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Der letzte Akt? Marcel Schmelzer steht vor einem BVB-Abschied im Sommer
Borussia Dortmund
Marcel Schmelzer spielt beim BVB sportlich schon länger keine Hauptrolle mehr. Vieles spricht für einen Abschied im Sommer. Dieses Mal wirklich.
Knapp acht Monate ist es jetzt her, da sah vieles nach Abschied aus. Ein Abschied nach 14 Jahren. Die Kurve feierte Marcel Schmelzer, in diesem Moment fühlte es sich so an, als sei es vielleicht das letzte Mal - und der dienstälteste BVB-Profi rang mit sich und seinen Gefühlen. Am 18. Mai 2019 war das. Dortmund hatte soeben 2:0 in Mönchengladbach gewonnen, die Deutsche Meisterschaft aber verpasst. Ein Titel wurde nicht bejubelt. Aber Schmelzer. Der Schmelle.
Der BVB ließ Schmelzer im Sommer 2019 nicht gehen
„Damals musste ich extrem mit mir kämpfen. Ich hatte mir in dieser Phase konkret Gedanken darüber gemacht, den Klub zu verlassen. Zum ersten Mal, seit ich als Teenager in die A-Jugend des BVB wechselte“, sagte Schmelzer jüngst in einem bemerkenswert und angenehm ehrlichen Interview mit dem „Kicker“. Das Gespür der Fans habe ihn überrascht, weil er damals noch mit niemanden beim BVB darüber gesprochen habe. „Es war ein unheimlich emotionaler Moment für mich. Wahrscheinlich einer der schönsten in meinem sportlichen Leben.“

Schmelzer wechselte 2005 vom 1. FC Magdeburg zu Borussia Dortmund. © dpa
Heute, im Januar 2020, ist Schmelzer immer noch da. Also bei Borussia Dortmund. Aus dem Abschied im vergangenen Sommer ist nichts geworden, weil der BVB ihn nicht gehen ließ, obwohl er gerne gegangen wäre. Es sei von seiner Seite aus alles klar gewesen mit einem ausländischen Verein, erzählte der ehemalige Kapitän. „Man sagte mir deutlich, dass ich in der neuen Saison gebraucht werde. Dass ich eine wichtige Rolle einnehmen soll und als erster Backup auf der Linksverteidiger-Position eingeplant bin. Das hatte ich zu akzeptieren, auch wenn ich sehr enttäuscht war. Weil ich damals schon das Gefühl hatte, dass ich kaum Einsatzchancen erhalten würde.“
Hinter Marcel Schmelzer liegt eine frustrierende Hinrunde
Sein Gefühl hat ihn nicht getäuscht. Hinter Schmelzer liegt eine frustrierende Hinrunde. Zwei Kurzeinsätze, nur vier Minuten Spielzeit, mehr hat der Magdeburger, der am heutigen Mittwoch seinen 32. Geburtstag feiert, bislang nicht auf die Uhr gebracht. Kandidaten für hinten links waren immer andere. Nico Schulz, Raphael Guerreiro, Achraf Hakimi. Rein auf den sportlichen Wert reduziert war Schmelzer wohl noch nie so unwichtig bei Borussia Dortmund wie in dieser Saison.
Dafür gibt es Gründe. Zum einen verweigerte der BVB Schmelzer die Freigabe, weil es im Sommer lange so aussah, als würde Guerreiro seinen Vertrag in Dortmund nicht verlängern und den Verein für eine hohe Ablösesumme verlassen. Guerreiro blieb schlussendlich doch - und unterschrieb im September, als das Transferfenster längst geschlossen war, einen neuen Vertrag beim BVB. Zum anderen spielte Schmelzers Körper nicht mit, als er gerade ein wenig Hoffnung schöpfte, dass es wieder aufwärts gehen könnte. Beim 2:1-Sieg in Berlin wurde er kurz vor Schluss eingewechselt, fiel dann aber wegen eines Muskelfaserrisses verletzt aus. „Ich hatte damals zum ersten Mal das Gefühl, als könne sich meine Hartnäckigkeit im Training endlich auszahlen.“
Nun ist Schmelzer wieder hinten dran. Vielleicht so weit wie noch nie, auch wenn er sagt, dass er in der Rückrunde „noch einmal angreifen“ will. Im Trainingslager in Marbella war nicht mehr als Aufbautraining möglich - und Schmelzers Aussichten auf Spielzeiten in der Rückrunde erscheinen in etwa so groß wie die der Dschungelcamp-Insassen auf finanziellen Erfolg nach der Rückkehr aus Australien.
