Lenker an Lenker und Reifen an Reifen: Der Lagerraum im Ahaus Rathaus erinnert ein wenig an die vollgepfropften Fahrradparkhäuser in einigen Großstädten. Diese Fahrräder hier holen die Besitzer aber nur mit ein wenig Glück wieder ab.
Hier lagern die Fundstücke, die aufmerksame Passanten oder die Polizei beim Fundbüro abgegeben haben. Manche der Räder sind schon sehr alt und machen einen im wahrsten Sinne des Wortes mitgenommenen Eindruck. Andere wiederum sehen noch fast neu aus, so als kämen sie frisch aus einem Fachgeschäft.
Herr über Hunderte von Drahteseln ist Philipp Karnebeck. Er kümmert sich als Sachbearbeiter im Bürgerbüro der Stadt bei Weitem nicht nur um Verlorenes und Verschwundenes. Aber das Sujet „Fundsachen“ macht einen wichtigen Teil seiner Arbeit und der seiner Kollegen aus. „Wir hatten 2022 tatsächlich 107 Fahrräder, die abgegeben wurden“, erklärt er.
Nur zehn davon seien wieder an die ursprünglichen Eigentümer übergeben worden. Der Rest wird entweder nach einer Wartezeit an die Finder übergeben oder geht ins Eigentum der Stadt über. Wer glaubhaft versichern will, eines der abgegebenen Räder sei seines, sollte möglichst eine Rahmennummer oder ein aktuelles Foto beibringen können. „Sonst wird‘s irgendwann schwierig“, gibt Karnebeck zu bedenken.
Teils gut erhaltene Stücke
Aus einem Pulk von Fahrrädern holt er ein gut erhaltenes, silbernes Herrenrad der Marke Gudereit heraus, das über einen teuer aussehenden, gefederten Ledersattel verfügt. „Da fehlt eigentlich nichts dran“, sagt er. Nur der Eigentümer hat sich noch nicht gemeldet.
In einer Nische, weiter hinten im Raum, stehen mehrere Elektroroller herum. „Vor ein paar Tagen kam einer der E-Roller als Sicherstellung von der Polizei“, sagt Karnebeck und wirft einen Blick auf die elektronischen Flitzer. Mit der Polizei arbeitet das Bürgerbüro in Sachen Fundsachen eng zusammen. Die Beamten bekommen ein Mal pro Monat die aktuelle Fundliste vom Bürgerbüro, um diese dann mit den angezeigten Fahrraddiebstählen abzugleichen.
Gestohlener Elektroroller
Umgekehrt gibt die Polizei auch Gegenstände im Fundbüro ab, beispielsweise wenn, wie bei dem Elektroroller, der begründete Verdacht besteht, dass es sich dabei um gestohlene Ware handelt. Und das komme nicht selten vor, wie Philipp Karnebeck versichert. „Manche Eigentümer verzichten auch auf ihr Eigentum, wenn sie zum Beispiel schon das Geld von der Versicherung gekriegt haben“, ergänzt er.
Wenn auch Fahrräder das Hauptgeschäft des Fundbüros sind, so werden doch immer wieder andere Sachen abgegeben. In einem separaten Raum sind noch mehr Funde eingelagert. Unter anderem ein Damenhut, ein Kinderbuggy und ein Laubbläser. „Da fragt man sich, wer so etwas verliert“, meinte Philipp Karnebeck schmunzelnd. Angenommen werden übrigens nur Dinge, die auf dem Gebiet der Stadt Ahaus gefunden wurden.
Die seltsamste Fundsache in letzter Zeit sei aber eine andere: „Da hat jemand einen Leitpfosten abgegeben, den er auf dem Gescher Damm gefunden hatte“, erinnert sich der Mitarbeiter des Bürgerservice. Der Pfosten soll bald wieder an seinen Einsatzort zurückkehren, denn er ist Eigentum des Kreises Borken und somit ist der Pfosten strenggenommen keine Fundsache.
