Eine Hetzjagd quer durch das Dorf, ausländerfeindliche Kommentare in einer Kneipe, wüste Schlägereien erst vor der Kneipe und dann an der Tankstelle, Kung-Fu-Tritte und am Ende ein großer Polizeieinsatz. Was genau in der Nacht vor knapp eineinhalb Jahren in Alstätte passiert ist, lässt sich heute kaum noch klären.
Unstrittig ist, dass alle Beteiligten damals reichlich getrunken hatten. Zwischen 1,4 und 1,8 Promille pendeln die vorläufigen Alkoholmessungen, die die Frauen und Männer vor Ort bei der Polizei „gepustet“ hatten.
Gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung wirft die Staatsanwaltschaft jetzt einem Paar aus Alstätte vor. Mehrfach hätten die 32-Jährige und ihr langjähriger Lebensgefährte (31) ihren Opfern nachgesetzt, sie zu Boden gebracht, geschlagen, getreten und verletzt.
Doch die Angeklagten schildern die Erlebnisse aus jener Nacht vor dem Richter am Amtsgericht völlig anders. Sie seien es ihrerseits gewesen, die angegriffen worden seien: Das sei schon in der Kneipe losgegangen. Dort habe man der Frau an die Brüste gefasst und gegenüber dem Mann erklärt, dass Ausländer dort nicht erwünscht seien.
In der Folge seien die Angeklagten getreten und geschlagen worden. Sie hätten sich lediglich gewehrt. Später sei man sich noch einmal begegnet. Dort sei die Schlägerei erneut ausgebrochen. Allerdings sei der Angeklagte da überhaupt nicht vor Ort gewesen. „Ich habe ihn angerufen, als es wieder Stress gab“, erklärte die Frau auf der Anklagebank. Er sei aber erst eingetroffen, als die Polizei schon mit mehreren Wagen vor Ort war.
Zwei Zeugen und vermeintliche Opfer, ebenfalls Alstätter und 28 sowie 35 Jahre alt, erklären vor Gericht jedoch, dass sie völlig unbeteiligt von der Kneipe nach Hause gelaufen seien. Von den Angeklagten seien sie schließlich angesprochen, beleidigt und bedroht worden.
Wie es genau abgelaufen sei, kann der erste Zeuge nicht mehr sagen. Irgendwann habe er auf einem der Angreifer gesessen, der am Boden lag. Daraufhin habe die Angeklagte ihm von hinten ins Gesicht und ins Auge gefasst und ihn heruntergezogen. Sein Auge sei später zugeschwollen. Beim Arzt sei er aber nicht gewesen.
50 Meter Flucht geschafft
Der zweite Zeuge hat mehr Erinnerungen: Nach rund viereinhalb Stunden Vorstandssitzung seien sie in die Kneipe weitergezogen. Auch dort hätten sie weiter Bier getrunken. Auf dem Heimweg sei ihnen schließlich die Gruppe begegnet. „Uns wurde unterstellt, dass wir die Frauen geschlagen hätten“, sagt er.
Was zuvor rund um die Kneipe geschehen sei, könne er nur vom Hören-Sagen wiedergeben. Jedenfalls seien die Angreifer aggressiv geworden. So sehr, dass er mit seinem Begleiter schließlich zu Fuß die Flucht ergriffen habe.
50 Meter hätten sie zwischen sich und die Angreifer bringen können – und dann die Polizei gerufen. Dann sei die Gruppe wieder näher gekommen. Auch, weil die beiden Männer zurück in Richtung Dorfmitte gelaufen seien.
„Warum sind Sie denn nicht einfach weiter weggerannt? 50 Meter hatten sie doch schon geschafft“, wollte einer der beiden Verteidiger wissen. Der Zeuge zuckt mit den Schultern: „Dann wären wir auf der Bundesstraße gelandet. Bei Nacht keine gute Idee.“
Die Auseinandersetzung hätte schließlich vor der Tankstelle in Alstätte geendet. Dort kam die Polizei dazu. Der 35-Jährige schildert vor Gericht, dass er am ganzen Körper Blessuren davon getragen habe. Hämatome, Schürfwunden, Prellungen. Dokumentiert wurde von der Polizei vor Ort davon allerdings nichts.
Noch ein Zeuge, ein 26-jähriger Ottensteiner, wird befragt. Seine Aussage deckt sich mit der der beiden Angeklagten. Allerdings klingt sie von vorne bis hinten wie ein auswendig gelernter Text. Auf Fragen reagiert er ausweichend.
Beweise verschwimmen im Nebel
Nach fast zweieinhalb Stunden Beweisaufnahme sieht niemand im Saal wirklich klarer. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erkennt die Vorwürfe aus der Anklageschrift dennoch komplett bestätigt. Für den Mann fordert er ein Jahr Haft ohne Bewährung, für die Frau immerhin noch sieben Monate auf Bewährung.
Die beiden Verteidiger sehen das anders. „Wir sind genauso schlau, wie heute Morgen“, sagt einer von ihnen. Fest stehe nur, dass es eine Auseinandersetzung gegeben hat. „Alles andere verschwimmt im Nebel und geht ziemlich durcheinander“, erklärt er. Sie fordern Freisprüche.
Keine Klarheit vor Gericht
Auch der Richter schüttelt nach kurzer Überlegung nur den Kopf. „Es gibt völlig verschiedene Aussagen zu dem Geschehen. Und mir bleiben ganz einfach Zweifel“, sagt er. Selbst die Geschädigten würden einander widersprechen. Ein Zeuge habe zwar die Taten am klarsten beschrieben, dafür wurden just bei dem keine Verletzungen im Gesicht dokumentiert.
Aus Mangel an Beweisen spricht er die Angeklagte frei. Der gerade Freigesprochene streckt beim Verlassen des Gerichtssaals dem älteren Zeugen die Hand hin. „Haben wir damit jetzt alles aus der Welt geschafft?“, fragt er. Der schüttelt nur ungläubig den Kopf. „Worüber sollen wir denn jetzt reden? Sie sind doch angeblich gar nicht dabei gewesen“, sagt er, lässt die Hände in den Taschen und verlässt das Gebäude.