BVB-Angreifer Konietzka schoss das erste Bundesligator Wie ein Treffer unsere Familie beeinflusst

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Als Friedhelm "Timo" Konietzka in Lünen zusammen mit seinen vier Brüden aufwuchs und Fußball spielte, wusste noch niemand, welch eine Karriere er haben würde. Der jüngste der vier Brüder Günther erinnert sich genau, wie sie angefangen haben Fußball zu spielen. Hinter ihrem Haus gab es ein kleines Wäldchen, einen sogenannten Bahnbusch, in dem sie kickten. „Bevor du jemanden umspielen konntest, musstest du zuerst um zwei Bäume dribbeln", erzählt mir mein letzter noch lebender Großonkel. Gespielt wurde mit einem Ball aus zusammengebundenen Stoffen.

Später im Verein war die ganze Familie involviert. Die vier Brüder Timo, Günther, Kurt und Heinrich spielten, Vater Heinrich war der Trainer und Mutter Emma hatte nach den Spielen von vier Mannschaften die Trikots für das nächste Spiel gewaschen.

Die Mannschaft rund um die Konietzkas in Davensberg. Während die Brüder Timo, Günther und Kurt (3-5 von recht) gespielt haben, war ihr Vater Heinrich der Trainer.
Die Mannschaft rund um die Konietzkas in Davensberg. Während die Brüder Timo, Günther und Kurt (3-5 von recht) gespielt haben, war ihr Vater Heinrich der Trainer. © Privat

Neben einer Fußballer- waren die Konietzkas eine Bergarbeiterfamilie. Vater Heinrich war war Betriebsratsvorsitzender der Zeche Viktoria in Lünen, seine Söhne arbeiteten dort. DIe einzige Ausnahme: Timo Konietzka. „Mein Vater wollte, dass wir alle zum BVB gehen. Drei von uns hätten es geschafft. Aber der Timo war der Ehrgeizigste von uns", erinnert sich Günther. Während Timo in der ersten Mannschaft von Borussia Dortmund spielte, spielte mein Opa Kurt in der Reservemannschaft, eher er sich 1961 auch wieder für die Arbeit auf der Zeche entschied.

1962, ein Jahr vor dem ersten Spiel der neuen Bundesliga, gab es einen Rückschlag für Timo. Während er mit der Mannschaft in Japan unterwegs war, verstarb sein Vater. „Wir konnten Timo damals nicht erreichen. Deswegen konnte er nicht bei der Beerdigung sein. Als er wieder zu Hause war, war er am Boden zerstört", erzählt mir Inge.

Familienfoto der Konietzkas. Von rechts nach links: Timo (damals hieß er noch Friedhelm), Schwester Hannelore, Bruder Günther, Vater Heinrich, Mutter Emma, Bruder Kurt, Bruder Heinrich, Schwester Lotte
Familienfoto der Konietzkas. Von rechts nach links: Timo (damals hieß er noch Friedhelm), Schwester Hannelore, Bruder Günther, Vater Heinrich, Mutter Emma, Bruder Kurt, Bruder Heinrich, Schwester Lotte © Konietzka

Fast der Wechsel in den Süden

Bei Borussia Dortmund hatte Timo einen Freund, mit dem er sich sowohl auf als auch neben dem Platz sehr gut verstand: Jürgen "Charlie" Schütz. Das kongeniale Sturmduo des BVB trug den Spitznamen „Max und Moritz“. Nach der Meisterschaft 1963 wurde dieses Duo aufgespalten, als Schütz sich für einen Wechsel nach Italien zum AS Rom entschied. Wenn es nach den Italienern gegangen wäre, wäre nicht nur einer der beiden gewechselt. „Ja, Timo hatte auch ein Angebot aus Italien. Sie wollten beide haben“, sagt Günther. Und das, obwohl das Scouting des Duos nicht gut gelaufen war. „Immer, wenn sie beobachtet wurden, hat einer der beiden nicht gut gespielt. Doch trotzdem wollten sie beide holen“, erzählt mir mein Großonkel.

Timo Konietzka (Mitte) beim Besuch des Stadtfestes mit einem Schweizer Kollegen (links) und seinem Bruder Günther (rechts).
Timo Konietzka (Mitte) beim Besuch des Stadtfestes mit einem Schweizer Kollegen (links) und seinem Bruder Günther (rechts). © Konietzka

Über München in die Schweiz

Nach einer erfolgreichen Zeit in Dortmund folgte Timo seinem Förderer Max Merkel in den Süden und wechselte zu 1860 München. Doch er sollte nicht der Einzige sein. „Merkel hat mich auch angesprochen. Wir sollten zu zweit nach München wechseln. Doch ich lehnte ab“, erinnert sich Günther. Trotz der erfolgreichen Zeit in München, dem Kauf eines eigenen Hauses sowie eines Geschäftes, hat sich Timo in München nie heimisch gefühlt. Er erzählte seinem Bruder Günther, als dieser ihn in München besuchte, dass er sich gar nicht wohl fühlt und sich nicht einleben konnte. Nach der kurzen Zeit in der bayrischen Hauptstadt zog es Timo weiter in den Süden in die Schweiz. Dort lebte er bis zu seinem Freitod 2012 mit seiner Ehefrau Claudia und führte nach seinem Karriereende ein Hotel.

Tätlichkeit als Makel

Bis 1956 war mein Großonkel Timo Teil der deutschen Nationalmannschaft. Danach wurde er nie wieder nominiert. Ein Grund war eine Tätlichkeit, die ihm eine der längsten Strafen der Bundesligageschichte einbrachte.

