BVB-Kapitän Marco Reus muss erstmals um seinen Platz im Team kämpfen

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BVB-Kapitän Marco Reus muss erstmals um seinen Platz im Team kämpfen

rnBorussia Dortmund

Die Zahlen waren gut, der Gesamteindruck war trotzdem eher durchwachsen. Dann verletzte sich Marco Reus – und nun wartet plötzlich richtiger Konkurrenzkampf auf den BVB-Kapitän.

Dortmund

, 27.07.2020, 07:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Rückblickend war die Fußballwelt des Marco Reus am 22. September 2019 eigentlich noch ziemlich in Ordnung, auch wenn es sich für den Moment anders anhörte. Der BVB hatte Eintracht Frankfurt gerade zwei Tore und einen Punkt geschenkt, und Reus bat den TV-Reporter im Interview unmittelbar nach dem Schlusspfiff, um es mal so zu formulieren, darum, ihm „jetzt bitte nicht mit dieser Mentalitätsscheiße“ zu kommen. Das gehe ihm nämlich „so auf die Eier“ und „irgendwann ist es echt mal gut“.

BVB-Kapitän Marco Reus stand schon lange nicht mehr auf dem Feld

Das klang freilich nicht zwangsläufig so, als hätte Reus gerade den besten Arbeitstag seines Lebens hinter sich, aber im Vergleich zu den Problemen des Jahres 2020 wirkt das alles noch viel harmloser, als es damals bei genauer Betrachtung schon war. Denn der BVB-Kapitän würde im Jahr 2020 vermutlich sogar gerne mal wieder ein Interview kurz nach dem Schlusspfiff geben, selbst wenn das gewiss nicht zu seinen Lieblingsaufgaben gehört.

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Doch Reus‘ bis heute letztes Pflichtspiel ist lange her. Über fünf Monate. Am 4. Februar stand er im Bremer Weserstadion auf dem Rasen, als Borussia Dortmund gegen Werder aus dem Pokal flog. Seitdem bremst ihn eine Sehnenverletzung im Adduktorenbereich aus, und wenn man einem Artikel der „Sport Bild“ Glauben schenken darf, plagen ihn die Probleme noch immer. Reus soll nach wie vor Schmerzen haben. Selbst der Vorbereitungsauftakt Ende Juli scheint in Gefahr zu geraten.

Marco Reus will mit dem BVB Deutscher Meister werden

Reus selbst hat jüngst im Interview mit dem vereinseigenen Sender BVB-TV gesagt: „Ich hoffe, dass ich meine Energie in der neuen Saison wieder auf den Platz bringen kann“. Und: „Mein großes Ziel ist es immer noch, mit dem BVB Deutscher Meister zu werden. Wenn mich das nicht antreibt, was dann.“

Michael Zorc, der Dortmunder Sportdirektor, sagte Anfang Juli im Interview mit den Ruhr Nachrichten: „Alle Planungen laufen darauf hinaus, dass er mit Saisonbeginn wieder voll einsteigen kann. Auf dieses Ziel arbeiten die Therapeuten und die Fitnesstrainer hin. Wir wünschen uns das für ihn und uns als Borussia Dortmund, denn man hat gesehen, dass ein Marco Reus in Topform immer noch den Unterschied ausmachen kann. Er hat in der Liga vor seiner Verletzung in 19 Spielen 11 Tore geschossen und 6 vorbereitet.“

BVB-Kapitän Reus: Die nackten Zahlen sind gut

Die nackten Zahlen von Reus‘ vergangener Spielzeit, die im Februar ein so jähes Ende fand, sind gut. Der 31-jährige Nationalspieler war trotz seiner Verletzung an 20 Prozent aller Bundesliga-Tore des BVB in der zurückliegenden Saison beteiligt. Wettbewerbsübergreifend zählt die Statistik für Reus 19 Torbeteiligungen (12 Tore, 7 Vorlagen) in 26 Pflichtspielen.

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Trotzdem hat sich längst der Eindruck verfestigt, dass Reus‘ vergangene Saison bei Weitem nicht so gut war wie die Spielzeit 2018/2019, als Reus 34 Torbeteiligungen in insgesamt 36 Pflichtspielen sammelte und zum zweiten Mal in seiner Karriere nach 2012 zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt wurde. Auf eine herausragende Saison folgte eine für Reus‘ Ansprüche ordentliche Spielzeit. Es war ein bisschen der Fluch der guten Tat, der Reus heimsuchte.

Marco Reus hat beim BVB den Nimbus der Unverzichtbarkeit verloren

Das deutlich größere Problem für den gebürtigen Dortmunder ist allerdings, dass er seinen Nimbus der Unverzichtbarkeit, den er beim BVB seit seiner Rückkehr aus Mönchengladbach im Jahr 2012 eigentlich immer innehatte, in der zurückliegenden Rückrunde scheinbar ein bisschen verloren hat, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Der BVB spielte eine erfolgreiche Rückrunde und schoss so viele Tore wie noch nie in der Bundesliga. Ohne Reus.

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Und so wird Reus, der in Dortmund einen Vertrag bis zum 30. Juni 2023 besitzt, in der kommenden Saison eigentlich zum ersten Mal überhaupt um seinen Stammplatz beim BVB kämpfen müssen. Giovanni Reyna drängt mit Wucht in die erste Elf, auch Julian Brandt ist ein Kandidat für die Reus-Position. Jadon Sancho gilt, wenn er denn bleibt, als unentbehrlich, Erling Haaland, der bei FIFA21 seinen eigenen Jubel bekommt, traf in der Rückrunde, wie er wollte. Thorgan Hazard sammelte als fleißiger Arbeiter und regelmäßiger Scorer Pluspunkte. Reus, der immer spielen will, wenn er gesund ist, wird sich vielleicht ein wenig umstellen – und, auch aus Selbstschutz, mit dem Rotationsgedanken anfreunden müssen.

Beim BVB stellt sich die Systemfrage – das betrifft auch Reus

Darüber hinaus stellt sich die Systemfrage. Seit Favre in der vergangenen Hinrunde auf eine Dreierkette in der Abwehr umgestellt hat, verhält es sich beim BVB mit der Zehnerposition, auf der Reus am liebsten spielt, etwas kompliziert. Favres System schwankte seit Ende November 2019 zwischen einer 3-4-3-, 3-4-2-1- und einer 3-4-1-2-Formation hin und her. Wenn Haaland spielte, setzte Favre dahinter zumeist auf zwei Spieler auf den offensiven Halbpositionen. Wenn Haaland nicht spielte, bildeten Sancho und Hazard einen Zwei-Mann-Sturm oder die beiden offensiven Außenpositionen. In diesem Fall bliebe für Reus nur die ungeliebte Position im Sturmzentrum – oder, wenn Hazard ins Sturmzentrum rücken würde, die auch nicht mehr so beliebte Position auf dem Flügel.

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Fest steht jedenfalls, dass die Zehnerposition nicht mehr so fest in Favres Spielidee verankert ist, wie sie es im 4-2-3-1-System war, auf das Favre in seinem ersten Jahr in Dortmund fast immer und in der vergangenen Saison (zu) lange setzte. Für Reus bleibt daher zu hoffen, dass er schnell wieder voll belastbar ist und den Konkurrenzkampf annehmen kann – und dass er in der neuen Saison keinen TV-Reporter bitten muss, ihm jetzt nicht mit dieser Systemscheiße zu kommen, weil ihm das so auf die Eier gehe.