Das Projekt Nuri Sahin ist gescheitert. Nach nur sieben Monaten als Cheftrainer von Borussia Dortmund ist die Trennung vollzogen. Am Mittwochmorgen hat der BVB die Entscheidung offiziell verkündet. Doch wie konnte es so schnell so weit kommen? Machtkämpfe, falsche Kaderplanung, sportlicher Absturz – eine Chronologie.
Nuri Sahin beim BVB gescheitert
14. Juni 2024: Wenige Tage nach dem verlorenen Champions-League-Finale kommt es in Dortmund zum großen Knall. In Mannschaft und Verein knirscht es gewaltig. Das hat Folgen: Edin Terzic, zumindest wird es öffentlich so kommuniziert, schmeißt hin. Die BVB-Bosse gehen bei der Neuausrichtung mit einem auf diesem Niveau völlig unerfahrenen Trainer volles Risiko. Nuri Sahin, der ein halbes Jahr vorher als Co-Trainer zurück nach Dortmund geholt worden war, übernimmt. Dortmund setzt wieder einmal auf Stallgeruch.
05. August 2024: Von wegen heile BVB-Welt! Bei Borussia Dortmund brodelt es gewaltig. In der Führungsriege gibt es nach der Rückkehr von Sven Mislintat erste Risse in der Zusammenarbeit. Es geht um Machtgehabe und Grenzüberschreitungen in den Zuständigkeitsbereichen. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen Mislintat und Sportdirektor Sebastian Kehl. Doch auch das Verhältnis zwischen Sahin und dem Kaderplaner ist stark belastet. Die Spannungen belasten den gesamten Klub. Sieben Monate später, unmittelbar vor seinem Aus bei Borussia Dortmund, spricht Sahin diese Unstimmigkeiten offen an und bezeichnet sie als „Nebenkriegsschauplätze“. Aussagen, die tief blicken lassen.
10. August 2024: Trotz durchwachsener Ergebnisse in der Vorbereitung herrscht in Dortmund unmittelbar vor dem Bundesligastart eine riesige Euphorie. Sahin richtet bei der Saisoneröffnung einen emotionalen Appell an die Fans: „Ich bitte euch um zwei Dinge, die es im Fußball eigentlich nicht gibt: Zeit und Geduld.“ Unter dem Motto „Trust the Process“ ruft er einen Neustart aus. „Es wird richtig gut, dafür werden wir sorgen.“ Wenige Tage später feiert der BVB einen perfekten Auftakt in die Bundesliga-Saison, gewinnt 2:0 gegen Eintracht Frankfurt.

31. August 2024: Das Transferfenster ist geschlossen. Zwar hat der BVB fünf Neuzugänge verpflichtet, geht aber dennoch mit einem extrem auf Kante genähten Kader in die Saison. Sahin betont öffentlich zwar immer wieder, dass dies ein gemeinsamer Entschluss gewesen sei. Intern, so ist zu hören, hat er hingegen mehrfach den Wunsch nach weiteren Zugängen hinterlegt. Die Kaderplanung fliegt dem BVB im Laufe der Hinrunde um die Ohren.
22. September 2024: Die erste heftige Klatsche. Der BVB geht mit 1:5 in Stuttgart unter. Sahins Experiment mit drei Innenverteidigern in der Viererkette und Nico Schlotterbeck hinten links geht schief. Der 36-Jährige setzt zu seiner ersten Brandrede an: „So ein Gesicht will ich nie wieder sehen.“ Die Basics hätten gefehlt. Grundsätzliche Eigenschaften, die die Mannschaft noch viele weitere Male vermissen lassen wird. Auswärts präsentiert sich das Team desolat.
05. Oktober 2024: Wo steht der BVB jetzt? Die Ergebnisse geben kaum Aufschluss darüber. Dortmund zittert sich zum Sieg gegen Bochum (4:2), schießt Celtic Glasgow (7:1) aus dem Stadion, verliert dann bei Union Berlin (1:2) und siegt mit Ach und Krach gegen St. Pauli (2:1). Der Eindruck bleibt: Die sportliche Entwicklung stockt gewaltig, der BVB spielt uninspiriert und unansehnlich. Die große Euphorie ist längst verpufft.
22. Oktober 2025: Jetzt gerät auch Sahin zunehmend in die Kritik. Bei der 2:5-Niederlage bei Real Madrid vercoacht sich der 36-Jährige übel, weil er trotz einer 2:0-Führung zur Pause nach dem Seitenwechsel im Santiago Bernabeu auf eine Mauer-Taktik setzt. Das geht schief. Der BVB-Trainer nimmt die Niederlage (mit etwas Verzögerung) auf seine Kappe.

