Niklas Süle hatte die Reise nach Italien wegen einer Erkältung gar nicht erst mit angetreten. Und auch Nico Schlotterbeck war vor dem Champions-League-Duell beim AC Mailand angeschlagen. Deshalb rückte bei Borussia Dortmund zum dritten Mal Hendry Blank mit in den Profi-Kader. Vor gut einem Jahr war der 19-Jährige selbst in der U19 des BVB noch kein Stammspieler. Seither aber ist der Innenverteidiger richtig durchgestartet und gilt perspektivisch als Kandidat für Edin Terzic. Im Gespräch mit BVB-Reporter Cedric Gebhardt verrät Blank, wie er seine eigene Entwicklung sieht, wofür er Mats Hummels dankbar ist und warum er noch immer zu Fuß zum Training kommt.
Herr Blank, draußen auf dem Parkplatz der BVB-Geschäftsstelle stehen die Autos Ihrer Teamkollegen. Sie hingegen kommen mit dem Zug nach Dortmund. Das ist ungewöhnlich.
Für mich nicht. Ich fahre schon mein Leben lang mit dem Zug. Ich steige in Essen am Hauptbahnhof in den Regionalexpress und fahre bis Scharnhorst. Den Rest gehe ich zu Fuß. Dafür brauche ich so 15 bis 20 Minuten. Insgesamt bin ich dann pro Weg etwa eineinhalb Stunden unterwegs. Das macht mir nichts aus. Das mache ich schon immer so, seitdem ich hier in Dortmund bin. Ich habe mich daran gewöhnt.
Das könnte sich bald ändern. Sie machen jetzt Ihren Führerschein.
Ja, das stimmt. Den halte ich hoffentlich bis Ende des Jahres in Händen. Ich habe schon fast alle Fahrstunden absolviert, muss nur noch Sonderfahrten machen. Und die Theorieprüfung steht auch bald an.
Werden Sie auf Ihre Zugfahrten mitunter von BVB-Fans erkannt?
Nur ein einziges Mal hat mich mal ein Kind gefragt, ob ich ich sei. Ansonsten wurde ich bislang nicht erkannt oder angesprochen.
Ist Ihnen das recht?
Ja, ich finde es gut so, wie es ist, dass mich die Leute nicht so häufig erkennen. Ich bin lieber eher so …
…unterm Radar?
Ja, genau – unterm Radar. (lacht)
„Unterm Radar“, so lautet Ihr Spitzname, den Ihnen Ingo Preuß verpasst hat. Der kommt also nicht von ungefähr?
Nein, das passt auch wirklich zu mir und meiner Persönlichkeit. Ich bin eher der Ruhige, der sich zurückhält.
War das schon immer so?
Ja, ich wurde von meinen Eltern so erzogen, dass egal, wie viel du erreichst, du am Ende des Tages trotzdem ein Mensch bist. Und dass du andere Leute genauso behandeln solltest, wie du sie schon immer behandelt hast. Und ich bin auch einfach nur ein Mensch. Ich sehe keinen Grund dazu, jetzt die große Show zu machen. Ich war schon immer derjenige, der dabei ist und die Dinge einfach genießt.

Welche Dinge meinen Sie?
Ich habe sehr viel Glück. Sehr viele Menschen würden sich wünschen, an meiner Stelle zu sein. Ich genieße deshalb jeden Moment und jeden Tag. Ich weiß, das alles ist nicht selbstverständlich.
Ihre ersten Jahre beim BVB waren vermutlich nicht immer ein Genuss. Sie standen im Schatten der Konkurrenz, haben kaum Spielpraxis bekommen. Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Ich kam von Bayer Leverkusen. Marco Lehmann hat mich damals zur U16 des BVB geholt, da habe ich auch zunächst regelmäßig gespielt. In der U17 wurde die Saison wegen der Corona-Pandemie abgebrochen. In der Saison danach, in der U19, hatte ich Probleme mit meiner Patellasehne und habe kaum gespielt. Erst im zweiten Jahr in der U19 habe ich meinen Durchbruch gehabt mit den Spielen in der Youth League gegen Sevilla und meinem Tor in den Play-Offs in Edinburgh. Ich wusste, dass diese Chance nicht jeden Tag kommt. Ich habe versucht, sie zu nutzen und alles zu geben. Danach habe ich auch in der Bundesliga regelmäßig gespielt.

