Julian Brandt schaute ein wenig skeptisch drein, aber den Dortmunder Nationalspieler und seine DFB-Teamkollegen empfing ein freundlicher Applaus, als die deutsche Mannschaft nach dem nächsten Offenbarungseid beim 1:4 gegen Japan am Sonntagvormittag den Innenraum im AOK Stadion des VfL Wolfsburg betrat. Auch Hansi Flick stand auf dem Platz – wenige Stunden später aber war er wie erwartet seinen Job los.
Flicks letzte Einheit
Dort, wo sonst die Bundesliga-Frauen des VfL ihre Heimspiele bestreiten, hielt der Deutsche Fußball-Bund noch eine öffentliche Trainingseinheit ab. Der Termin stand lange fest, daran wurde nicht mehr gerüttelt. Mit Flick als schon entmachteten Frontmann, der für Selfies posierte und damit immerhin versuchte, heile Welt vorzugaukeln nach einer weiteren Pleite, die eigentlich alles auf den Prüfstand stellen müsste – vor allem seine Zukunft. Und am Nachmittag machte der DFB die Trennung von Flick dann auch offiziell. Es war eine überfällige Entscheidung.
Auch Flicks Co-Trainer Marcus Sorg und Danny Röhl müssen gehen. „Die Gremien waren sich einig, dass die A-Nationalmannschaft der Männer nach den zuletzt enttäuschenden Ergebnissen einen neuen Impuls benötigt“, ließ sich Präsident Bernd Neuendorf zitieren. „Wir brauchen mit Blick auf die Europameisterschaft im eigenen Land eine Aufbruchstimmung und Zuversicht. Für mich persönlich ist es eine der schwierigsten Entscheidungen in meiner bisherigen Amtszeit. Der sportliche Erfolg hat für den DFB aber oberste Priorität. Daher war die Entscheidung unumgänglich.“
Am Dienstag in Dortmund werden Sportdirektor Rudi Völler, DFB-Nachwuchsdirektor Hannes Wolf und Ex-Profi Sandro Wagner die Mannschaft interimsmäßig betreuen. Ziel sei, dann schnellstmöglich die Flick-Nachfolge zu regeln.
Mit dem 1:4 gegen WM-Spielverderber Japan war am Samstagabend ein neuer Tiefpunkt erreicht. Schon der frühe Rückstand (Ito, 11. Minute) offenbarte fehlende Abstimmung und Aggressivität im Verteidigungsverhalten, der Ausgleich von Leroy Sané nach dem besten Angriff (19.) hatte nur kurz Bestand. Fast im Gegenzug das 1:2 (Ueda/22.), das Deutschland den Stecker zog. In der peinlichen zweiten Hälfte hatte die DFB-Elf keine Torchance und ließ sich durch zwei weitere Gegentore demütigen.
Krisensitzung beim DFB
Direkt nach dem 1:4 hatten sich die Gremien des Verbandes zu einer Krisensitzung getroffen. Neben Präsident Neuendorf gehörte sein Vize Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Völler zum engsten Kreis. Der Rausschmiss des Bundestrainers wollte auch wegen der finanziellen Dimension wohl überlegt sein. Bis zu acht Millionen Euro soll Flick verdienen und muss nun ausbezahlt werden. Der klamme Verband wird ein Gehalt in ähnlicher Höhe auch noch für einen Nachfolger aufbringen müssen

Die Partie gegen Japan verfestigte den Eindruck, dass am absoluten Tiefpunkt kein Stein auf dem anderen bleiben darf. Von einem erfolgreichen Bremsmanöver oder gar einer Kehrtwende war die deutsche Mannschaft ähnlich weit entfernt wie die Ampelkoalition von guten Umfragewerten. Der struktur- und ideenlose, vogelwilde und qualitativ schlicht unzureichende Auftritt mit vielen haarsträubenden Fehlern vermittelte ein erschütterndes Bild. „Zwischen unserem Anspruch und der Realität“, gestand der neue Kapitän Ilkay Gündogan, „klafft ein viel zu großes Loch.“ Andere wie Thomas Müller oder Joshua Kimmich stellten offen die Qualitätsfrage.
Sogar eine höhere Niederlage hätte es geben können, wenn Marc-André ter Stegen im Tor nicht vier Mal Sieger gegen frei auf ihn zulaufende Japaner geblieben wäre. Der sportlichen Realität zum Trotz stellte sich Flick nach der Partie hin und erklärte, er sehe sich weiter am rechten Platz. Die Regenerationseinheit am Sonntag wurde dann aber wie erwartet zu seiner letzten Amtshandlung.
Nagelsmann als Top-Favorit?
Schon vor dem Japan-Spiel war angesichts der ausgerufenen letzten Chance für Flick über mögliche Nachfolger diskutiert worden. Julian Nagelsmann ist auf dem Markt, auch wenn er aktuell noch von den Bayern bezahlt wird. In der Türkei steht offenbar Stefan Kuntz als Nationaltrainer vor dem Aus – er besäße den früher gern gesehenen DFB-Stallgeruch. Optionen aus dem Ausland gelten hingegen als wenig wahrscheinlich, damit würde der DFB Neuland betreten und auch finanziell an Grenzen stoßen, wenn man zum Beispiel über einen Zinedine Zidane nachdenken würde.
Dem DFB fällt nun vor die Füße, dass man nach der in allen Bereichen peinlichen WM in Katar nicht energisch die Reißleine gezogen hatte. Flicks Versuch, im Frühjahr das Schiff wieder auf Kurs zu bringen, endete quasi schon nach dem 2:0 zum Jahresauftakt gegen Peru. Danach gab es fünf Spiele ohne Sieg – mit vier peinlichen Pleiten.