Zwei Sanitäter müssen sich vor Gericht wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten.

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57-jähriger Ahauser stirbt nach Schützenfest – Zwei Sanitäter vor Gericht

rnUnterlassene Hilfeleistung

Nach einer Feier wurde ein Ahauser von zwei Sanitätern versorgt. Einen Monat später starb er. Die zwei Sanitäter müssen sich nun wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht verantworten.

Ahaus

, 22.06.2021, 17:50 Uhr / Lesedauer: 3 min

Sechs Stunden Verhandlung, zwölf Zeugen, ein Sitzungssaal-Wechsel, kein Urteil. Der Prozess am Amtsgericht Ahaus ist kompliziert. Angeklagt sind zwei Sanitäter aus Bocholt. Der Vorwurf: Unterlassene Hilfeleistung.

Der Vorfall, um den es geht, ist schon drei Jahre her. Nach dem Schützenfest in Quantwick 2018 lief ein 57-jähriger Ahauser nach Hause. Ein Autofahrer fand ihn wenig später mitten auf der Straße liegend. Die herbeigerufenen Sanitäter untersuchten ihn, brachten ihn aber nicht mit ihrem Rettungswagen ins Krankenhaus.

Am nächsten Morgen ging es dem Mann so schlecht, dass er mit einem Hubschrauber in die Klinik nach Enschede gebracht werden musste. Einen Monat später starb er an schweren Verletzungen, die vermutlich in dieser Nacht entstanden sind.

Sanitäter stellen keine Verletzungen oder Wunden fest

Drei Jahre lang haben die Angeklagten zu den Vorwürfen geschwiegen. In der Gerichtsverhandlung am Dienstag haben sie sich zum ersten Mal geäußert. „Wir haben den Kopf sehr genau untersucht. Wir haben sogar jede Haarsträhne einzeln zur Seite gelegt“, berichtet der 32-jährige Notfallsanitäter. Eine offene Wunde habe es aber nicht gegeben, Blut sei nicht zu sehen gewesen. „Da war nur eine kleine rote Verfärbung am Hinterkopf.“

Auch der sogenannte Bodycheck habe nichts ergeben. Keine Schürfwunden, keine Auffälligkeiten, keine Hinweise auf einen Sturz oder einen Unfall. „Er hat beim Abtasten auch keine Schmerzen geäußert. Da war nichts, wo wir hätten eingreifen müssen“, sagt der 32-jährige Rettungssanitäter.

Die Untersuchungen haben später ergeben, dass der Ahauser eine dreifache Schädelfraktur hatte, außerdem eine gebrochene Rippe, Prellungen am ganzen Körper und Hirnblutungen. Ob diese Verletzungen aber wirklich schon vorhanden waren, als die angeklagten Sanitäter den Mann nachts auf dem Wirtschaftsweg untersucht haben, ist unklar. Gleich mehrere befragte Sanitäter und Ärzte konnten zumindest nicht ausschließen, dass die Verletzungen erst später in dieser Nacht entstanden sind.

Familie und Freunden waren in der Nacht vor Ort

Die Situation vor Ort stellte sich für alle Beteiligten ähnlich dar. Der 57-Jährige wollte von der Feier nach Hause laufen. Er hatte viel Alkohol getrunken, es wurde ein Blutalkoholwert von 2,0 Promille gemessen. Ein Autofahrer hat ihn gegen 22.30 Uhr dann regungslos auf der Straße liegend gefunden.

Neben ihm war eine Lache Urin zu sehen, außerdem Erbrochenes. So schildert es sowohl der Autofahrer als auch zwei Familienmitglieder im Gerichtssaal. Denn ein Wagen mit einem befreundeten Ehepaar, der Ehefrau und dem Schwiegersohn in spe kam wenige Minuten nach dem ersten Zeugen an dem Wirtschaftsweg an.

„Er hatte die Augen offen, aber er hat keine deutlichen Antworten auf meine Fragen gegeben. Er war nicht bei klarem Bewusstsein“, berichtet der Autofahrer. Dem widersprechen die Sanitäter. „Er hat gezielt auf mich reagiert. Er hat meine Hand weggeschlagen und gesagt, ich solle ihn in Ruhe lassen. Wenn er sich nicht geäußert hätte, hätten wir ihn auf jeden Fall ins Krankenhaus gebracht“, sagt einer der Angeklagten.

Widersprüche in den Zeugenaussagen

Bei der Frage, wer entschieden hat, dass die Familie den Ahauser mit nach Hause nimmt, gibt es ebenfalls Widersprüche. „Der Schwiegersohn in spe hat mich gefragt, ob sie ihn mit nach Hause nehmen dürfen. Aus unserer Sicht sprach nichts dagegen“, so der Notfallsanitäter. Ein Polizist hingegen sagt aus, dass die Ehefrau des Mannes ihm diese Frage gestellt habe.

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Der Schwiegersohn in spe wiederum behauptet, dass ein Freund des Ahausers ihm mitgeteilt habe, dass sie den 57-Jährigen jetzt mit nach Hause nehmen dürfen. Dieser Freund war aber wegen eines medizinischen Notfalls nicht zur Verhandlung erschienen. Er und seine Frau sollen nun bei einem neuen Termin als Zeugen aussagen.

Relativ klar ist, was nach dem Einsatz passierte. Familie und Freunde brachten den noch immer benommenen Mann nach Hause. „Er hat nicht gesprochen. Es machte den Anschein, als ob er schläft“, sagt die Ehefrau im Zeugenstand. Im Haus legten sie ihn auf den Teppichboden im Flur, da die steile Treppe nicht zu überwinden war.

Sanitäter kennt Opfer und Angeklagte

„Nachts bin ich einmal aufgestanden und habe ihn in die stabile Seitenlage gedreht, damit er nicht an seinem Erbrochenen erstickt“, so die Ehefrau, die im Zeugenstand relativ gefasst wirkt. Am nächsten Morgen bekam sie ihren Mann nicht wach. Die Augen waren blutunterlaufen. Das sei in der Nacht noch nicht so gewesen.

Die Frau rief erst ihre Tochter, dann einen befreundeten Sanitäter. Dieser Mann ist ein wichtiger Zeuge. Zum einen kannte er den Verstorbenen gut und hatte die Situation am Morgen mitbekommen. Zum anderen hat er als Sanitäter vor seiner Rente mit den Angeklagten zusammengearbeitet.

„Er ist ein sehr guter Mann im Rettungsdienst“, sagt er über den Notfallsanitäter. Dass ein Patient in die Obhut der Familie übergeben wird, wenn er klar ist, sei eine normale Vorgehensweise. Zehn Minuten seien für so eine Untersuchung vor Ort ebenfalls völlig normal.

In der nächsten Verhandlung am 13. Juli wird ein Experte für den Rettungsdienst gehört. Er soll objektiv beurteilen, ob die Sanitäter sich an die Vorschriften gehalten haben.