Aus wenig eine Menge zu machen, das war eine Spezialität des FC Schalke 04 in den vergangenen Wochen, in denen sich die Mannschaft im Tabellenkeller wieder in eine Position gebracht hat, in der sie das Schicksal wieder in der eigenen Hand hat. Und die Taktik ging für die Schalker auch im 100. Bundesliga-Derby zwischen Königsblau und Schwarzgelb auf. Am Ende eines rassigen Fußballspiels feierte die Nordkurve das 2:2 (0:1) wie einen Sieg. Borussia Dortmund hingegen beklagte nach dem unnötigen Ausscheiden in der Champions League den nächsten Rückschlag und ließ einen Gegner, gegen den man zwei Mal in Führung gegangen war, viel zu leicht wieder in das Spiel zurück und half bei beiden Gegentoren kräftig mit.
Schlotterbeck und Hummels setzen Zalazar in Szene
Als Rodrigo Zalazar in der 25. Minute frei vor dem Dortmunder Tor auftauchte, allein vor dem erneut als Kobel-Vertreter im Tor stehenden Alexander Meyer aber nicht die Nerven behielt, da bekam der der BVB ein Gefühl dafür, dass es ein schwerer Nachmittag werden könnte. Zalazar donnerte den Ball aus spitzem Winkel deutlich übers Tor, vorausgegangen war ein völlig verunglücktes Anspiel von Nico Schlotterbeck auf Mats Hummels, der bei der Verarbeitung der Kugel ins Pressschlag-Duell mit Zalazar gezwungen wurde und dieses verlor.
Schalkes beste Chance im ersten Durchgang entsprang einem dicken Bock der Dortmunder Innenverteidiger, das sollte sinnbildlich stehen für einen am Ende verkorksten Nachmittag für die Schwarzgelben, die aber bis zur Pause in der stimmungsgeladenen Veltins-Arena alles im Griff hatten. Die 80 Prozent Ballbesitz für den BVB nach zehn Minuten unterstrichen die Schalker Taktik: hinten gut stehen, mit langen Bällen und Kontern auf den Lucky Punch zu hoffen.
BVB-Trainer Terzic setzt auf Malen und Bynoe-Gittens
Wenn sich viel Ballbesitz mit dem Problem paart, offensiv Chancen zu kreieren, wie das zuletzt beim BVB in einigen Partien der Fall war, ergibt sich ein Fußballspiel, das zunächst wenig ansehnlich war und ausschließlich von der Spannung lebte. Zu lange ließ sich Dortmund auf das wenig ansehnliche Kombinationsspiel der Gastgeber ein und spielte zu viele lange Bälle. Das war gegen die zweikampfstarken Gastgeber nicht das Mittel der Wahl.
Dabei hatte Edin Terzic nach den Ausfällen von Julian Brandt und Marco Reus voll auf die Komponente Tempo gesetzt. Donyell Malen und Jamie Bynoe-Gittens sollten als flinke offensive Außen die Schalker Problemzone vor allem auf der linken defensiven Außenseite bearbeiten, im offensiven Zentrum tauchte überraschend Raphael Guerreiro auf. Mit Tempo auf den Gegenspieler zu ziehen, das gelang vor allem Malen dann im Verlauf der ersten 45 Minuten immer besser. Dortmunds Pausenführung entsprang einer Einzelaktion, als sich Schlotterbeck gut in den freien Raum jenseits der Mittellinie orientierte. Gut 30 Meter vor dem Schalker Tor bekam er den Ball, Yoshida ließ ihn gewähren. Vom Aufsetzer des ehemaligen Freiburgers wurde S04-Keeper Fährmann dann komplett überrascht. Wie an der Schnur gezogen landete die Kugel im langen Eck (38.).