Favre entzieht Schmelzer das Vertrauen
Für Schmelzer ist es die Fortsetzung eines Abwärtstrends, der früh in der vergangenen Saison begann. In den ersten sieben Pflichtspielen stand er immer in der Startelf, dann stoppte ihn ein Knochenödem. Wirklich zurück ins Team fand er nie. BVB-Trainer Lucien Favre entzog ihm das Vertrauen, setzte auch, als hinten links Personalnot herrschte und Schmelzer wieder fit war, lieber auf den gelernten Innenverteidiger Abdou Diallo als auf den gelernten Linksverteidiger Schmelzer. Zweimal spielte er in der Hinrunde noch über die vollen 90 Minuten, in der Rückrunde stand Schmelzer nur noch 41 Minuten auf dem Feld. Negativer Höhepunkt: Die Pfiffe einiger Zuschauer bei seiner Einwechslung im Heimspiel gegen Hannover 96 am 19. Spieltag.

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Die Stimmung bei den Fans, so scheint es, ist in den zurückliegenden zwölf Monaten wieder umgeschlagen. Die Pfiffe sind längst verstummt. Der Anhang honoriert, wie sehr sich Schmelzer seit seiner Degradierung in den Dienst der Mannschaft und der Sache gestellt hat. Er hat seine Mitspieler von der Seitenauslinie aus angefeuert, er hat sogar mal eine Gelbe Karte gesehen, obwohl er gar nicht mitspielte, weil er Roman Bürki verteidigte, als Herthas Vedad Ibisevic den BVB-Schlussmann mit einem Ball abwarf. Schmelzer gab alles, auch wenn er laut eigener Aussage von Favre keine Erklärung dafür bekam, warum er keine Rolle mehr spielte. Der Trainer habe ihm gesagt, dass er mit „meinen Trainingsleistungen“ zufrieden sei. „Einen Grund aber, warum ich keine weitere Chance bekam, nannte er mir nicht. Ich war sauer, habe es aber akzeptiert.“
Schmelzer-Abschied nach 15 Jahren BVB steht bevor
Schmelzer wird seine persönliche Misere auch weiterhin akzeptieren. Alles von heute auf morgen stehen zu lassen, sei nicht sein Ding, sagt er. Der Fokus liege auf dem kommenden Sommer. „Wenn sich bis dahin an meiner Situation in Dortmund nichts geändert haben sollte, würde ich gerne ins Ausland wechseln, noch mal etwas Exotisches machen.“ Einfach nur seinen bis 2021 datierten Vertrag abzusitzen, entspreche nicht seinem Verständnis von Fußball.
Und so wird es in knapp vier Monaten wohl wieder zu Abschiedsszenen kommen. Der BVB empfängt am 34. Spieltag die TSG Hoffenheim in der Bundesliga. Vermutlich wird Schmelzer danach einmal mehr mit sich kämpfen müssen. Es wird ein härterer Kampf als im vergangenen Mai. Dieses Mal werden noch mehr Leute seinen Namen rufen als in Mönchengladbach - und dieses Mal wird es sich aller Voraussicht nach nicht nur wie ein Abschied anfühlen, es wird ein richtiger Abschied werden. Nach 15 Jahren in Schwarz und Gelb.
Tobias Jöhren, Jahrgang 1986, hat an der Deutschen Sporthochschule in Köln studiert. Seit 2013 ist er Mitglied der Sportredaktion von Lensing Media – und findet trotz seines Berufes, dass Fußball nur die schönste Nebensache der Welt ist.
