
© Johannes Schmittmann
Wüllen: Wo das Vereinsleben blüht, aber das Kneipensterben Sorge bereitet
Ortsteil-Check Wüllen
Die Menschen leben gerne in Wüllen. Das beweist die Auswertung des Ortsteil-Checks. Vor allem das Vereinsleben ist ausgeprägt wie in nur wenigen Orten. Es gibt aber auch Kritik.
Wüllen: Das Dorf der kurzen Wege. So steht es zumindest auf einem Schild am Ortseingang. Die Wüllener bemühen sich seit jeher, dieses Leitmotto mit Leben zu füllen. „Wo man kann, hilft man sich“, sagt Martin Tenspolde (60). Er ist Ur-Wüllener und bekleidet als Karnevalspräsident das vielleicht höchste Amt im Ort. Die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte hat er hautnah miterlebt. Die positiven wie die negativen. Dass die Teilnehmer der Online-Abstimmung Wüllen in der Kategorie Lebensqualität 9 von 10 Punkte vergeben, überrascht ihn nicht. „Das Kleine ist das Feine“, sagt er. Das passt zum Spitznamen Wüllens: Klein-Köln. Zwischen dem 11. November und Aschermittwoch regiert in Wüllen der Prinz-Karneval.
Johannes Terhaar (27) ist 33 Jahre jünger als Martin Tenspolde. Obwohl er seit 2014 in Münster studiert, trifft man ihn häufig in Wüllen. „Wenn junge Wüllener nach dem Abschluss eine Universität suchen, zieht es sie selten weit weg. Sie wollen den Vereinen erhalten bleiben und haben eine große Verbundenheit zu ihrem Heimatort.“ Obwohl Johannes Terhaar unter der Woche nicht trainieren kann, steht er jeden Sonntag für die dritte Mannschaft des TuS Wüllen auf dem Platz. „Sonst würde mir was fehlen“, sagt er.
Das wurde überwiegend positiv bewertet
Nahversorgung: Volle 10 Punkte vergeben die Wüllener für die Rubrik „Nahversorgung“ und übertrumpfen damit selbst den Bezirk Ahaus Innenstadt. „Für das alltägliche Leben haben wir alles, was wir brauchen“, erklärt Martin Tenspolde, „und für den Rest reicht die kurze Fahrt nach Ahaus“. Für einen Ort mit rund 5500 Einwohnern ist das Angebot breit gefächert. Mit Kaufland und dem Frischmarkt Behrendt gibt es außerdem gleich zwei Großmärkte in Wüllen.
„Es hat sich zwar alles ein bisschen vom Ortskern an die Stadtlohner Straße verlagert, aber als Wüllener muss man keine Abstriche machen“, sagt Johannes Terhaar. Es sei nicht selbstverständlich, dass es mit Verweyen und Terbeck noch eine selbstständige Bäckerei und Fleischerei im Ort gebe. „Da dürfen wir uns sehr glücklich schätzen“, sagt Terhaar.

Wüllen in Zahlen © Grafik: Verena Hasken
Lange gestritten wurde vor einigen Jahren über den Neubau des Supermarktes „Penny“ an der Stadtlohner Straße. Johannes Terhaar glaubt aber, dass er mittlerweile überwiegend als Bereicherung wahrgenommen wird. „Dadurch hat sich die Nahversorgung noch einmal verbessert.“
Lebensqualität: Egal ob jung oder alt, zugezogen oder alteingesessen: Die Menschen wohnen gerne in Wüllen. Das zeigt sich im Umfrageergebnis, aber auch im Gespräch mit Martin Tenspolde und Johannes Terhaar.„Ich wohne noch nicht lange in Wüllen aber ich bin jetzt schon vollkommen überwältigt“, kommentiert eine unter 25-jährige Frau in der Online-Umfrage. „Wüllen, mein Leben“, schreibt ein Mann aus der Altersklasse 25 bis 35. Gelobt werden die Fahrradwege, die Grünflächen, der Zusammenhalt.
Martin Tenspolde (60) und Johannes Terhaar (27) gehören zwei verschiedenen Generationen an. Obwohl die beiden Wüllener zunächst separat mit der Redaktion sprechen, kommen beide schon nach wenigen Sätzen zum gleichen Thema. „Ein Vereinsleben wie in Wüllen gibt es im ganzen Münsterland nicht“, sagt Tenspolde. „Die Dorfgemeinschaft wird dadurch geprägt, dass vereinsübergreifend gearbeitet wird“, sagt Terhaar. Wüllen und die Vereine: das ist untrennbar. Sie machen einen großen Teil der Lebensqualität aus.
Martin Tenspolde behauptet von sich selbst, in allen größeren Vereinen des Ortes zumindest passives Mitglied zu sein. Neben seiner Tätigkeit im Karnevalsverein war die Big Band des Musikvereins sein Herzensprojekt, von 1998 bis 2000 war er außerdem Schützenkönig. „In anderen Orten konkurrieren die Vereine miteinander. In Wüllen ist das anders. Wenn einer was macht, gehen alle hin“, sagt Tenspolde und nennt als Beispiel das Osterfeuer, das letztlich abgesagt wurde, aber an dem alle Vereine beteiligt waren.

