In Marbella ist es an der Zeit, die Zelte abzubrechen. Borussia Dortmund hat den letzten Test des Trainingslagers mit einem 3:3 gegen Standard Lüttich beendet, außerdem ist es ungemütlich und nass bei kühlen 11 Grad. Durch den Regen schleppt der junge Cole Campbell einen Materialkoffer zum wartenden Bus. Er läuft auch an Paris Brunner vorbei, der in die Kamera eines Handys grinst. Neben einem BVB-Fan, der um ein Selfie gebeten hat. Kein anderes Bild könnte besser den unterschiedlichen Stellenwert der beiden U19-Spieler der Borussia beschreiben. Während sich Campbell in Marbella weitgehend unbeachtet von Fans im Dunstkreis der Dortmunder Profis bewegen kann, wird Brunner erkannt, wo er geht und steht.
BVB-Stürmer Brunner sorgt für Aufsehen
Noch bevor der deutsche U17-Weltmeister in wenigen Wochen sein 18. Lebensjahr vollendet, scheint der Torjäger auf dem Weg zu einem Popstar in Fußballschuhen und Trikot. Brunner sorgt für Aufsehen, er schreibt mehr Schlagzeilen als alle seine Dortmunder U19-Kollegen zusammen. Sportlicher Art wie im November, als er die deutsche U17 in Indonesien mit fünf Treffern zum Weltmeister-Titel schoss und zum besten Spieler des Turniers gewählt wurde. Oder im vergangenen Sommer. Die DFB-Auswahl gewann die U17-Europameisterschaft, wieder wurde der Dortmunder Stürmer zum besten Spieler des Turniers gewählt.
Bislang ohne ein einziges Profi-Spiel in der Vita, taucht der 17-jährige allerdings auch wegen anderer Dinge zu häufig in den Medien auf. Und das gefällt seinem Klub ganz und gar nicht. Ende Oktober suspendierte der BVB sein aktuell größtes Talent aus dem Juniorenbereich für einige Wochen. Der genaue Grund dafür blieb unklar. Allein die Tatsache, dass der Klub die Beurlaubung eines unter 18 Jahre alten Nachwuchsspielers per Pressemitteilung öffentlich machte, verwunderte seinerzeit. Über die große Aufmerksamkeit, die diese Maßnahme nach sich zog, war sich Borussia Dortmund im Klaren. Der Verein entschied sich dennoch für diesen Weg.
Nächster Rüffel für BVB-Talent Brunner
Mit seinen Eltern musste der 17-Jährige damals zum Rapport. Gerade rechtzeitig vor der Nominierung des WM-Kaders erfolgte nach einer glaubhaften Entschuldigung die Begnadigung des BVB. In Indonesien ließ Paris Brunner danach Taten im DFB-Trikot sprechen. Fünf Treffer erzielte er, er traf auch im Finale gegen Frankreich per Foulelfmeter zum 1:0. Dass er im Elfmeterschießen einen weiteren Strafstoß verschoss, blieb folgenlos.

In der vergangenen Woche nun war er erstmals mit den Profis im Trainingslager. Was von Paris Brunner dort hängen blieb, hatte erneut nichts mit Sport zu tun. Er überzog einen Zapfenstreich beim freien Abend der Mannschaft, im zweiten Test kam er danach aus disziplinarischen Gründen nicht zum Einsatz. Nach der Rückkehr sprachen am Mittwoch nach Informationen der Ruhr Nachrichten zunächst seine Eltern, später auch der Spieler selbst bei Nachwuchs-Chef Lars Ricken vor. Der nächste Rüffel für das Talent.
Drei Spieler der BVB-U19 in Marbella dabei
Man kann darüber diskutieren, ob von einem Heranwachsenden erwartet werden kann, sich in diesem Alter immer und in jeder Situation hochprofessionell zu verhalten. In den vier Spielzeiten, die Jadon Sancho im Alter zwischen 17 und 21 Jahren in Dortmund spielte, fiel er mehrfach durch Undiszipliniertheiten auf. Die Leistungen auf dem Rasen entschuldigten nicht jede Verspätung, aber sie machten es leichter, seine Eskapaden gegenüber den Kollegen zu tolerieren.
Brunner hingegen hat die Tage in Marbella nicht nutzen können, um die Fantasie einer ähnlichen Entwicklung wie bei Sancho zu wecken. Wie groß der Unterschied zwischen U19 und Profi-Fußball ist, fiel nicht nur bei Cole Campbell, sondern auch bei ihm deutlich auf. Aus dem Trio der Nachwuchsspieler aus Mike Tullbergs U19-Team konnte sich am ehesten noch Kjell Wätjen in den Vordergrund spielen.
BVB-Stürmer Brunner muss sich hinterfragen
Wer ganz nach oben will, benötigt beim Übergang aus dem Juniorenbereich extreme Professionalität und den unbedingten Willen, besser zu werden und lernen zu wollen. Das hat Lucien Favre einmal über Sancho gesagt, als es bei ihm nicht lief. Brunner steht noch ganz am Anfang einer möglichen Profikarriere, aber augenscheinlich schon an einer entscheidenden Weggabelung. Wer mit 17 Boulevard-Schlagzeilen schreibt („Wie blöd kann man sein?“), der sollte sich generell hinterfragen. Während Wätjen und Campbell in Marbella einen wissbegierigen Eindruck hinterließen, erweckte Brunner bisweilen den Eindruck, als langweile ihn die Basisarbeit aus stupiden Pass-Folgen nur.

In seinem Verein herrscht dem Vernehmen nach eine gewisse Ratlosigkeit über die Entwicklung Brunners in den vergangenen Monaten. Noch immer ist da die Aussicht auf das nächste NLZ-Talent, das sich zu einem wertvollen Profi entwickeln könnte. Brunner hat für seine knapp 18 Jahre schon gute körperliche Voraussetzungen, er ist ausgestattet mit einer guten Abschlussquote und einem überdurchschnittlichen Tor-Instinkt. Ein Straßenfußballer, den es allerdings noch zu formen gilt. Er gilt aber nicht als besonders schnell oder dribbelstark. Es gibt daher auch Skeptiker, die bei ihm für eine große Karriere das eine, hervorstechende Merkmal vermissen, das andere Ausnahmetalente seiner Altersgruppe ausmacht. Wie zum Beispiel den Argentinier Claudio Echeverri, der als nächster Messi gilt, demnächst wohl offiziell Manchester City zusagen wird und der für viele Beobachter als der eigentlich beste WM-Spieler galt.
Wie geht es mit Brunner beim BVB weiter?
Wie es mit Brunner weitergeht, ist in jeder Hinsicht offen. Beim Rapport-Termin mit Ricken am Mittwoch dürfte es dann auch um den Profi-Vertrag gegangen sein, den der BVB Paris Brunner mit Vollendung seines 18. Lebensjahrs anbieten will. Nachdem Cheftrainer Edin Terzic vor der Winterpause Brunners Trainingsleistungen auch mit einer Berufung in den Profi-Kader honorierte, waren die sieben Tage in Marbella aber ein deutlicher Rückschritt auf dem steinigen Weg nach oben.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 11. Januar 2024.