Ein in Ahaus stadtbekannter Alkoholiker, der immer wieder für Randale sorgt, muss für 20 Monate hinter Gitter. Ein deutliches Urteil, das aber langfristig wohl kaum für eine Änderung sorgen wird.
Sichtbar ratlos blieben Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Gutachter nach einem echten Mammutprozess vor dem Ahauser Amtsgericht zurück.
16 Anklageschriften hatten sich gegen den Mann angesammelt – aktuell: Körperverletzung, Nötigung, zigfacher Angriff gegen Polizeibeamte und Beleidigung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch sowie Fahrradfahrten unter extremem Einfluss von Alkohol. Dabei stand er wegen ähnlicher Taten noch unter Bewährung.
Tägliche Konflikte mit Polizei
Fast täglich gerät der Mann unter Alkoholeinfluss mit der Polizei aneinander. Seit Jahren geht das so. Mal legt er auf dem Marktplatz Feuer, mal liegt er sturzbetrunken mitten auf der Bahnhofstraße, mal droht er den Mitarbeitern der Verwaltung, mal zeigt er verfassungsfeindliche Symbole, mal fährt er in Schlangenlinien mit dem Fahrrad über den Adenauerring oder den Vredener Dyk.
Seit Monaten hat er in allen städtischen Gebäuden Hausverbot. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, teils mehrfach täglich ins Rathaus zu kommen. Auch in der Stadtbibliothek ist er zigfach übel aufgefallen. Eine Mitarbeiterin im Antoniusheim hatte er angegriffen, sie gewürgt und versucht, sie in ein Zimmer zu drängen. Die Frau erlitt einen Schock. Daraufhin wurde ihm dort die Unterkunft fristlos gekündigt. Inzwischen lebt er in einer Notunterkunft für Obdachlose.
In Ahaus ist er stadtbekannt, regelmäßig wird die Polizei wegen dem Mann alarmiert. Meistens eskaliert die Situation dann: Der Mann beginnt zu randalieren oder ergeht sich in Tiraden von wüsten Beleidigungen.
Einem Polizisten hatte er im Streifenwagen in die Hand gebissen. „Vieles überhören wir, aber wenn es öffentlichkeitswirksam wird, bleibt uns nichts anderes übrig, als ihn anzuzeigen“, erklärte einer von zehn Polizeibeamten, die am Dienstag vor dem Amtsgericht gegen den Mann aussagten.
Sie alle schilderten die regelmäßigen Einsätze wegen des Mannes auf ähnliche Weise. Mal könne man recht gut mit ihm reden, mal raste er völlig aus. Regelmäßig ende das im Polizeigewahrsam.

Der Mann hatte auch im Gerichtssaal am Morgen für einige Aufregung gesorgt: Immer wieder hatte er Richter, Staatsanwalt und sogar seinen eigenen Verteidiger unterbrochen. Dann redete er sich – teils völlig unzusammenhängend – in Rage, beleidigte auch vor Gericht oder trommelte wild mit den Fäusten auf den Tisch. Selbst dem sonst sehr besonnenen Richter platzte schließlich der Kragen: „Jetzt ist aber mal gut hier“, brüllte der den Angeklagten an. Es blieb nicht dabei.
Die Verhandlung wurde nach einer Unterbrechung schließlich ohne den Angeklagten fortgesetzt. Die Strafprozessordnung lässt das zu: Wenn ein Angeklagter nach einer Unterbrechung nicht zurückkehrt, obwohl ihm das vorher gesagt wurde und wenn er sich zu den Vorwürfen schon äußern konnte, kann man ohne ihn verhandeln. Es wurde dadurch zwar ruhiger im Gerichtssaal, aber nicht weniger erschütternd.
Bewährungshelferin: Wenig Hoffnung
Die Bewährungshelferin des Mannes zeichnete ein zutiefst tragisches Bild des 37-Jährigen: Seit Jahrzehnten sei er stark alkoholabhängig. Eine Vielzahl von Einrichtungen habe er durchlaufen, werde inzwischen von vielen nicht mehr aufgenommen.