Martin Tenspolde (v.r.) ist Präsident des Karnevalsvereins Klein-Köln. © Johannes Schmittmann
Das wurde eher negativ bewertet
Gastronomie: Während die Wüllener beim Ortsteil-Check in fast allen Rubriken Bestnoten verteilten, gab es für die Gastronomie nur fünf Punkte. Ein Blick in die Kommentare zeigt schnell, was sich hinter dieser Bewertung verbirgt: das Kneipensterben. „Nur noch eine Kneipe in Wüllen, sehr unbefriedigend“ kommentiert ein Mann aus der Altersklasse 50 bis 70. „Das Kneipensterben hat leider auch von Wüllen keinen Halt gemacht“, stimmt ihm ein Altersgenosse zu.
Auch Martin Tenspolde bedauert die Entwicklung: „Es ist sehr schade, aber die Zeiten haben sich offenbar geändert. Die Leute gehen nach dem Feierabend nicht mehr in die Kneipe, sondern trinken ihre Flasche Bier zu Hause.“ Für Dennis Busscher, Betreiber der Höstenpumpe, hat Johannes Terhaar nur Lob über: „Er hat sich als junger Gastwirt total etabliert und steckt sein ganzes Herzblut in die Höste.“ Der 27-Jährige kann aber nachvollziehen, dass viele Gastronomen sich zurückgezogen haben: „Durch die Nähe zu Ahaus ist die Konkurrenz sehr groß.“

Dennis Busscher ist Wirt in der Gaststätte Höstenpumpe und erntet von den Wüllenern viel Lob. © Christian Bödding
Mit den Restaurants im Ort scheinen die Wüllener anders als mit der Kneipendichte sehr zufrieden zu sein. Vor allem „Jeckys Pizzeria“ heben gleich mehrere Teilnehmer in den Kommentaren hervor. „Bestes Essen zu bezahlbaren Preisen. Daumen hoch!“, schreibt eine Frau aus der Altersklasse 35 bis 50.
Jugendliche: Mit 7 von 10 Punkten schnitt die Kategorie nicht schlecht ab, aber auch nicht wirklich gut. In den Kommentaren wird vor allem die Alternative zu den Vereinen bemängelt. „Die Politik verlässt sich in der Jugendarbeit nur auf die Vereine. Das ist schade“, kommentiert eine Frau aus der Altersklasse 25 bis 35. „In meinem Ortsteil, wäre es dringend notwendig, die Turnhalle und die Grundschule zu sanieren. Außerdem hätte der Sportplatz in Wüllen, der von vielen Mädchen und Jungen genutzt wird, eine Sanierung nötig“, schreibt eine andere Dame.
Johannes Terhaar sieht ebenfalls Probleme: „Es mangelt nicht an Ideen, aber die Dinge könnte schneller vorangetrieben werden.“ Damit meint er unter anderem den Bau der neuen Turnhalle an der Grundschule. Das Problem: „Welche Angebote die Jugendlichen nutzen, ändert sich von Generation zu Generation. Das ist eine besondere Herausforderung.“
Insgesamt sieht Johannes Terhaar das Angebot für Jugendlichen in Wüllen aber positiv: „Wir haben in Wüllen das Jugendheim, die Vereine; auch das Wellenbad und das Freizeitgelände Ork sind mit dem Fahrrad gut zu erreichen.“
Wüllen seit 1969 ein Ortsteil von Ahaus
Die erste urkundliche Erwähnung von Wüllen, früher auch Wullen, taucht im Jahr 1188 auf. Wüllens Geschichte ist eng mit der Ahauser verbunden, jedoch war die Dorfgemeinde lange Zeit selbstständig. Wüllen ist seit der Eingemeindung 1969 offiziell ein Ortsteil von Ahaus. Neben dem Dorf selbst gehören heute die Bauerschaften Barle, Oberortwick, Quantwick, Sabstätte und Unterortwick zum Dorfgebiet. Wüllen hat eine Partnerschaft mit dem französischen Ort Argentré du Plessis.
Die Höste im Wüllener Ortskern. © Stadtarchiv
1991 in Ahaus geboren, in Münster studiert, seit April 2016 bei Lensing Media. Mag es, Menschen in den Fokus zu rücken, die sonst im Verborgenen agieren.