In einer solchen Phase können einem jungen Spieler ja durchaus Selbstzweifel kommen. Wie haben Sie geschafft, bis zu Ihrem Durchbruch die Ruhe zu bewahren?
Geduld ist sehr, sehr wichtig. Mein Vater hat mir immer dazu geraten, geduldig zu sein. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Und ich bin auch sehr dankbar, dass ich diese Phase hatte, weil durch sie gelernt habe, dass nicht alles immer direkt von Null auf 100 geht. Dass man weiter auf sich vertrauen muss und auch solche Phasen überstehen kann.
Sie spielen sowohl als Links- als auch als Innenverteidiger. Was liegt Ihnen eher?
Ich spiele beide Positionen gerne. Als Linksverteidiger läuft du viel mehr, weil du auch auf der Außenbahn unterwegs und dadurch noch viel aktiver bist. Und sobald du als Außenverteidiger den Ball hast, ist das für den Gegner oft das Signal, direkt zu pressen. Das heißt, du hast kaum Zeit, irgendetwas zu machen. Als Innenverteidiger ist es da schon etwas ruhiger. Du leitest das Spiel ein, hast mehr Zeit. Das liegt mir eher, weil du dann zentral bist, das ganze Spiel vor dir und mehrere Optionen hast. Als Innenverteidiger diktierst du mehr das Geschehen, gibst das Tempo und den Ton an. Das gefällt mir noch etwas besser.
Dennoch braucht es auch in dieser Rolle gerade bei Gegnerdruck viel Ruhe am Ball. Das gilt als eine Ihrer Stärken. Woher kommt diese Gelassenheit?
Ich kann das gar nicht so genau sagen. Ich versuche einfach immer, ganz ruhig am Ball zu sein. Das strahlt auch für meine Mitspieler eine gute Energie aus. Wenn ich gepresst werde und es gut lösen kann, wissen sie: Okay, auf ihn ist Verlass.

Im Sommer haben Sie erst gezögert, bevor Sie beim BVB Ihren Vertrag bis 2025 verlängert haben. Warum?
Ich habe mich gefragt, was für mich der richtige Weg ist. Ich war mir nicht sicher, ob ich als junger Spieler in der U23 in der 3. Liga genügend Spielpraxis erhalten würde. Und ohne Spielzeit kommst du nicht weiter. Ich hatte auch andere Angebote, war im Zwiespalt.
Dortmunds Drittliga-Rivale Rot-Weiss Essen hat sich unter anderem um Sie bemüht. Weshalb haben Sie sich dennoch für einen Verbleib beim BVB entschieden?
Ich habe mich mit meiner Familie und meinem Berater ausgetauscht. Sie haben mir signalisiert, dass sie hinter mir stehen, egal wie ich mich entscheide. Der Großteil in meinem Umfeld hat mir dazu geraten, beim BVB zu bleiben und es in der U23 zu versuchen. Ich wusste: Wenn ich Gas gebe und jeden Tag arbeite, dann kann ich es schaffen. Also habe ich mich so entschieden – und bis jetzt war es eine gute Entscheidung.
Als eines der wenigen schwarzgelben Talente haben Sie beim BVB den Sprung aus der U19 in den Profifußball geschafft. Viele hätten Ihnen diesen Weg nicht zugetraut. Werden Sie in Ihrem Leben häufig unterschätzt?
Ich glaube, sehr, sehr viele hätten nicht daran gedacht, dass ich da bin, wo ich jetzt bin, dass ich bei der U23 spielen darf. Aber ich glaube an mich. Ich weiß, was ich tun muss, um meine Leistung zu bringen und das ist einfach jeden Tag Gas geben und jeden Tag alles rauszuholen, was geht. Wenn du hart arbeitest und wirklich an dich glaubst, und wenn du wirklich alles dafür gibst, auch wenn es schwer wird, dann kommst du auch sehr weit.

