Götze vor endgültigem BVB-Abschied - Chronologie einer Entfremdung

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Götze vor endgültigem BVB-Abschied - Chronologie einer Entfremdung

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Mario Götze war das größte Talent, das je beim BVB entwickelt wurde. Im Sommer verlässt er den Klub, der ihn groß gemacht hat, zum zweiten Mal. Die Chronologie einer Entfremdung.

Dortmund

, 12.04.2020, 14:45 Uhr / Lesedauer: 5 min

Die Suche nach dem einen Moment, in der eine Karriere in die falsche Richtung abgedriftet ist, hat bei Mario Götze immer wieder zu diesem 23. April 2013 geführt. Es war der Tag vor dem Halbfinal-Hinspiel des BVB in der Champions League gegen Real Madrid, als durchsickerte, dass Götze Borussia Dortmund am Saisonende verlassen würde.

Der BVB wird vom Götze-Abgang komplett überrumpelt

Ausgerechnet zum FC Bayern München zog es ihn, der dank einer bei Götze greifenden Ausstiegsklausel noch nicht einmal mit dem BVB verhandeln musste und dann später kalt lächelnd die festgelegten 37 Millionen Euro überwies. Dieser Wechsel traf die Borussia ins Mark, er war ein Tiefschlag für den BVB, der ein Eigengewächs verlor, vielleicht das größte Talent, das jemals die Jugendmannschaften des Klubs durchlaufen hatte.

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Der Zeitpunkt und die Art und Weise, wie der Wechselwunsch Götzes an die Öffentlichkeit gelangte, war eine höchst pikante Begleiterscheinung des sich anbahnenden Transfers. Auch Borussia Dortmund wurde total überrumpelt an diesem Tag, der Urheber des Informations-Lecks konnte unschwer im Süden Deutschlands verortet werden und ein Naivling, der nicht Böses dabei dachte: Den stärksten deutschen Konkurrenten ausgerechnet vor so einem wichtigen Spiel mit dieser Personalie zu schocken, das trug nicht gerade zur Verbesserung des Binnenklimas zwischen München und Dortmund bei.

Spießrutenlaufen für Götze in seinen letzten BVB-Wochen

BVB-Trainer Jürgen Klopp sah sich am Abend in der offiziellen Pressekonferenz vor dem Madrid-Spiel sichtlich gezeichnet zu einer emotionalen Rede genötigt, in der er die Fans bat, „trotz der riesigen Enttäuschung“ auf Unmutsbekundungen gegen Götze zu verzichten - weil die Mannschaft alle positive Unterstützung brauche. Es gab dann in der Tat kaum Pfiffe gegen Götze, Borussia Dortmund spielte eins der besten K.o.-Spiele in der Champions League überhaupt, das 4:1 war die Basis für das Erreichen des Endspiels.

Kurz vor dem Champions-League-Spiel gegen Real Madrid wurde der Wechsel von Mario Götze zum FC Bayern München im April 2013 publik.

Kurz vor dem Champions-League-Spiel gegen Real Madrid wurde der Wechsel von Mario Götze zum FC Bayern München im April 2013 publik. © dpa

Doch die dann folgenden letzten Saisonwochen als BVB-Spieler waren ein Spießrutenlaufen für den damals 21-Jährigen. Am Trainingsgelände zeigten Polizeikräfte Präsenz, sie sollten Reaktionen der wütenden Fans verhindern. Dann verletzte sich Götze. Er verpasste das deutsche Finale gegen seinen künftigen Arbeitgeber in Londin, es war ein wenig befriedigendes Ende seiner Dortmunder Zeit.

Der Weltmeister Mario Götze wird zum großen Rätsel

Götzes Wechsel zu den Bayern - der größte Fehler, den dieses in Dortmund verehrte Super-Talent machen konnte. Diese Meinung hält sich seit Jahren hartnäckig, stimmt aber allenfalls zum Teil. Denn in München knüpfte Mario Götze zunächst nahtlos an seine starken Vorstellungen im BVB-Trikot an. 42 Pflichtspiele bestritt er in seiner ersten Saison, mit 14 Toren und 13 Torvorbereitungen erwies er sich auch in München als einer, der Spiele mitprägen und entscheiden kann. Am Ende dieser Saison schoss er Deutschland in Rio zum WM-Titel. Doch schon da war Mario Götze zum großen Rätsel geworden. Weil Unbeschwertheit und Leichtigkeit schleichend aus seinem Spiel verschwunden waren.

Ein entscheidender Grund für den Wechsel zu den Bayern war für Götze die Aussicht, unter einem der besten Trainer der Welt zu arbeiten. Und bei Pep Guardiola war Mario Götze auch in seiner zweiten Bayern-Saison gesetzt. 47 Pflichtspiele waren es in der Spielzeit 2014/15. 15 Tore schoss er, steuerte sieben Vorlagen bei - die Statistiken stimmten. Doch aus dem Instinktfußballer Mario Götze, seine vielleicht größte Stärke, war mittlerweile ein kopfgesteuerter Kicker geworden, der wenig lachte, der sich kaum mehr begeistern konnte.

