An diesem Nachmittag, in diesem Moment erfährt Julian Hettwer, wie es sich anfühlt, wenn man als Senkrechtstarter eine ganz und gar unfreiwillige Vollbremsung hinlegen muss. Im Uhlsport-Park in Unterhaching läuft die 28. Minute, als der Rechtsaußen der BVB-U23 bei einem Konter von Ben Westermeier unsanft abgeräumt wird. Auch eine gute Viertelstunde später ist der Zusammenprall noch immer nicht verdaut.
BVB-Rechtsaußen Hettwer beißt sich durch
Hettwer sitzt mit Magenschmerzen in der Halbzeit, ihm ist übel. Einen kurzen Moment lang denkt er darüber nach, sich zur zweiten Hälfte auswechseln zu lassen. „Das war schon hart und der Zusammenprall hat mich ordentlich mitgenommen. Aber in der Kabine habe ich mir gedacht: So nicht. Damit konnte ich einfach nicht leben in dem Moment. Das habe ich nicht akzeptiert“, erzählt Hettwer.
Der 20-Jährige beißt auf die Zähne und hält bis zur 68. Minute durch, ehe ihn Jan Zimmermann schließlich doch vom Feld nimmt. Später lobt der BVB-Trainer Hettwers Durchhaltewillen, der in dieser Saison stellvertretend für den Biss und die Fähigkeit der Dortmunder U23 steht, Widerstände zu überwinden.

Hettwer, im letzten Sommer als Rekordeinkauf der BVB-U23 für eine hohe sechsstellige Summe vom MSV Duisburg verpflichtet, hat nach einer Eingewöhnungsphase bei Schwarzgelb eine steile Entwicklung hingelegt. Mit sechs Treffern und sieben Assists ist er bis zur Winterpause Topscorer und prägende Figur der Dortmunder Drittliga-Mannschaft. Mit seinem Tempo auf dem rechten Flügel scheint er wie gemacht für das überfallartige Umschaltspiel der BVB-U23.
„Julian ist schneller als jeder andere in dieser Liga“
„Julian gibt nicht nur mir, sondern jedem Spieler immer wieder viele Optionen mit seinen Tiefenläufen. Da kann man den Ball schon fast blind hinspielen. Man weiß, er startet. Man weiß, er ist schneller als jeder andere in dieser Liga. Das ist mit die beste Option, die du haben kannst, weil er dadurch entweder Torchancen kreiert oder aber Räume für andere Spieler schafft“, ist Mitspieler Ole Pohlmann voll des Lobes für Hettwer.

Die Anfänge in Dortmund fallen ihm jedoch alles andere als leicht. „Das war auf gar keinen Fall einfach für mich. Mit meinen Gedanken war ich noch viel in Duisburg. Ich habe mich gefragt: War das jetzt der richtige Schritt? Ich bin mit sehr viel Respekt an die ganze Sache herangegangen. Im Nachhinein waren diese Gedanken unbegründet. Ich denke schon jetzt, dass der Wechsel der richtige Schritt für mich war. Und ich bereue nichts“, sagt Hettwer.
BVB-Trainer Zimmermann lobt Entwicklung
Im ersten Halbjahr in Dortmund trumpft er derart furios auf, dass er sich auf Anhieb einen Stammplatz erobert. „Julian hat unsere Spielweise schnell adaptiert und schnell verstanden, was er braucht, damit wir ihn bestmöglich in Szene setzen können“, sagt Jan Zimmermann. Der Trainer der BVB-U23 bescheinigt seinem Flügelstürmer ein ganzes Bündel an Fortschritten: „Julian hat bessere Laufwege, ist zielstrebiger, robuster und widerstandsfähiger geworden.“
Positionskonkurrent und Herausforderer Samuel Bamba hat das Nachsehen, wird meist nur als Teilzeitarbeiter eingesetzt. Dennoch ist es Bamba und nicht Hettwer, der im Dezember gegen Augsburg und Mainz seine ersten Bundesliga-Einsätze absolviert. BVB-Cheftrainer Edin Terzic gilt als großer Fan des BVB-Youngsters.
BVB-Konkurrenzkampf zwischen Hettwer und Bamba
Vereinsintern gibt es aber durchaus auch Stimmen, die Hettwer deutlich vor Bamba sehen, was das aktuelle Leistungsniveau und das noch vorhandene Potenzial angeht. Hettwer besticht ebenso wie Bamba durch enormes Tempo, ist aber im Abschluss wesentlich effizienter. Arbeiten muss er noch an seinem linken Fuß ebenso wie an der Technik insgesamt. Und auch der Rückwärtsgang klemmt bisweilen, die Arbeit gegen den Ball vernachlässigt Hettwer noch viel zu häufig. Am Training der BVB-Profis hat er (deshalb) zuletzt nur selten teilgenommen.

