BVB-Talent vom Flüchtling zum Profi-Fußballer Krevsun erzählt seine bewegende Geschichte

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Danylo Krevsun hat Erfahrung darin, Widerstände zu überwinden. Mehr Erfahrung, als es vermutlich für einen jungen Mann seines Alters angemessen ist. Aber dazu gleich mehr. An diesem Oktober-Nachmittag sitzt Krevsun in der Geschäftsstelle Sport von Borussia Dortmund in Brackel in einem Besprechungsraum. Und dort hat es der BVB-Mittelfeldspieler ausnahmsweise mit einer milden Form von Widerspenstigkeit zu tun. Diese verdammte Mineralwasser-Flasche, die vor ihm in einem Kühler auf dem Tisch steht, sie lässt sich partout nicht öffnen. Krevsun spannt seine Muskeln an, dreht noch einmal kräftiger. Dann gibt der Verschluss endlich nach. Ein unmerkliches Lächeln huscht über das Gesicht des 19-Jährigen.

BVB-Vertrag für Krevsun ein Privileg

Geschafft. Krevsun schenkt sich ein Glas stilles Wasser ein. Er füllt es etwa bis zur Hälfte, was wiederum ganz gut zu seiner eigenen Lage passt. Ist das Glas für ihn halb leer oder halb voll? Eine Frage, die angesichts seiner Vita deutlich schneller gestellt als beantwortet ist. Vermutlich wird erst die Zeit die endgültige Antwort bringen.

Die Biographie des Ukrainers ist aber schon heute beeindruckend. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der vor dem russischen Angriffskrieg aus seiner Heimat fliehen, große Teile seiner Familie zurücklassen musste. Der entwurzelt wurde, viel schneller erwachsen werden musste als andere Jugendliche in seinem Alter. Der in Deutschland ein neues Leben begonnen hat. Und der gleichzeitig das Privileg besitzt, in Dortmund an einer freundlichen, hellen, ja hoffnungsvollen Zukunft arbeiten zu können.

Als der BVB Mitte Januar die Vertragsverlängerung mit Danylo Krevsun bis 2026 und eine Beförderung in die U23 vermeldet, gibt es bei Schwarzgelb wohl niemanden, der sich nicht darüber freut. Seit seinem Wechsel nach Dortmund im Januar 2023 hat er sich durch Fleiß, Bodenständigkeit und nicht zuletzt seine spielerische Qualität zu einem der hoffnungsvollsten Talente bei der Borussia entwickelt.

BVB-Youngster Krevsun überzeugt durch Arbeitsethos

Was von Anfang an hervorsticht, ist Krevsuns Arbeitsethos. Vorbehaltlos nimmt er jede Aufgabe an, die man ihm stellt. Das beeindruckt Mitspieler, Trainer und Verantwortliche. In den ersten Wochen dieser Saison steht der Blondschopf aufgrund großer Konkurrenz auf seiner Position häufig nicht einmal im Kader der U23. Anfang Oktober gibt Krevsun dann beim 2:1-Heimsieg gegen Dynamo Dresden sein Startelf-Debüt. In den ersten Zweikämpfen wird er von seinen erfahrenen Gegenspielern regelrecht abgekocht. Doch Krevsun lässt sich nicht entmutigen, beißt sich von Minute zu Minute mehr in die Partie. Ingo Preuß, Sportlicher Leiter der BVB-U23, lobt daher dessen „außergewöhnliche Mentalität“.

Danylo Krevsun klatscht mit Marcel Schmelzer ab.
Danylo Krevsun (r.) klatscht mit Marcel Schmelzer, dem Co-Trainer der BVB-U23, ab. © imago / Funke Foto Services

Sie sei einfach in ihm, sagt Krevsun. Schwer zu sagen, ob er sie durch das Erlebte erst entwickelt hat oder ob es jene angeborene Tapferkeit ist, die ihn seine bisherige Vita meistern lässt. Bis 2014 lebt er mit seiner Familie in Donezk. „Als dann dort der Krieg im Donbas begonnen hat, sind wir vorübergehend nach Winnyzja gezogen. Das ist die Heimatstadt meiner Mutter, dort hatte sie Arbeit gefunden“, sagt Krevsun.

Schwieriger Anfang in Dortmund

Nach einem Jahr geht es für ihn mit seiner Familie weiter nach Charkiw und wiederum drei Jahre später ziehen sie nach Kiew. „Zu Beginn des Kriegs im Februar 2022 stand die Stadt unter Beschuss, es war gefährlich und bedrohlich. Wir haben nicht lange gezögert. Meine Mutter und ich sind weiter nach Winnyzja, weil es dort sicherer war“, erzählt der BVB-Spieler.

Zu dieser Zeit nimmt Jana Hartmann Kontakt zu seiner Mutter auf. Die in Dortmund lebende Leichtathletin kennt Yuliya Krevsun von gemeinsamen Wettkämpfen als Mittelstreckenläuferin. Beide verbindet eine enge Freundschaft. Hartmann bietet an, die Krevsuns bei sich aufzunehmen. Sie willigen ein. Nach zwölf Tagen auf der Flucht beginnen sie ein neues Leben in Deutschland. Vater Sergy bleibt hingegen in Kiew. Für wehrfähige Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren gilt ein Ausreiseverbot.

