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BVB-Hinrundencheck: Viele Tore, viele Optionen und viele Zweifel in der Offensive
Borussia Dortmund
Borussia Dortmund hat in der Bundesliga-Hinrunde 41 Tore erzielt. Nur RB Leipzig (48) und Bayern München (46) waren besser. Trotzdem soll ein neuer Stürmer her. Unser Zeugnis.
Paco Alcacer: Der Spanier legte im Sommer los, wie er schon in der vergangenen Saison beim BVB losgelegt hatte: Er traf wie am Fließband. In den ersten sechs Pflichtspielen der Hinrunde erzielte er sieben Tore – und die Diskussion über einen fehlenden zweiten Stürmer im BVB-Kader, die Borussia Dortmund durch die gesamte Saisonvorbereitung begleitet hatte, ebbte spürbar ab.
Fast noch erfreulicher als Alcacers Torquote zu Beginn der Spielzeit war für die BVB-Verantwortlichen die Erkenntnis, dass der einzige gelernte Torjäger im Kader deutlich fitter zu sein schien als in seiner Premierensaison. Alcacer hatte die gesamte Vorbereitung absolviert, wirkte robuster und austrainierter - und er absolvierte die ersten fünf Spiele dieser Saison alle über die vollen 90 Minuten.

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Dass der BVB nun dennoch nach einem neuen Stürmer sucht, liegt daran, dass Alcacers bislang letztes Spiel über 90 Minuten vom 31. August datiert und er sein letztes Tor für Borussia Dortmund am 14. September beim 4:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen erzielt hat. Erst stoppten ihn Probleme mit der Achillessehne, später eine Risswunde am Knie. Sein letztes Spiel von Beginn an bestritt er am 22. November beim 3:3 gegen Paderborn.
Ein Heimweh-Interview im spanischen Fernsehen und eine Systemumstellung später haben Thorgan Hazard und Jadon Sancho die Nase in der BVB-Offensive vorn, mehr als Kurzeinsätze spendierte Lucien Favre seinem vermeintlich treffsichersten Spieler im Dezember nicht mehr. Der 26-Jährige muss in der Rückrunde den Beweis antreten, dass er noch mit vollem Herzen für Borussia Dortmund spielt - und auch über eine ganze Halbserie hinweg mit Toren und körperlicher Fitness glänzen kann. Gesamtnote: 4,0
Mario Götze und Lucien Favre - das wird vermutlich keine echte Liebe mehr. Für Götze muss sich die Hinrunde wie eine große Enttäuschung angefühlt haben, gerade deshalb, weil es in der vergangenen Rückrunde so gut für ihn gelaufen war. Unter dem Strich steht: In 26 Pflichtspielen seit der Sommerpause durfte Götze 16 Mal auf dem Rasen mitwirken, allerdings nur sechs Mal von Beginn an. Viele Kurzeinsätze, wenig Startelfeinsätze. Drei Tore, eine Vorlage.
Dabei war der 27-Jährige die komplette Hinrunde einsatzbereit, nur einmal setzte ihn ein grippaler Infekt außer Gefecht, auch die Vorbereitung hatte er komplett absolviert. Und als er Ende September gegen Werder Bremen erstmals von Anfang an ran durfte, ein Tor erzielte und eine starke Leistung bot, saß er ein paar Tage später beim Champions-League-Spiel in Prag trotzdem wieder auf der Bank.