Auch wenn er zwischenzeitig sogar wieder Arbeit hatte und damit die gesamte Bewährungshilfe regelrecht überrascht habe, scheine er sich inzwischen vollends aufgegeben zu haben. „Wenn ich ehrlich sein soll, wird er wohl in Folge seines Alkoholkonsums sterben“, erklärte sie auf die Frage des Verteidigers, wie die Prognose für den Mann aussehe.
Die Werte diverser Alkoholmessungen sind in der Tat erschütternd: Mit 3,83 Promille hatte der Mann auf der Bahnhofstraße gelegen, konnte aber kurze Zeit später auf den eigenen Füßen das Krankenhaus wieder verlassen. Mit 2,92 Promille hatten ihn Polizisten in der Innenstadt aufgegriffen – da konnte er sich noch massiv wehren.
Mit 3,8 Promille sei er kaum anders als im nüchternen Zustand gewesen. Als er in leichten Schlangenlinien Fahrrad fuhr, zeigte das Messgerät immerhin noch 2,2 Promille Alkohol an. Und selbst am Morgen der Verhandlung vor Gericht hatte ein freiwilliger Alkoholtest noch über 1,6 Promille ergeben.
Mit zwei Promille fast nüchtern
„Mit allem unter zwei Promille ist der Mann nahezu nüchtern“, erklärte die Bewährungshelferin. Ein Gutachter, der den Prozess mit verfolgt hatte, bestätigte ihre Sicht. Zu der schwergradigen Alkoholabhängigkeit kämen inzwischen weitere Probleme dazu: „Man kann so nicht sagen, ob der Mann schon hirnorganische Schäden hat.“ Allem Anschein nach habe er aber inzwischen eine Persönlichkeitsstörung entwickelt.
Das lasse sich aber genau nur diagnostizieren, falls der Mann eine Therapie mache und eine längere Zeit abstinent bleibe. Der Mann hatte zuletzt eine Therapie abgebrochen. „Er ist Therapie-unfähig und extrem impulsiv“, erklärte der Psychologe. Auch wenn er sich eine dauerhafte Wohnung, Arbeit und Struktur wünsche, glaube er nicht, dass sich der Mann langfristig an Regeln halten würde. Einen Steuerungsverlust sah er bei dem Mann jedoch nicht. „Auch von drei Promille ist der noch relativ unbeeindruckt“, sagte er.
Aktuell setze er sich aber vor allem selbst einem großen Risiko aus. Der Pflichtverteidiger hatte nicht viel ausrichten können. Eine Vorbesprechung der Vorwürfe oder nur eine Vorbereitung der Verteidigung sei ihm schlicht nicht möglich gewesen.
Ein Jahr und acht Monate Haft
Nach fast acht Stunden Verhandlung blieb dem Richter nur noch der Schuldspruch. Ein Jahr und acht Monate Haft für die ganze Batterie an Straftaten: Tätlicher Angriff, Widerstand und Beleidigung gegen Vollstreckungsbeamte, drei weitere Widerstandshandlungen, vorsätzliche Körperverletzung und Nötigung, Hausfriedensbrüche und weitere Beleidigungen.
Der Angeklagte könne einem eigentlich nur zutiefst leid tun. „Er hat keine Perspektive außer den Alkohol“, sagte er. Sein Problem sei dazu, dass er in einer Kleinstadt lebe und hier bekannt wie der bunte Hund sei. „In einer Großstadt würde er kaum auffallen“, sagte er. Hier würde aber sofort die Polizei gerufen. Die Taten seien bewiesen, wie sie zu beurteilen sind, sei aber eine andere Frage.
Eine Unterbringung in einer Einrichtung komme nicht infrage, weil es keinerlei Erfolgsaussichten gebe. „Was aus ihm wird, kann nur die Zeit zeigen“, machte er deutlich. Sollten die Taten schlimmer werden, müsse sich das Landgericht mit dem Mann beschäftigen. Dann drohe ein Leben im Maßregelvollzug. Oder der Mann werde irgendwann tot aufgefunden.
„Wir können ihm nicht helfen. Wir können ihn nur für die Taten bestrafen, die bewiesen wurden“, sagte der Richter schließlich und schloss kopfschüttelnd den Aktendeckel. Der Angeklagte war in der Zwischenzeit schon wieder völlig betrunken im Rathaus aufgetaucht. Der nächste Fall von Hausfriedensbruch.