„Das will ich nicht erleben“ Graeser Landwirt macht sich Sorgen vor BHV1-Viren

„Das will ich nicht erleben“: Sorge über BHV1-Viren in Graes
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Die Welt im Kuhstall scheint am Montagmorgen in Ordnung: Die 200 Milchkühe und ihre Kälber auf dem Betrieb von Martin Kortbuß scheinen die ersten Sonnenstrahlen zu genießen. Dass in ähnlichen Betrieben im Kreis Borken und dem benachbarten Kreis Steinfurt eine Welle von Rinderherpes rollt, dass schon fast 2000 Tiere in den beiden Kreisen zwangsgeschlachtet wurden und im Nordkreis eine groß angelegte Reihenuntersuchung anläuft, scheint weit weg.

„Wir haben das 2018/2019 schon einmal mitgemacht“, sagt Martin Kortbuß. Der 37-jährige Graeser hält Milchvieh, ist Ortsverbandsvorsitzender des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands in Graes. Damals wurden auch bei seinen Tieren die Viren entdeckt: Bovine Herpesviren, Rinderherpes, BHV-1. „Zum Glück nur bei einigen wenigen“, fügt er hinzu. 15 oder 20 Tiere seien damals krank gewesen. Den Rest seines Bestands habe er damals retten können.

Strenge Kontrollen

Als Milchviehbetrieb wird er strenger kontrolliert als die Rindermäster: Normalerweise sind es eine Blutuntersuchung pro Jahr und regelmäßige Untersuchungen der Milch. Seit der Kreis Borken als Risikogebiet für Rinderherpes gilt, wurde die Schlagzahl erhöht: Zweimal im Jahr muss von allen Kühen eine Blutprobe gezogen werden.

Bei den Mästern sehe das anders aus. „Mastbetriebe stallen virenfreie Tiere ein“, erklärt er. Die Tiere seien untersucht. Ein Zertifikat gelte für ein Jahr. Was aber in der Zwischenzeit passiere, bleibe fraglich. „Du musst ja nur ein krankes Tier dazwischen haben“, sagt er.

Rinder im Stall in Graes
Rund 200 Milchkühe und deren Kälber hält Martin Kortbuß auf seinem Betrieb in Graes. Schon einmal war dort Rinderherpes ausgebrochen: Im Winter 2018/2019 mussten 15 bis 20 Tiere getötet werden. Den Rest des Bestands habe er retten können, erklärt der Landwirt. © Stephan Rape

Entsprechend positiv sieht er eigentlich die verschärften Kontrollen: 482 Betriebe in Ahaus, Heek, Legden, Schöppingen und Gronau mit rund 53.000 Tieren sollen in den kommenden Wochen und Monaten untersucht werden. „Man versucht, sich einen Überblick zu verschaffen“, sagt Martin Kortbuß. Er hofft, dass dabei auch genau in jene Ställe gesehen wird, in denen bisher nur „nach Papier“ gearbeitet wird.

Und doch schwingt leiser Zweifel in seiner Stimme mit. Auch bei vergangenen Ausbrüchen sollten die Infektionswege nachverfolgt und rekonstruiert werden. Funktioniert habe das nie. „Ich weiß bis heute nicht, wie das Virus damals in unsere Ställe kam“, macht er deutlich.

An Mutmaßungen oder Schuldzuweisungen will er sich nicht beteiligen. Das sähe mancher Kollege oder Bekannte anders. Eine ganze Reihe von Vermutungen würden die Runde machen. „Das bringt nichts“, erklärt er. Mehr noch: Das tue man ganz einfach nicht.

Um seinen Bestand macht er sich aktuell keine allzu großen Sorgen. Die letzte Untersuchung sei gerade mal drei Monate her. Da seien alle Tiere noch gesund gewesen.