Seit Rückrundenbeginn zeigt die Formkurve des introvertierten Flügelstürmers zudem deutlich nach unten. Kein Tor und nur ein Assist, Hettwer ist derzeit nicht mehr der Unterschiedspieler, der er schon einmal im BVB-Trikot war. „Das gehört dazu. Die Gegner sind ja nicht blind. Die stellen sich natürlich darauf ein, dass wir gefährlich sind, wenn wir in die Tiefe kommen, indem sie schon relativ tief stehen. Dann habe ich im Spiel auf einmal zwei Gegenspieler. Es ist nicht einfach, aber ich versuche trotzdem die Räume für die Jungs freizumachen. Und wenn du ein Tor mit einleitest, bist du ja auch daran beteiligt“, entgegnet Hettwer angesprochen auf seine Formkrise.
Mit Durchhaltevermögen gegen das BVB-Formtief
Er ist sich sicher: „Das Persönliche kommt alles von selbst wieder. Natürlich ist es ärgerlich, wenn du deine Chancen nicht reinmachst und im Moment einfach denkst, es ist schwierig, ein Tor zu machen. Aber das darfst du dann nicht in deinen Kopf lassen. Ich mache weiter.“ In der augenblicklichen Phase hilft ihm, dass er seine Resilienz bereits in jungen Jahren erprobt hat.
„Ich bin in der Jugend nicht den leichtesten Weg gegangen. In der U16 wurde ich bei Schalke aussortiert. Es hat mich stark gemacht, dass ich in dieser frühen Zeit auch Rückschläge wegstecken musste. Es war wichtig für mich zu erkennen, dass ein Schritt zurück später auch ein Schritt nach vorne sein kann“, sagt Hettwer. In Gelsenkirchen ausgemustert, findet er sein Glück in Duisburg, wo er schon als 15-Jähriger unter dem damaligen Trainer Torsten Lieberknecht am Profi-Training teilnimmt und als Grünschnabel zu den Profis befördert wird.
BVB-Stürmer Hettwer: „Mich kann nichts mehr schocken“
„Duisburg hat harte Jahre hinter sich. Es lief wirklich schlecht. Dieser sportliche Druck, die Erwartungen der Fans – ich habe all das als ganz junger Spieler schon miterlebt. Das hat mir sehr geholfen, früh reifer zu werden im Profifußball. Ich denke einfach, mich kann jetzt erst mal nichts mehr schocken“, erzählt der 20-Jährige, der es bereits auf 88 Drittliga-Spiele (13 Treffer/15 Assists) bringt.

Im Saison-Endspurt möchte Julian Hettwer wieder zur starken Form der ersten Monate auflaufen. Die Zielsetzung ist klar: Perspektivisch möchte der 20-Jährige ganz oben anklopfen. Am Training der Profis hat er bereits einige Male teilgenommen. „Ich bin wirklich glücklich, hier zu sein. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich früher niemals geglaubt, dass ich eines Tages mal bei Borussia Dortmund sein würde. Hier hast du als Spieler so tolle Bedingungen, die viele andere Vereine nicht haben“, schwärmt Hettwer.
Hettwer will seine Chance beim BVB nutzen
Dieses Privileg geht für ihn mit eine Verpflichtung einher. „Ich finde, wenn du diese Chance bekommst, musst du sie auch nutzen und alles hier mitnehmen. Und dann schauen wir mal, wo mich der Weg hinführt. Mein Ziel ist es, eines Tages Bundesliga-Profi zu sein“, betont der Rechtsaußen. Der Weg dorthin dürfte noch einige Unwägbarkeiten bereithalten. Und nicht jeder Tiefschlag lässt sich vermeiden, das musste Hettwer in Unterhaching leidvoll erfahren.
Dass er sich danach wieder aufrappeln kann und weiß, was Durchhaltevermögen bedeutet, wird ihm helfen. Mag der Weg zu den BVB-Profis aktuell auch (noch) verbaut sein: Julian Hettwer hat als Fußballer gelernt, wo sich ihm Hindernisse in den Weg stellen – aber genauso gut, wo er die Lücke finden kann.