BVB-Talent Krevsun erlebt Trennungsschmerz

„Das war eine wirklich harte Entscheidung, die meine Mutter für uns treffen musste. Wir haben damals darauf gehofft, dass der Krieg schnell vorbei sein würde und nicht daran gedacht, dass er so lang gehen würde“, erzählt Krevsun. Kontakt zu seinem Vater habe er „jeden Tag, via WhatsApp oder Video-Telefonie. Das geht jetzt seit zweieinhalb Jahren so. In meinen Gedanken sehe ich meinen Vater immer mit einem Telefon in der Hand. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie es vorher war.“

Danylo Krevsun und Yuliya Krevsun posieren für ein Foto.
Danylo Krevsun (l.) und seine Mutter Yuliya lebten nach ihrer Flucht aus der Ukraine zunächst bei Jana Hartmann in Dortmund. © Schütze

Von seinem Vater getrennt zu sein, diesen Schmerz spürt Danylo Krevsun täglich. Das Schlimmste: Es gibt aktuell keine Perspektive, wann sich beide wiedersehen. Sergey darf nicht ausreisen und würde Danylo in die Heimat reisen, blühte ihm dasselbe Schicksal. Daher kommt eine Rückkehr in die Ukraine nicht in Frage. Im August ist seine Mutter Yuliya zu ihrem Mann zurückgekehrt.

BVB-Teamkollegen geben Unterstützung

Ganz auf sich allein gestellt ist Danylo Krevsun aber nicht. Er lebt mit seiner Freundin Veronika zusammen. Auch ihre Familie ist in der Ukraine. Beide geben sich gegenseitig Halt. „Ich habe absoluten Respekt vor Danylos Weg. Wie er die Situation annimmt und damit umgeht, davor kann ich nur den Hut ziehen. Wir sind uns nicht im Klaren darüber, was wir für ein Glück haben, dass wir hier so in Sicherheit leben können“, sagt sein Teamkollege Michael Eberwein.

In der Mannschaft wissen sie um Krevsuns besondere Biographie und versuchen, ihm Unterstützung und gleichzeitig eine Form von Normalität zu geben. „Der Krieg ist durch die Nachrichten und Social Media immer präsent. Das kannst du nicht ausblenden. Aber wenn ich zum Training gehe, kann ich für einen Moment vergessen, was in der Ukraine vor sich geht. Die Jungs sprechen immer wieder mit mir und fragen nach meiner Familie. Dafür bin ich dankbar“, sagt Krevsun.

BVB-Trainer Zimmermann glaubt an Krevsuns Zukunft

Für ihn sei es „ein großer Schritt, hier beim BVB zu spielen. Und es ist natürlich auch eine große Chance“, betont der 19-Jährige. Eine Chance, die er in seinen fast zwei Jahren in Dortmund bisher nutzt, um sich weiterzuentwickeln. „Danylo ist sehr ehrgeizig, lernwillig und er versteht Zusammenhänge sehr schnell. Er ist ein Spieler, den man gerne bei sich hat, weil er einem viel zurückgibt. Ich bin fest überzeugt davon, dass er eine interessante Karriere vor sich hat“, sagt Trainer Jan Zimmermann.

Danylo Krevsun, Cedric Gebhardt und Michael Eberwein posieren für ein Bild.
RN-Reporter Cedric Gebhardt (M.) traf sich mit den BVB-Spielern Danylo Krevsun (l.) und Michael Eberwein in Brackel zu einem ausführlichen Gespräch. © Deckers

Krevsuns großer Vorteil liegt in seinem hohen Maß an Selbstreflexion. „Es gibt sicher junge Spieler, die den Anspruch haben, dass sie die 3. Liga einfach überspringen und direkt in die Bundesliga gehen. Sie lernen bei uns aber, dass dieser Schritt für sie sinnvoll ist, um den Herrenfußball kennenzulernen. Das ist einfach noch einmal etwas ganz anderes als der Fußball in der U19. Danylo ist aus meiner Sicht ein absolut positives Beispiel“, sagt Eberwein.

BVB-Youngster Krevsun träumt vom Profi-Durchbruch

„Er nimmt seine Rolle an. Er hat von Anfang an verstanden, worum es geht und versucht, sich bestmöglich zu integrieren. Er weiß, dass das bedeutet, sich auch mal hinten anzustellen und auf seine Chance warten zu müssen. Und in dieser Zeit weiter an sich zu arbeiten. Er ist ein absolutes Vorbild“, unterstreicht Eberwein.

„Mein Traum ist es, irgendwann einmal für die Profis zu spielen. Ich weiß, dass ich jung bin und auf meine Chance warten muss. Ich habe genug Zeit. Wenn ich meine Chance kriege, muss ich zeigen, was ich kann“, sagt Danylo Krevsun. Er nimmt nichts für selbstverständlich und weiß, dass es für ihn ein Privileg ist, für Borussia Dortmund zu spielen. Und ihm ist bewusst, dass ihm der BVB viele Möglichkeiten bietet, dass er es eines Tages womöglich bis ganz nach oben schaffen kann. Den Ehrgeiz dafür hat er. Wie voll das Glas am Ende wird, hat er selbst in der Hand.