Er weiß aber auch, dass die große Unsicherheit kommt, sobald die Blutproben genommen wurden und ins Labor unterwegs sind. „Das dauert dann immer so fünf oder sechs Tage, bis das Ergebnis da ist“, erklärt er. Und diese Zeit koste dann schonmal einige Nerven. In ein paar Wochen sei es in den Ställen in Graes wohl wieder so weit. „Hängt immer ein bisschen davon ab, wie die Tierärzte Zeit haben“, erklärt er.

Aber was passiert, wenn ein kompletter Bestand zwangsgeschlachtet werden muss? „Jedem sticht natürlich erst einmal der finanzielle Schaden ins Auge“, sagt Martin Kortbuß. Dabei sei der bei weitem das geringere Übel. Natürlich würden die Einnahmen fehlen. Auch den kompletten Schlachterlös gebe es natürlich nicht.

Doch das Gros des Verlustes fange die Tierseuchenkasse auf. Dazu kämen Entschädigungen aus einer Ertragsausfallversicherung. „Ich weiß natürlich nicht, wie die einzelnen Betriebe da vorgesorgt haben“, erklärt er. Versicherungen seien schließlich eine sehr individuelle Angelegenheit. „Da kann man sich aber gut retten“, sagt er.

Emotionaler Schaden wiegt schwer

Etwas völlig anderes sei der emotionale Schaden: Für ihn ist es nicht unwahrscheinlich, dass der ein oder andere Landwirt nach so einer Zwangsschlachtung selbst einen schweren Knacks zurückbehält. „Dass die mir plötzlich den Betrieb leer machen und ich bei null wieder anfangen muss, will ich nicht erleben“, sagt er. Da wüsste er plötzlich gar nicht mehr, wie er arbeiten, womit er anfangen sollte. So etwas würde ja das ganze Leben und den ganzen Tagesablauf völlig auf den Kopf stellen.

„Das sind alles Tiere, die hier auf dem Betrieb geboren wurden. Wir kaufen keine Tiere zu“, sagt er und deutet die lange Stallgasse entlang. Ja, man könne sich hier und da Tiere zusammenkaufen, um eine neue Herde aufzubauen. „Auch wenn man das schwer verstehen kann, das sind aber nie wieder deine“, macht er deutlich.

Seine Tiere beispielsweise kenne er in- und auswendig, habe eine Bindung zu ihnen. Wenn er da etwas am Futter umstelle, sehe er sofort an den Werten in der Milch, ob der Plan aufgehe oder nicht. Bei fremden Tieren sei das etwas völlig anderes. „Das kannst du dir auf dem Papier alles schön und sauber ausrechnen“, macht er deutlich.

Zum Thema

Für den Menschen ungefährlich

  • Seit 2017 gilt NRW als „BHV1-freie Region“. Dieser Status erleichtert den Handel mit anderen BHV1-freien Regionen. Gleichzeitig wird dadurch aber beispielsweise eine flächendeckende Schutzimpfung unmöglich. So soll verhindert werden, dass sich Infektionen unterhalb einer Impfdecke weiterverbreiten.
  • Wird in einem Betrieb ein Befall mit dem Virus erkannt, wird er tierseuchenrechtlich gesperrt. Der Betrieb darf dann weder Tiere ver- noch zukaufen. Außer in Richtung Schlachthof. Sind nur einzelne Tiere betroffen, werde der gesamte Bestand nach 30 Tagen wiederholt untersucht. Erst wenn dann alle Tiere negativ getestet wurden, wird die Sperre wieder aufgehoben.
  • Bisher waren 29 Tiere im Kreis Borken und 25 im Kreis Steinfurt erkrankt: Sie wurden eingeschläfert. Insgesamt aber wurden 1260 Tiere getötet. Sie hatten alle das Virus in sich getragen.
  • Die Landwirtschaftskammer rät dringend zu strengen Hygienemaßnahmen, um die Ausbreitung zu stoppen. Dazu gehöre stallspezifische Schutzkleidung.
  • Das Virus kann bei Rindern heftige Atemwegsinfektionen auslösen. Für Menschen ist es ungefährlich, sie können es aber übertragen. Auch der Verzehr von Rindfleisch befallener Tiere gilt als unbedenklich.