In der Saison 1966/67 wurde er als Spieler von 1860 München im Spiel gegen seinen alten Verein Borussia Dortmund wegen einer Tätlichkeit gegen den Schiedsrichter vom Platz gestellt und für sechs Monate gesperrt. Er hat dem Schiedsrichter gegen das Schienbein getreten und ihm die Pfeife abgenommen. Sein Bruder erzählt mir, wie der Timo kurz vor der Anhörung vor dem Sportgericht war: „Er wurde angehalten, dass er Reue zeigen soll. Er sollte sagen, dass es ihm leidtut. Doch das tat es ihm nicht. Er hat immer sein Leben selbst bestimmt und deswegen hat er auch vor dem Sportgericht nicht gelogen.“

Besondere Beziehung der Brüder

Timo und sein Bruder Günther, den er des Öfteren besuchte und bis zu seinem Freitod den Kontakt pflegte.
Timo und sein Bruder Günther, den er des Öfteren besuchte und bis zu seinem Freitod den Kontakt pflegte. © Privat

Den meisten Kontakt hatte Timo zu seinem Bruder Günther. Mit ihm hat er auch als Spieler beim BVB noch trainiert. „Als er Profi bei der Borussia war, kam er nach dem Training immer nach Lünen, um mit mir zu trainieren. Wir spielten dann auf dem Bolzplatz an der Sedanstraße", erinnert sich mein Großonkel. Noch heute gibt es diesen Platz. Gegenüber wohnte meine Oma und jedes mal, wenn wir sie in den Ferien besucht haben, habe auch ich auf dem selben Bolzplatz trainiert.

Auch als er in der Schweiz lebte, ist Timo immer wieder nach Beckum gefahren, um seinen Bruder zu besuchen. „Natürlich wurde das mit der Zeit weniger. Aber bis zu seinem Freitod hatten wir Kontakt. Auch meine Kinder und Enkelkinder haben ihn kennen gelernt", erzählt Günther.

Häufige Familienbesuche

Während seiner Zeit als Spieler des BVB hat Timo seine Familie des Öfteren besucht. Teilweise sogar mit der gesamten Mannschaft. Als mein Opa Kurt meine Oma Inge geheiratet hat, war beim Polterabend natürlich auch Timo eingeladen. „Ich erinnere mich noch genau. Die ganze Mannschaft von der Borussia war gekommen. Auch Max Merkel mit seinem Sohn. Der Timo hat immer mit Charlie Schütz zusammen gesessen und sie haben sich über Fußball unterhalten“, erzählt mir meine Oma.

Als Timo in München lebte, haben ihn seine Brüder besucht. Auch mein Opa Kurt, Oma Inge und mein Vater Torsten waren dabei. Für meinen Vater ein ganz besonderes Erlebnis. „Das war die Saison 65/66, als sie Deutscher Meister wurden. Ich war vier oder fünf Jahre alt. Da habe ich habe Max Merkel und Radi Radenkovic kennengelernt. Ganz besonders war es für mich, dass ich Ferenc Puskás getroffen habe“, erzählt mir mein Vater stolz. Diese Erlebnisse mit Timo haben meinen Vater besonders geprägt.

Als Timo in der Schweiz aktiv war, haben er und Kollegen für ein ganz besonderes Stadtfest in Deutschland gesorgt. Er und zwei Kollegen haben die Familie im Ruhrgebiet besucht. Grund war der 80. Geburtstag von Emma, der Mutter von Timo. Meine Oma erinnert sich genau an den Besuch aus der Schweiz: „Ich habe noch das Kinderzimmer aufgeräumt, damit die beiden Schweizer Spieler dort übernachten können. Dein Opa und ich haben im Wohnzimmer geschlafen, weil ein weiterer Gast im Schlafzimmer geschlafen hat. Wir haben dann auch einen Schweizer Abend gemacht, mit Fondue und allem.“

Auch meinem Großonkel Günther haben sie besucht. Zusammen ging es auf ein Stadtfest. „Dann haben die Schweizer angefangen, zusammen mit Timo Musik zu machen und zu singen.“

Ich als Co-Trainer des FC Fürth in der Gruppenliga Darmstadt in Südhessen.
Ich als Co-Trainer des FC Fürth in der Gruppenliga Darmstadt in Südhessen. © Thomas Gierth

Großer Einfluss auf meine Familie

Noch heute hat sein Tor und seine Karriere Einfluss auf die ganze Familie. Angefangen bei seinem Bruder Günther. Seit 60 Jahren lebt er in Beckum. Alle kennen ihn nur unter einem Namen: Timo. Weil er seinem bekannten großen Bruder so ähnlich sah, hat er denselben Spitznamen bekommen. „Weil hier Günther alle Timo nannten, waren wir hier die Einzigen, die ihn noch Friedhelm nannten“, erzählt Vera, die Tochter von Günther Konietzka.

Dass die Familie Konietzka eine Sportlerfamilie ist, ist heute wie damals so. Meine Onkel haben in Lünen Fußball gespielt, so wie mein Cousin und ich in Südhessen. Unsere Väter waren unsere Trainer. Auch ich selbst bin als Trainer tätig. Als ich bei Darmstadt 98 als Torwarttrainer gearbeitet habe, wurde ich des Öfteren auf Timo angesprochen. Durch das Tor wurde Timo und der Fußball stetiger Begleiter meines Lebens und ich bin stolz darauf, ihn meinen Großonkel nennen zu dürfen.