29. Oktober 2024: Raus aus dem Pokal – die BVB-Krise nimmt nach dem 0:1 in Wolfsburg dramatische Ausmaße an. Dortmund gleitet die Saison früh aus den Händen. Die zugegeben massive Verletztenmisere darf dafür keine Ausrede sein. „Wenn ich etwas rückgängig machen könnte und nur einen Wunsch frei hätte, dann wäre es das“, sagt Sahin später rückblickend auf sein erstes halbes Jahr als BVB-Trainer. Erstmals gibt es auch erhebliche Zweifel am ehemaligen Mittelfeldspieler. Ist er der Aufgabe gewachsen? Er und seine Mannschaft zeigen wenige Tage später die richtige Reaktion: Dortmund besiegt RB Leipzig mit 2:1 – es ist eines der besten Spiele unter Sahin.
15. Dezember: Ruhe sucht man beim BVB dennoch vergeblich. Der Auswärtsfluch hat Borussia Dortmund im Griff. Gegen die Topteams Bayern (1:1) und Barcelona (2,3) sieht es ordentlich aus, allerdings ohne zählbaren Erfolg. In Mainz oder gegen Hoffenheim zeigt Schwarzgelb unterirdische Leistungen. Erst am letzten Spieltag vor der Winterpause fährt Dortmund in Wolfsburg den ersten Auswärtsdreier ein.
03. Januar 2025: Sahins Kampfansage zum Restart: „Ich will, dass wir zu Gewinnern werden. Das wir es endlich schaffen, dass man nicht mehr so über uns redet, dass wir nicht konstant sind. Das werden wir schaffen – dafür gehe ich jeden Tag voran.“ Doch vor dem Leverkusen-Spiel schlägt die Grippewelle zu und legt den BVB fast komplett lahm. Die Vorbereitung wird massiv beeinträchtigt, acht Spieler fehlen beim Auftakt gegen den Double-Sieger. Mit einer Not-Abwehr verliert der BVB völlig verdient 2:3. Sahin ereilen sofort die gleichen Probleme wie im vergangenen Jahr: Die Mannschaft strahlt keinerlei Mentalität aus, spielerisch hat keine Entwicklung stattgefunden, kleine Widrigkeiten haben heftige Auswirkungen.

14. Januar 2025: Die Mega-Blamage beim Aufsteiger! Der BVB versagt in Kiel, liegt zur Pause mit 0:3 zurück und verliert am Ende 2:4. Die Pleite besiegelt die schlechteste Hinrunde seit zehn Jahren. „Peinlich, beschämend und unwürdig!“ Lars Ricken zerlegt die Mannschaft öffentlich. Und auch Sahin wackelt gewaltig. Doch: Die Bosse stärken ihm noch den Rücken. „Der Trainer hat die Mannschaft sowohl taktisch als auch emotional richtig eingestellt“, erklärte Kehl. Noch glaubt man intern an den Turnaround mit Sahin, der mittlerweile allerdings ratlos wirkt.
17. Januar 2025: Der BVB-Absturz geht weiter. Dortmund kassiert beim 0:2 in Frankfurt die dritte Niederlage in Serie. Auch Sahin gehen langsam die Argumente aus. Es scheint, als würde er die Mannschaft nicht mehr erreichen. Es sind blutleere und völlig indiskutable Auftritte. Dennoch: Kehl gibt dem 36-Jährigen eine Job-Garantie – zumindest für Bologna. Bei Ricken klingt das deutlich anders. Der Geschäftsführer erklärt das Gastspiel in Italien zum Endspiel: „Natürlich, das weiß Nuri, das wissen wir alle, brauchen wir Siege und Erfolgserlebnisse. Nuri weiß, was unsere klare Erwartungshaltung ist, dass da eine klare Botschaft ist.“

Im Hintergrund bereiten sich die Bosse schon auf das Wort-Case-Szenario vor. Verschiedene Trainerkandidaten werden besprochen. Darunter Erik ten Hag und Roger Schmidt. Auch hier herrscht, wie so oft, Uneinigkeit im Klub.
21. Januar 2025: Die Tage von Nuri Sahin bei Borussia Dortmund sind gezählt, das Projekt ist nach der 1:2-Pleite in Bologna endgültig gescheitert. Die Bosse sind zum Handeln gezwungen. Ricken kündigt die Entscheidung für Mittwochnachmittag an. Doch sie fällt noch in der Nacht. Bis frühmorgens tagt die Führungsriege, Mittwochmorgen gibt der Verein offiziell bekannt: Dortmund trennt sich von Nuri Sahin. Und das nach nur sieben Monaten. Und Mike Tullberg übernimmt als Interimstrainer.
BVB befördert Mike Tullberg zum Interimstrainer: U19-Coach sitzt gegen Bremen auf der Bank