BVB-Trainer Terzic nimmt vier Wechsel vor
Schon zuvor hatten sich die Schwarzgelben angenähert: Guerreiro wählte mit einem Außenristschuss nach schönem 50-Meter-Pass von Hummels noch das falsche Mittel (18.), bei Dortmunds bestem Angriff der ersten 45 Minuten drehte sich Malen nach Bellingham-Zuspiel schön um S04-Manndecker Jenz. Fährmann rettete mit ausgefahrenem Arm (27.). Die Pausenführung der Gäste war verdient. Schalke spielte seine wenigen Kontermöglichkeiten nicht konsequent genug aus, im Dortmunder Abwehrzentrum hatte Hummels, einer von vier Neuen beim BVB im Vergleich zum Chelsea-Spiel, bis auf sein unglückliches Mitwirken bei der Zalazar-Großchance alles im Griff.
Geschlagen war das Schlusslicht der Tabelle aber noch lange nicht. Und es dauerte gerade einmal fünf Minuten, bis die Schalker nach zuletzt fünf torlosen Derbys wieder jubeln durften. Im Mittelfeld verlor Bellingham viel zu einfach den Zweikampf gegen Kral, dann ging es gegen die aufgerückte Dortmunder Kette blitzschnell: Über den sehr umtriebigen Frei lief der Konter, dessen perfekten Flankenball in die Mitte musste Marius Bülter nur noch ins Tor schieben. Der Schalker Anhang tobte, es stand 1:1 (50.). Der BVB schüttelte sich, hatte aber zunächst Mühe, die Kontrolle wieder an sich zu reißen. Bellingham hing im Mittelfeld nicht nur wegen seines Fehlers vor dem Gegentor durch, über außen entstand nach wie vor zu wenig Gefahr. Vor allem Bynoe-Gittens nutzte seine Schnelligkeit zu selten aus.
Guerreiro bringt den BVB wieder in Führung
Doch mit der Euphorie des Ausgleichs wollte Schalke mehr und lockerte dafür ein Mal zu viel die engmaschige Verteidigungslinie. Und als Emre Can mit langen Schritten den Ball ungehindert durchs Mittelfeld treiben durfte und dann perfekt den Diagonalball in den Lauf von Guerreiro spielte, ging Dortmund erneut in Führung: Der Schuss des Portugiesen landete mit perfekter Technik im linken Winkel des Schalker Tores, erneut war Fährmann chancenlos (60.).
Schon bis dahin war das Duell Titelanwärter gegen Schlusslicht ein hartes Stück Arbeit für den BVB, der nach der erneuten Führung dann zu schnell in den Verwaltungsmodus schaltete. Das wurde bitter bestraft: Bülter durfte von links flanken, wieder kam Bellingham zu spät. Und in der Mitte schaute vor allem Ryerson dem Ball nur hinterher, der eingewechselte Kenan Karaman köpfte weitgehend ungehindert ins lange Eck (79.).
BVB-Torhüter Meyer auf dem Posten
Das Tor gab den Königsblauen noch mehr Oberwasser. Zwar strich Guerreiros Schuss direkt nach dem 2:2 nur knapp am Schalker Tor vorbei, doch die Belastung einer Englischen Woche machte sich bei Schwarzgelb nun deutlich bemerkbar. Schalke attackierte nun früher – und hatte durch den eingewechselten Balanta sogar die Großchance zum 3:2 (88.). Zu zentral kam sein Schuss, Meyer packte energisch zu.
2:2, das war vor allem für den BVB zu wenig. Und die letzte Chance der Partie sollte der Borussia gehören. Mit Herz und jeder Menge Leidenschaft warfen sich die Schalker in die Schüsse von Schlotterbeck und Mahmoud Dahoud, diesmal zog die Borussia das Glück nicht auf ihre Seite. Die Verteidigungsaktion ihrer aufopferungsvoll kämpfenden Mannschaft wurde von den Rängen gefeiert wie ein eigenes Tor. Und nach drei Minuten Nachspielzeit gab es in der Arena kein Halten mehr. Der FC Schalke 04 durfte sich über einen wichtigen und durchaus verdienten Punkt im Abstiegskampf freuen. Der BVB beklagte hingegen wie in London eine verpasste Chance und erlebte am Ende einer wichtigen Englischen Woche den nächsten Rückschlag.
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