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Götzes Hauptproblem in dieser Hinrunde war, dass Favre dem Job-Sharing-Modell zwischen Götze und Alcacer aus der Vorsaison nicht weiter vertraute, sondern auch mal die Neuzugänge Julian Brandt sowie Thorgan Hazard in vorderster Front ausprobierte und irgendwann dann sogar komplett das System umstellte. Seit Favre auf ein 3-5-2 mit Sancho und Hazard in der Spitze setzt, spielen weder Alcacer noch Götze eine Rolle - und deswegen steht auch die Frage im Raum, ob es zwischen Götze und dem BVB nochmal für echte Liebe reicht.
Eine Vertragsverlängerung ist im vergangenen halben Jahr jedenfalls deutlich unwahrscheinlicher geworden. Im Sommer könnte Götze den BVB zum zweiten Mal verlassen. Dieses Mal dann ablösefrei. Gesamtnote: 4,5
Jadon Sancho: Viel Wahnsinn, viel Genialität, viel Torgefahr: So lässt sich Jadon Sanchos Hinrunde wahrscheinlich am besten zusammenfassen. 25 Torbeteiligungen in 24 Pflichtspielen (12 Tore, 13 Assists) sprechen eigentlich für sich, noch dazu, wenn ein Spieler erst 19 Jahre alt ist, zum ersten Mal in seiner Karriere als Stammspieler in eine Profisaison startet und ständig als nächster Rekord-Verkauf durch die Gerüchteküchen gescheucht wird.
All das wäre eigentlich Grund genug, Sancho zum BVB-Spieler der Hinrunde zu küren, aber da war und ist eben auch noch die andere Seite der Medaille. Die Seite, die deutlich weniger glänzt, als Sancho es meistens auf dem Fußballplatz zu tun pflegt.

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Eine Suspendierung aus dem Kader, weil er vor dem Liga-Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach zu spät von der Nationalmannschaft zurückkehrte, eine Auswechslung nach 36 Minuten, weil er beim 0:4 in München die Defensivarbeit verweigerte, und eine Strafversetzung auf die Bank, weil er ausgerechnet nach dem miserablen 3:3 gegen Paderborn mit erneuten Disziplinlosigkeiten auf der Champions-League-Dienstreise nach Barcelona auffiel: So etwas ist Gift für eine Fußballmannschaft, egal, wie alt oder talentiert jemand ist.
Die gute Nachricht aus Dortmunder Sicht ist, dass Sancho nach vielen internen Gesprächen offenbar wieder in die Spur gefunden hat. Seit den Vorfällen in Barcelona hat der junge Engländer herausragend gut Fußball gespielt – und soll das in Dortmund noch mindestens für ein halbes Jahr so handhaben. Er sehe kein Szenario, dass Sancho bereits im Winter wechsle, hat BVB-Sportdirektor Michael Zorc jüngst gesagt. Im Sommer dürfte das anders aussehen. Dann winkt das große Geld. Für Sancho. Und auch für den BVB. Gesamtnote: 2,5
Thorgan Hazard: Er gehe mit einem „Scheiß-Gefühl“ in die Winterpause, gab Thorgan Hazard nach dem 1:2 des BVB in Hoffenheim zu Protokoll. Rein sportlich war die Aussage völlig verständlich, der BVB ist nicht da, wo er gerne wäre. Zumindest Hazard aber kann halbwegs zufrieden auf sein erstes halbes Jahr im schwarzgelben Trikot blicken.
Der Neuzugang, der vor der Saison für gut 25 Millionen Euro von Borussia Mönchengladbach in Richtung Dortmund wechselte, stand in 23 von 26 Pflichtspielen auf dem Platz, erzielte vier Tore und lieferte acht Assists. Vor allem seit Lucien Favres Systemumstellung auf 3-5-2 mit Hazard und Sancho in der vordersten Linie findet sich der 26-Jährige immer besser zurecht beim BVB, harmoniert gut mit Achraf Hakimi auf der rechten Seite und auch immer vielversprechender mit Sancho und Marco Reus in der Offensive.

