Ab 17.29 Uhr am Samstag war Dortmund ein einziges Tränenmeer. Als sich die Schockstarre auf den Rängen löste, lagen sich viele Fans in den Armen, auf dem Rasen schämten sich fast alle Spieler ihrer Tränen nicht. Minutenlang hockte Kapitän Marco Reus auf dem Boden und starrte mit leerem Blick Richtung Südtribüne, die auch in diesem Moment ein beeindruckendes Bild abgab. Eine Wand aus Menschen mit gelben Trikots, die erst zögerlich, dann lautstark versuchten, ihrer Mannschaft Trost zu spenden. Mitten in einer Situation, in der auch sie die größte Enttäuschung seit Jahren verkraften mussten.
BVB-Trainer Terzic spendet Trost
Als Edin Terzic zunächst eher zögerlich den fordernden Rufen der Anhänger folgte, konnte er seine Emotionen nicht mehr zurückhalten. Zuvor hatte Dortmunds Trainer jeden Spieler abgeklatscht, viele umarmt und versucht, Trost zu spenden in einem Moment, der auch für ihn zu den schwierigsten seiner Laufbahn gezählt haben dürfte. So nah vor dem Ziel gescheitert zu sein, das riss eine tiefe Wunde, deren Heilung „Tage, vielleicht Wochen“ dauern könne, wie der Dortmunder Sportdirektor formulierte. „Das sind die Momente, die jeder mit nach Hause nimmt, die jeder mit seiner Familie durchlebt, jeder mit seiner Frau durchlebt. Das wird ein bisschen brauchen“, sagte Sebastian Kehl.
Eine Stadt in absolutem Ausnahmezustand – nur anders, als man sich das vorher ausgemalt hatte. Alles war angerichtet für eine riesengroße Party, schon Stunden vor dem Anpfiff machten sich viele Anhänger auf dem Weg zum Stadion. Überall Optimismus pur, da war niemand, der auch nur im Ansatz einen Gedanken an ein Scheitern verschwendete. Als sich die Mannschaft im Bus vom Teamhotel im Dortmunder Süden aus auf den Weg zum Signal Iduna Park machte, fuhr sie nicht erst in der Strobelallee durch ein Spalier aus schwarzgelben Leibern am Straßenrand.
Raphael Guerreiro verlässt den BVB
Die große Euphorie paarte sich mit der großen Sehnsucht, nach elf langen Jahren die Schale wieder nach Dortmund zu holen. Mehr als einen flüchtigen Blick konnten Mannschaft, Vereinsverantwortliche und Fans nach dem dramatischen Ende aller Titel-Hoffnungen dann aber nicht auf das begehrte Objekt werfen. „Vielleicht“, sinnierte Hans-Joachim Watzke, der Vorsitzende der Geschäftsführung, am Tag nach der gescheiterten Titel-Mission im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten, „sind wir mit dem Druck, mit der Dramaturgie nicht klargekommen. Erst das frühe Gegentor, dann der verschossene Strafstoß, der für mich die entscheidende Szene war, auch wenn ich niemandem einen Vorwurf machen würde … Aber alle haben gesehen und gespürt, dass die Mannschaft nie aufgesteckt hat.“

Watzke eilte schon Minuten nach dem Abpfiff gemeinsam mit Marketing-Chef Carsten Cramer in die Kabine und blickte dort in viele leere Gesichter. Große Worte fand er dort nicht, das geschah erst am Sonntagmorgen, als sich Klubführung, Trainerteam und Mannschaft zum letzten Mal vor der langen Sommerpause in Brackel trafen. Im internen Kreis wurden die Spieler geehrt, die den Klub verlassen werden, schon im Signal Iduna Park hatte es innige Verabschiedungsszenen unter anderem mit Raphael Guerreiro, der das Angebot zur Vertragsverlängerung ausgeschlagen hat und sich eine neue Herausforderung suchen will. Möglicherweise in Spanien, Atletico aus Madrid gilt als interessiert.
Terzic blickt positiv in die BVB-Zukunft
Im bislang schlimmsten Moment seiner noch jungen Trainerkarriere bewies Edin Terzic Größe. Die Gratulation an den Konkurrenten aus München fehlte bei ihm ebenso wenig wie der positive Blick voraus. Bei aller Trauer über die verpasste Mega-Chance kündigte Terzic schon den nächsten Titel-Angriff an. „Dass der Weg zum Erfolg oft steinig, oft hart, oft sehr lang ist: Das ist uns allen bewusst“, sagte Terzic. „Das heute gehört ab sofort auch zu unserem Weg. Egal, wie groß der Schmerz heute ist, er wird die Motivation für morgen sein.“ Terzic ergänzte: „Wir werden uns aufrichten, wir werden die richtigen Schlüsse ziehen, wir werden auch diesen Tag heute verarbeiten und dann wird dieser Weg, den wir eingeschlagen haben, eines Tages belohnt.“
Auch wenn es ein wenig gequält wirkte: So viel Optimismus konnte nicht jeder ausstrahlen. Das dramatische Scheitern der Meister-Mission hatte Spuren hinterlassen. Alle geplanten Feierlichkeiten fielen ins Wasser, nicht nur der Korso, der am Sonntag am Borsigplatz hätte starten sollen. Das Essen der Mannschaft bei einem Szene-Italiener fiel ersatzlos aus, die Spieler zerstreuten sich in alle Richtungen, manche flüchteten regelrecht vom Ort des Grausens.
BVB-Boss Watzke: „Schlimmer als 2013“
Längst nicht alle wird man Anfang Juli wiedersehen, besonders intensiv wickelte Jude Bellingham seinen wohl letzten Dienst als Spieler der Borussia ab. Wie seit Wochen schon erfüllte der Engländer am Sonntag ausgiebig alle Autogramm- und Selfiewünsche der rund 200 Fans am Trainingsgelände, ein Mitarbeiter des BVB-Ordnungsdienstes bekam signierte Schuhe des 19-Jährigen. Es roch nach endgültigem Abschied, der in den kommenden Tagen dann auch offiziell verkündet werden dürfte.

Die Gemütslage aller beim BVB fasste Chef Watzke zusammen: „Es schmerzt sehr. Ich mache diesen Job schon lange, aber Samstag hat es sich noch schlimmer angefühlt als das verlorene Champions-League-Finale 2013.“
BVB-Boss Watzke mit Lob und Kampfansage: „Das Gefühl, dass wir ganz nah dran sind“
BVB-Routinier Hummels nach Titel-K.o. mit emotionalen Worten: „Genau das ist Borussia Dortmund“
Finale BVB-Gespräche mit Watzke, Kehl und Terzic: Bellingham verteilt Abschiedsgeschenke