Rentner im SUV 75-Jähriger nötigt Radfahrerin im Kreisverkehr

Rentner im SUV: 75-Jähriger nötigt Radfahrerin im Kreisverkehr
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SUV gegen Fahrrad, 75-jähriger Autofahrer gegen 36-jährige Radfahrerin, Selbstjustiz im Straßenverkehr oder Hetzkampagne gegen große Autos? Ein 75-jähriger Autofahrer fährt im Kreisverkehr am Stadtpark mit seinem schweren Geländewagen mit aufheulendem Motor auf eine 36-jährige Radfahrerin zu, bremst erst im letzten Augenblick. Die Frau kann nur knapp ausweichen.

So steht es im Strafbefehl gegen den 75-jährigen Ahauser. Der ehemalige Geschäftsführer eines großen Unternehmens legt dagegen Einspruch ein und verteidigt sich vor dem Amtsgericht jetzt wortreich: Das Ereignis habe es überhaupt nicht gegeben. Eine Person habe er vor seinem Auto nicht wahrgenommen. Mehrfach täglich fahre er durch den Kreisverkehr. Grundsätzlich sei er dabei umsichtig, langsam und vorsichtig. An dem Tag aber besonders: Den Wagen habe er ja erst kurz zuvor neu übernommen.

Die Einmündung der Fuistingstraße in den Kreisverkehr am Stadtpark
An der Einmündung der Fuistingstraße soll es zu der Begegnung zwischen dem 75-jährigen SUV-Fahrer und der 38-jährigen Radfahrerin gekommen sein. Der Vorwurf von Nötigung führte jetzt erst einmal bis zum Amtsgericht Ahaus. © Stephan Rape

Im ganzen Leben sei er noch nicht bestraft worden, werde jetzt plötzlich als Verkehrsrowdy dargestellt. In seinem Leben habe er die soziale Verantwortung für 5000 Menschen in der Region getragen. Auch jetzt im Ruhestand fördere und unterstütze er noch Berufsanfänger. Es liege ihm völlig fern, Menschen zu verletzen, zu demütigen oder zu nötigen. Und schließlich besitze er auch überhaupt keinen schweren Geländewagen. „Ich fahre einen SUV“, betont er.

Der Richter lässt ihn eine Weile gewähren. „Sie abstrahieren hier sehr stark. Das tut alles nichts zur Sache“, unterbricht er schließlich den Redeschwall. Der Angeklagte setzt neu an: Denkbar sei ja auch, dass jemand anderes das Auto gefahren habe. Vielleicht jemand vom Autohaus? Auf den Hinweis des Richters, dass er dann Angestellte des Autohauses als Zeugen laden werde, sagt der Mann nichts mehr. So genau könne er sich dann doch nicht erinnern.

Dennoch seien die Vorwürfe unglaubwürdig. Er vermutet eine Kampagne gegen SUV-Fahrer im Allgemeinen. Oder auch gegen ihn. Vielleicht auch eine Überreaktion der Frau oder eine Verwechslung.

Grobe Beschreibung reicht

Tatsächlich beschreibt die 36-Jährige den Mann nur grob. Auch als sie vor ihm im Gerichtssaal sitzt, erkennt sie ihn nicht zweifelsfrei. Aber an das Kennzeichen kann sie sich genau erinnern. Auch den Moment im Kreisverkehr am Stadtpark schildert sie genau: Der Mann sei mit seinem dunklen Wagen aus der Fuistingstraße gekommen. Er sei auf dem Radweg stehen geblieben, habe dabei an seinem Handy hantiert. „Da fahren viele Kinder“, sagt die Frau vor Gericht. Mehrfach habe sie Gesten gemacht, dass der Mann sein Handy wegstecken soll. Daraufhin habe er erst den Motor aufheulen lassen, sei schließlich auf sie zugefahren.

Nur weil sie nach hinten gesprungen sei, sei sie unverletzt geblieben. „Da fehlte nur so ein Stück“, sagt sie und deutet etwa eine Handbreit in der Luft an. Sie habe eigentlich Besseres zu tun, als sich vor Gericht zu streiten. Auch verfolge sie keine Kampagne gegen Autos: „Ja, ich fahre viel Rad, aber wir haben auch ein Auto“, sagt sie kopfschüttelnd.

Für den Verteidiger des 75-Jährigen kommt nichts anderes als ein Freispruch infrage. Sein Mandant sei nicht zweifelsfrei als Fahrer identifiziert. „Im Zweifel für den Angeklagten“, führt er aus. Auch sieht er eine Reihe von Ungereimtheiten:

Bei der Polizei habe die Frau ausgesagt, sein Mandant habe auf dem Handy getippt. Vor Gericht sagte sie dann, er habe über das Handy gewischt. „Das ging doch alles wie Kraut und Rüben durcheinander“, macht der Anwalt deutlich. Die Staatsanwaltschaft sieht sich in der Anklage bestätigt. Die Forderung: drei Monate Fahrverbot und eine Geldstrafe.

Fahrverbot ist schwerer Einschnitt

Der 75-Jährige gibt sich erschüttert. „Das bin ich nicht“, sagt er über die Vorwürfe. Davon abgesehen: „Wenn ich lese, was draußen passiert, wo Menschen auf offener Straße erstochen werden und wir reden hier den ganzen Vormittag über so etwas“, sagt er kopfschüttelnd. Da fehle ihm einfach jede Verhältnismäßigkeit.

Ein Fahrverbot sei für ihn dennoch ein starker Einschnitt. Regelmäßig besuche er seine Kinder und Enkelkinder in Hamburg oder München. Ohne Führerschein sei die komplette Kommunikation ja eingeschränkt. Besuche schwierig. „Mit der Eisenbahn geht das bei den Strecken und dem ganzen Gepäck, das man dabei hat, ja nicht“, erklärt er. „Hat denn Ihre Frau einen Führerschein?“, will der Richter noch wissen. „Ja, natürlich“, sagt der 75-Jährige. Dabei belässt der Richter es.

Richter nennt Augenblicksversagen

Sein Urteil: 3600 Euro Geldstrafe (45 Tagessätze) und ein Monat Fahrverbot. Er hege keinen Zweifel daran, dass sich alles genauso zugetragen hat, wie die Frau es geschildert hat. Es habe nicht viel gefehlt, und er hätte den ganzen Fall auch als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr werten können. Mit deutlich empfindlicherer Strafe. „Ich schätze Sie nicht als Verkehrsrowdy ein, aber auch wenn Sie sich in dem Geschehen nicht wiedererkennen, war es vielleicht eine Art Augenblicksversagen“, macht der Richter deutlich.

Nötigung sei es in jedem Fall gewesen. „Und die wurde immer schon bestraft“, sagt der Richter noch. Deswegen werde kein Messerstecher oder kein Vergewaltiger nicht bestraft. Für einen Moment scheint es fast, als müsse sich der Richter für sein Urteil rechtfertigen.

Ob damit juristisch das Ende der Fahnenstange ist, scheint fraglich: Der 75-Jährige nickt vehement, als der Richter ihm erklärt, dass er Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen könne. Die Verhältnismäßigkeit scheint da kein Thema mehr zu sein.