Der BVB gewinnt das Revierderby. Zwar unspektakulär, gefeiert wird umso überschwänglicher. Für Schalke geht es nur noch darum, die verkorkste Saison zu retten. Dirk Krampe kommentiert.
Manchmal wundert man sich als Journalist, wenn man in der Pressekonferenz der Analyse der Trainer lauscht. Im Bauch der Veltins-Arena hatte Domenico Tedesco nach dem 2:1-Sieg der Dortmunder Borussia im Derby eine gute erste Hälfte seiner Mannschaft gesehen, mit „gutem Zugriff“ und „guter Ballzirkulation.“ Äh, bitte? Ja, schon richtig gehört! Denn zuvor hatte schon Lucien Favre gesprochen. Und seine Worte gingen in eine ähnliche Richtung.
Wer Favre zuhörte, der bekam den Eindruck, eins der umkämpftesten Derbys der vergangenen Jahre erlebt zu haben. Nicht aber deshalb feierte Borussia Dortmund das Ende der dreijährigen Derbysieg-Durststrecke überschwänglich. Sondern eher, weil die Spieler spürten, dass sie nicht ihren besten Tag gehabt hatten.
Ohne echte Torchance
Die warmen Worte des Schalker Trainers für seine Mannschaft nach der Partie sorgten ungeachtet dessen für einige Verwunderung - denn Schalke blieb in diesem auch für die Königsblauen wichtigsten Spiel der Saison in 94 Minuten ohne eine einzige echte Torchance. Der Spielaufbau war eine Katastrophe, die Dortmunder gefühlt in jedem Teilbereich eines Fußballspiels besser. Nicht gut, aber immerhin klar besser.
Es ehrte Tedesco, dass er auch einige gravierende Schwachpunkte in seiner Mannschaft nicht überging. Die fehlende Durchschlagskraft, die fehlende Torgefahr, die schlechte Verteidigung bei beiden Gegentoren. All das begünstigte den nächsten Dreier des BVB, der unbeirrt und immer noch ungeschlagen auf dem Weg zu einer fast schon sensationell zu nennenden Herbstmeisterschaft ist.
Formkurve zeigt leicht nach unten
Das passiert ungeachtet der Tatsache, dass die Dortmunder Formkurve seit einigen Wochen - nur leicht, aber deutlich erkennbar - nach unten zeigt. Die Klarheit im Spiel des BVB ist ein wenig verloren gegangen, Dortmund spielt bisweilen zu kompliziert und verspielt. Mit der fehlenden Zielstrebigkeit gibt es weniger Chancen.
Wenn man weiter die Spiele gewinnt, ist das allerdings zu verkraften. Dortmunds Serie, sie hat für so viel Selbstvertrauen gesorgt, dass der BVB auch Nackenschläge wie das 1:1 auf Schalke unbeirrt wegsteckt und weiter an sich glaubt. Und die individuelle Qualität reicht immer aus, um spät doch noch den entscheidenden Punsch zu setzen. So wie auf Schalke, als Jadon Sancho seine einzige Chance konsequent nutzte.
Dortmund ist der Favorit auf den Titel
Nach diesem Derby sind es nun 22 Punkte, die die Rivalen in der Tabelle trennen. Die 19, die es vor der Partie waren, hätten keinerlei Aussagekraft für den Ausgang. Das konnte man aus beiden Lagern vernehmen. Der riesengroße Abstand drückt allerdings sehr wohl aus, wie viel die beiden Rivalen in dieser Saison generell voneinander trennen.
Auf der einen Seite steht da eine Mannschaft, die um die Meisterschaft mitspielen wird, die sich wohl auch damit anfreunden muss, der Favorit auf diesen Titel zu sein. Wie soll man es sonst nennen, wenn der ärgste Verfolger schon neun Zähler entfernt ist. Auf der anderen Seite steht ein Team, für das es nur noch darum geht, mit heiler Haut aus dieser verkorksten Spielzeit herauszukommen.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