Einer, dem das als Innenverteidiger gelungen ist, ist Mats Hummels. Was können Sie sich von ihm abschauen?
Mats Hummels hat mir schon während der USA-Reise im Sommer wertvolle Tipps gegeben. Im Spielaufbau musst du jeden Ball wirklich sauber spielen. Er ist öfter zu mir gekommen, und hat mir gesagt: ‚Du machst das gut, aber spiel den Ball schärfer, spiel ihn mehr in den Vorlauf.‘ Besser geht es ja gar nicht. Mats ist wirklich ein Topspieler. Wenn man von so jemandem Tipps bekommt, ist man einfach nur dankbar und versucht dann natürlich gleich, sie umzusetzen. Ich schaue mir aber natürlich alle unsere Innenverteidiger an und versuche, so viel wie möglich von ihnen aufzusaugen.
Ihr Trainer bei der BVB-U23, Jan Zimmermann, hat Ihnen seit Sommer eine Entwicklung bescheinigt, die „gefühlt einer Explosion gleichkommt“. Sie sind nun nicht mehr unterm Radar, sondern viele haben Sie auf dem Schirm. Hat Ihnen Ingo Preuß schon einen neuen Spitznamen verpasst?
Nein. Ich glaube, der Spitzname bleibt auch erstmal so. Ich bin ja immer noch so, wie ich davor war.

Aber sportlich werden Sie mittlerweile schon anders wahrgenommen.
Ja, das stimmt. Aber als Person bin ich ja immer noch wie davor und versuche dann einfach, mein Ding zu machen. Nicht zu viel Aufsehen zu erregen, sondern einfach ganz ruhig weiter Gas zu geben und das Beste daraus zu machen.

Das könnte perspektivisch schwierig werden, zumal Sie kürzlich erstmals auch von Edin Terzic für den Profi-Kader nominiert wurden und dann auch noch in der Champions League in beiden Spielen gegen Newcastle United.
Das kam aus dem Nichts für mich und war einer der wenigen Momente, in denen ich wirklich sehr, sehr, sehr, sehr aufgeregt war. Ich habe es am Abend vorher im Hotel erfahren. Edin Terzic hatte mich angerufen, um es mir persönlich mitzuteilen, aber weil ich gerade eine Behandlung beim Physio hatte, hatte ich mein Handy nicht dabei. Ich habe ihn dann zurückgerufen und danach gleich meine Familie und meinen Berater informiert.
Wie war dann der Moment im St. James‘ Park?
Das war wirklich erst mal so irreal, aber ich habe schnell versucht, mich zu fokussieren und meine Aufregung beiseitezuschieben. Im Rückspiel vor mehr als 80.000 Zuschauern im eigenen Stadion, das war noch mal was ganz anderes von der Atmosphäre. Ich habe das einfach genossen.

Und dann gab es auch noch erstmals die Berufung für die deutsche U20-Nationalmannschaft.
Auch damit hatte ich nicht gerechnet. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass mir Hannes Wolf das Vertrauen geschenkt hat und ich gegen Portugal mein Debüt geben konnte. Der Bundestrainer hat mir gesagt, dass ich einen guten Eindruck hinterlassen habe. Das freut mich natürlich.
Vom Bankspieler in der U19 zum Stammspieler in der U23 mit Profi-Perspektive. Was haben Sie sich vorgenommen?
Ich möchte nach ganz, ganz oben kommen. Ich möchte irgendwann für die Profis bei Borussia Dortmund spielen, gerne auch in der Champions League. Ich finde, man sollte sich schon große Ziele setzen, aber man muss dabei realistisch sein. Ich versuche, alles step by step anzugehen. Die 3. Liga beim BVB ist gerade der perfekte Schritt für mich. Hier kann ich mich an Tempo, Intensität und Robustheit im Herrenfußball gewöhnen. Aber ich möchte das Höchste erreichen, das geht.

Was ist dabei Ihr Antrieb?
Meine Familie. Sie hat genau wie ich sehr viel investiert und mich immer unterstützt. Ich möchte ihr gerne etwas zurückgeben.
Aber vorher wartet die Führerscheinprüfung. Haben Sie sich schon ein Auto ausgesucht?
Nein, noch gar nicht. Das mache ich erst, wenn ich meine Theorieprüfung geschafft habe.
Alles Schritt für Schritt, Sie bleiben sich auch abseits des Platzes treu.
Damit bin ich bislang gut gefahren (lacht).
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