eingewechselter Süle bringt den BVB zurück
Nachdem die Rote Karte den guten Start der auf fünf Positionen veränderten BVB-Elf zunichtemachte, war das Tor für die Gäste dann ein richtiger Stimmungskiller auf den Tribünen. Und die oft ungenauen Pässe der eigenen Mannschaft beim Versuch, in Ballbesitz aus der eigenen Hälfte zu kombinieren, blieben bis in die Nachspielzeit ein Problem.
Doch in den fünf Minuten Extrazeit wurde die Borussia dann doch noch für so etwas wie eine Druckphase in Richtung Leipziger Tor belohnt. Schon Meunier, wie erwartet auf der rechten Seite mit seinem Saisondebüt bei den Profis, hätte das 1:1 machen können. Niclas Füllkrug hatte vorgelegt, Emre Can mit einem mutigen Solo die Leipziger Defensive aufgerissen (45.+3). RBL-Schlussmann Janis Blaswich hielt, ebenso den anschließenden Kopfball von Salih Özcan (45.+5), doch dann lag die Kugel im Tor. Julian Brandt hatte butterweich auf den zweiten Pfosten geflankt, dort stand Süle völlig alleine (45.+6).
BVB mit großer Moral gegen Leipzig
Der Ausgleich wurde auf den Rängen frenetisch gefeiert und schickte die beiden Teams mit unterschiedlichen Gefühlslagen in die Kabine. Wie sehr Leipzig an der Entstehung des Treffers zu knacken hatte, zeigten die ersten Minuten nach Wiederbeginn, in denen die Sachsen mehrfach zu hektisch den Abschluss suchten. Kurios, dass dennoch das 2:1 für die Gäste fiel: Nico Schlotterbeck und Süle verloren im Zentrum gegen Christoph Baumgartner entscheidende Zweikämpfe, Meunier, der dann außen Xavi Simons viel energischer hätte stören müssen, ließ den Haken und Schuss des RB-Angreifers zu. Kobel wehrte den Ball genau vor die Füße von Baumgartner ab, der schob ein – alles war in dieser Szene gegen die Borussia gelaufen (54.).
Bemerkenswert, dass Einsatz und Wille auch nach diesem neuerlichen Rückschlag da waren. Für die Abstimmung untereinander und Sicherheit im Ballvortrag galt das weiterhin nicht. Für eine Mannschaft in Unterzahl gingen zu viele Bälle leichtfertig verloren, das zerstörte oft gute Konteransätze, die es gab, weil die Gäste nach dem Tor erneut einen Gang zurückschalteten. Die Hoffnung auf den zweiten Lucky Punch aber lebte beim BVB. Mit der Einwechslung von Karim Adeyemi brachte Terzic Frische und Tempo für die Schlussphase. Zunächst musste Kobel allerdings gegen Raum und Baumgartner binnen zehn Sekunden zwei Mal das 1:3 verhindern (73.).
Neue BVB-Hoffnung durch Füllkrug
Weil die Mannschaft fightete und alles reinwarf, kam von den Rängen wichtige Unterstützung zurück. Das Leipziger Konterverhalten war mittlerweile grotesk schlecht, Terzic stellte dann auf Dreierkette um und brachte in Donyell Malen und Giovanni Reyna seine letzten offensive Optionen. Dortmund ging nun volles Risiko und war sehr offen für Konter. Auf Kobel war aber weiter Verlass, der Schweizer entschärfte auch den Schuss des eingewechselten Benajmin Sesko (86.).
Wie im ersten Durchgang überschlugen sich in der Schlussphase die Ereignisse. Wieder ein RB-Konter, der eingewechselte Yussuf Poulsen wackelte Schlottebeck aus – das 1:3 schien die Entscheidung zu bedeuten (90.+1). Dortmund reklamierte vergeblich ein Foul von Simankan an Füllkrug im Vorfeld. Der BVB-Torjäger antwortete mit dem schnellen 2:3 (90.+3), Leipzigs Souveränität war nun wie weggeblasen. Im nächsten Angriff zog Süle aus spitzem Winkel ab, der Ball rauschte knapp am langen Pfosten vorbei. Das war sie, die große Chance zum späten Remis.