Mario Götze kehrt im Sommer 2016 zum BVB zurück

Die große Veränderung machte sich im dritten Jahr auch in seinen Bilanzen bemerkbar. Nur noch 20 Pflichtspiele, dazu sechs Tore und vier Vorlagen - Guardiola setzte mittlerweile auf andere Akteure des hochkarätig besetzten Kaders. Vor allem in den Spielen, in denen es wichtig war.

Nur gegen Freiburg oder Wolfsburg spielen zu dürfen, reichte dem Dortmunder nicht mehr. Götzes Rückkehr in den Schoß seiner Familie folgte im Sommer nach der EM 2016. Die Rückholaktion setzte der BVB durch, ohne dass Götze ein ausdrücklicher Wunschspieler des damaligen Trainers Thomas Tuchel gewesen war - das waren keine guten Voraussetzungen für den Neustart im alten Trikot.

Lucien Favre und Mario Götze - eine schwierige Beziehung beim BVB

Diesen Fußballer wieder dahin zu bekommen, dass er seine großen Qualitäten ungehemmt vom großen Erwartungsdruck auf den Platz bekommen konnte, hatte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke zur großen Aufgabe für die BVB-Familie erkoren - es sollte ein Mammutprojekt werden. Denn die Nackenschläge begleiteten Götze weiter. Die Stoffwechsel-Erkrankung, die ihn fast die komplette Rückrunde seiner ersten Saison nach der Rückkehr kostete, veränderte den Profifußballer Mario Götze weiter. Nach seiner Genesung spielte er wieder mit, aber die Spiele, in denen er der Ausnahmefußballer war, den man vor seinem Wechsel nach München geliebt hatte, wurden seltener.

Götze vor endgültigem BVB-Abschied - Chronologie einer Entfremdung

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Als Lucien Favre das Zepter übernahm, sah sich Mario Götze vor eine neue Herausforderung gestellt. Mittlerweile 26 Jahre alt, in seiner zehnten Saison in der Bundesliga ein gestandener Profi und immer noch Weltmeister, musste Götze aus einer hinteren Position um Einsatzzeiten kämpfen. Favre suchte lange nach der richtigen Verwendung für den exzellenten Techniker, der dem Ideal des Schweizer Trainers immer weniger entsprach. Favre setzte auf Tempo über außen, starke Eins-gegen-Eins-Spieler. Götzes Stärken lagen woanders. Im ersten Saisondrittel kam er nur sporadisch zum Einsatz, als falsche Neun und Ersatz für den verletzungsanfälligen Paco Alcacer fand er schließlich ein neues Betätigungsfeld.

Die Rückrunde dieser ersten Favre-Saison durfte Mario Götze als Beleg werten, dass er dem BVB doch noch einiges zu geben hatte. Sechs Tore erzielte er, sechs weitere bereitete er vor. Doch Favre und der BVB bauten die Mannschaft im Sommer weiter um - und verpflichteten in Thorgan Hazard und Julian Brandt zwei weitere Offensivspieler, zwei weitere Konkurrenten.

Mario Götze wird den BVB ein zweites Mal verlassen

So verläuft das vierte Jahr nach seiner Rückkehr so, wie man es fast befürchten musste. Götze spielt selten und wenn, dann nur kurz. Verhandlungen über eine Verlängerung seines Vertrages sind seit Monaten unterbrochen, weil klar ist, dass es keine gemeinsame Basis mehr gibt. Das hat nicht nur mit den grob unterschiedlichen Gehaltsvorstellungen zu tun. Mario Götze wird den BVB ein zweites Mal verlassen.

Auch wenn Favre immer wieder die Arbeitsauffassung des nun 27-Jährigen lobte, wurden doch auch Zweifel laut, ob Mario Götze noch mit vollem Herzen Berufsfußballer ist. Geblieben ist auch nach seiner Rückkehr, dass man aus Götze nicht schlau wird. Emotionale Ausbrüche sieht man von ihm nicht, seine Miene ist oft unergründlich. Wut über die fehlende Wertschätzung? Fehlanzeige. Götze nahm sein Schicksal hin, einige Irrfahrten in den sozialen Netzwerken bestärkten seine Kritiker aber in der Einschätzung, dass es mittlerweile wohl wichtigere Dinge in seinem Leben gibt als der Stammplatz beim BVB. Jetzt hat Mario Götze ein Zeichen gesetzt. Endlich, könnte man sagen. Dass er sich dem gewieften und in der Branche extrem gut vernetzten Spielerberater Reza Fazeli anschließt, ist ein klares Signal. Götze möchte es noch einmal wissen.

Mario Götze wird sein Glück wohl im Ausland suchen

Die Meinung der Fans dazu ist genauso zweigeteilt, wie sie es war, als er den BVB erstmals verließ und auch, als er vor vier Jahren zurückkehrte: Den einen ist es schlicht egal. Doch es gibt auch die, die wehmütig zurückdenken an die Zeit, als der BVB mit Götze zu zwei Meisterschaften stürmte und einen ganz neuen Fußball kreierte. Und die sich fragen, was danach schief gelaufen ist. Warum trotz der fünf Deutschen Meisterschaften und vier Pokalsiege das Gefühl vorherrscht, Mario Götze habe nicht das Beste aus seinen großen Möglichkeiten gemacht. Sein Glück wird er nun wohl im Ausland suchen. Die andauernde Corona-Krise macht die Suche nach einem neuen Klub dabei nicht einfacher.