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Drei seiner vier Tore für Schwarzgelb erzielte er seit dem 2:1-Erfolg bei Hertha BSC am 30. November - und so dürfte er zwar mit einem miesen Gefühl in die Winterpause gegangen sein, aber mit einem ganz guten Gefühl in die Vorbereitung auf die Rückrunde starten. Gesamtnote: 3,0
Marco Reus: Hinter dem Kapitän liegt eine Hinrunde, die sich ganz gut in der Hinrunde des gesamten BVB widerspiegelt. Es lief mal gut und mal schlecht, aber die Konstanz hat gefehlt. Unter dem Strich stehen für Reus 15 Torbeteiligungen in 22 Pflichtspielen. Reus erzielte zehn Tore und legte fünf Treffer auf. In der Bundesliga (neun Tore, vier Vorlagen) weisen nur vier Spieler einen besseren Scorerwert auf (Robert Lewandowski, Timo Werner, Jadon Sancho, Florian Niederlechner) als der 30-Jährige, der seit ein paar Tagen verheiratet ist.
Das private Glück ist dank Töchterchen und Ehe gefunden im Hause Reus, das sportliche Glück mit dem BVB ist es nicht. Sieben Punkte Rückstand auf Platz eins sind nicht Borussia Dortmunds Anspruch, der von Reus schon gar nicht. Der gebürtige Dortmunder will unbedingt Meister werden mit seinem Herzensklub. Die Uhr tickt.

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Reus weiß selbst am besten, dass seine Hinrunde für seine Verhältnisse nur Durchschnitt war. Was Hoffnung macht, sind seine jüngsten Auftritte, bevor ihn ein Muskelfaserriss vor dem 1:2 in Hoffenheim zur Pause zwang. Reus hat von Favres Systemumstellung auf 3-5-2 deutlich profitiert, in fünf Partien vor seiner Verletzung war er an sieben Toren beteiligt (drei Tore, vier Vorlagen), beim 4:0-Erfolg in Mainz (ein Tor, eine Vorlage) strahlte er endlich auch auswärts die Torgefahr aus, die er von sich erwartet.
Nun bleibt aus Dortmunder Sicht zu hoffen, dass Reus wegen seines Muskelfaserrisses nicht zu lange ausfällt und anders als in der Saison verletzungsfrei durch die Rückrunde kommt. Die Formkurve zeigte zuletzt deutlich nach oben - und ohne Reus in Topform wird eine Aufholjagd im Kampf um die Meisterschale nicht zu meistern sein. Gesamtnote: 3,5
Jacob Bruun Larsen: Beim 1:2 in Hoffenheim am letzten Hinrunden-Spieltag durfte Offensiv-Allrounder Jacob Bruun Larsen zwar mal wieder 45 Minuten ran, aber unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass Bruun Larsen den erhofften nächsten Schritt in dieser Saison nicht gegangen ist, sondern mindestens einen Schritt zurück verkraften muss. Für Bruun Larsen war es eine Halbserie zum Vergessen – und ein Wechsel in diesem Winter ist alles andere als ausgeschlossen.

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Allein ein Blick in die Statistik genügt, um zu verstehen, wie schlecht es sportlich um den 21 Jahre alten Dänen bestellt ist. 158 Pflichtspielminuten stehen für Bruun Larsen in der Hinrunde auf der Uhr, darunter ein einziger Startelfeinsatz und nur eine Torbeteiligung. Der Außenbahnspieler war bislang kein wesentlicher Faktor in der BVB-Offensive. Das sah in der vergangenen Saison noch anders aus: Damals kam Bruun Larsen zur Winterpause auf 949 Pflichtspielminuten, drei Tore und zwei Vorlagen. Der Trend geht also ziemlich deutlich in die falsche Richtung - und bislang ist es Bruun Larsen nicht gelungen, ihn mit entsprechend ansprechenden Leistungen aufzuhalten. Gesamtnote: 5,0
Tobias Jöhren, Jahrgang 1986, hat an der Deutschen Sporthochschule in Köln studiert. Seit 2013 ist er Mitglied der Sportredaktion von Lensing Media – und findet trotz seines Berufes, dass Fußball nur die schönste Nebensache der Welt ist.