Alle anderen Dinge, die nach sechs Monaten nicht abgeholt wurden, kommen großteils einem guten Zweck zugute oder werden versteigert. „Wir haben schon Fahrräder an eine Flüchtlingswerkstatt gespendet“, so Philipp Karnebeck. Brillen werden in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Optiker an Bedürftige in Afrika weitergegeben. Bei jährlich rund 250 eingereichten Gegenständen, von denen rund ein Drittel Fahrräder sind, muss eben Platz geschaffen werden.
Funsachenauktion im Internet
Seit etwa einem Jahr können Interessierte die Fundsachenauktion der Stadt Ahaus nutzen, die rückwärts abläuft. Jeden Tag wird der zu Anfang festgesetzte Preis ein wenig geringer. Und regelmäßig werden neue Angebote ins Internet gestellt, von Elektrogeräten über Fahrräder bis hin zu Bekleidung und Schmuck. Hinein kommt alles, was raus muss aus dem Lager des Fundbüros.
„Den Zustand und die Fahrbereitschaft der Fahrräder können wir natürlich nicht alle testen, dann könnten wir unsere eigene Werkstatt unterhalten“, stellt der 37-Jährige klar. Ein wenig Nervenkitzel ist also immer dabei, aber das Team des Bürgerservice bemüht sich, eine möglichst genaue Beschreibung des Auktionsgegenstands zur Verfügung zu stellen.
Und: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass das keine neuwertigen Gegenstände sind“, gibt Karnebeck zu bedenken. Vor der Corona-Pandemie hatte es jährlich eine Fundsachenauktion auf dem Rathausplatz gegeben. „Wir mussten eine Alternative finden, weil das durch Corona nicht mehr möglich war“, so Philipp Karnebeck.
Mit dem Einzug ins digitale Zeitalter fällt das mühsame Verladen sämtlicher Fundfahrräder nun für die Mitarbeiter des Bürgerbüros weg. Auch die Bezahlung ist, beispielsweise per Chayns-App, bequem online möglich. Nachdem der Käufer dann mit dem Bürgerbüro einen Abholtermin vereinbart hat, wechselt eine ehemalige Fundsache ganz unkompliziert den Besitzer.
Finderlohn und Gebühr
Aber was passiert denn nun wirklich, wenn zweifelsfrei feststeht, dass ein gefundener Gegenstand und sein Eigentümer zusammengehören? Neben einer Verwaltungsgebühr kommt auch noch die Zahlung von Finderlohn auf den Eigentümer zu, die sich auf fünf Prozent des Schätzwerts beläuft. Der Schätzwert beträgt etwa ein Drittel des Neuwerts eines Gegenstandes.
Die Verwaltungsgebühr ist dementsprechend gestaffelt. „Wir haben auch Schmuckgegenstände, die lassen wir von einem Juwelier schätzen. Bei einem Schätzwert von beispielsweise 120 Euro müssen wir zehn Euro Verwaltungsgebühr kassieren“, rechnet der Sachbearbeiter vor.
Auch Dinge wie Schlüssel werden ein halbes Jahr aufbewahrt, obwohl sie keinen materiellen Wert haben. Genau wie Geldscheine, deren Gegenwert nach einer gewissen Zeit auf ein Verwahrkonto der Stadt geht. Nach sechs Monaten erlischt übrigens der Rechtsanspruch des ursprünglichen Eigentümers auf die Fundsache.
Doch wie sieht es eigentlich mit dem Herrn über die großen und kleinen Schätze selbst aus? „Klar hab ich auch schon mal was verloren“, gibt er lächelnd zu, „aber die Sachen sind leider nicht hier im Fundbüro aufgetaucht“.
Die Stadt Ahaus unterhält seit einem Jahr eine eigene Online-Auktion auf ihrer Webseite. https://fundsachen.ahaus.de/auktion