Helmpflicht für Pedelecfahrer? Verkehrssicherheitsberater hätte nichts dagegen

Helmpflicht für Pedelecs: Verkehrssicherheitsberater hätte nichts dagegen
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Jan Tonke greift zum Helm. Für den Ahauser Verkehrssicherheitsberater der Polizei im Kreis Borken ist das selbstverständlich. Auch privat, wenn er nicht mit dem Dienst-Pedelec unterwegs ist. Für ihn wäre schon viel gewonnen, wenn jeder Rad- oder Pedelecfahrer einen Helm tragen würde. „Natürlich können wir niemanden zwingen“, sagt er. Obwohl er genau das gerne tun würde.

Nur auf den Straßen von Ahaus wurden im vergangenen Jahr 85 Menschen bei Unfällen mit Fahrrädern oder Pedelecs leicht verletzt. 17 trugen schwere Verletzungen davon, ein Mensch kam sogar ums Leben. Und das, obwohl die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten bei Unfällen insgesamt kreisweit sinkt.

Jan Tonke weist auf den Hinweis zum Mindestabstand zwischen Autos und Radfahrern. Auf jedem Streifenwagen weist die Polizei darauf hin.
Oft seien es die ganz simplen Hinweise – wie die zum Mindestabstand beim Überholen von Fahrrädern oder Pedelecs. Jan Tonke rät jedem Rad- oder Pedelecfahrer immer, mit dem Fehlverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer zu rechnen. © Stephan Rape

Ahaus nimmt da im Kreis Borken keine Sonderrolle ein. Kreisweit sehen die Zahlen ähnlich aus. Verglichen mit anderen Regionen in NRW gibt es nur eine Stadt, in der es noch wahrscheinlicher ist, mit dem Fahrrad oder Pedelec zu verunglücken: Münster. „Davon war ich richtig erschrocken“, sagt Dominik Rezler, der seit 2024 bei der Polizei im Kreis Borken das Dezernat Verkehr leitet. Die Erklärung liefert er gleich mit: Einerseits sei der Kreis Borken als Region für den Fahrradtourismus enorm beliebt. Das zeige ja schon ein Blick auf die Ausflugsparkplätze der Region an einem Wochenende oder Feiertag: Die Autos dort würden Kennzeichen aus ganz NRW tragen – und Fahrradträger.

Doch Touristen sind nicht der einzige Grund. Berufspendler sind ein weiterer. Und eben auch Senioren. 155 waren im Kreis im vergangenen Jahr allein verunglückt und hatten sich dabei teils schwer verletzt. „Weil sie im Zweifel keinen Helm auf dem Kopf hatten“, fügt Verkehrssicherheitsberater Stefan Benölken hinzu.

Nadelöhre sind noch nicht beseitigt

Baulich sind die größten Baustellen in Ahaus und den Ortsteilen eben (noch) nicht entschärft: Beispiel Ikemannstraße: Die Einmündung in die Wessumer Straße/Hamalandstraße bleibe ein neuralgischer Punkt. Für gefährliche Situationen wie auch für unterschiedlich schwere Unfälle. Oder auch die Königstraße mit ihrem engen Radweg entlang der Arkaden dort. Planungen wie an der neuen Querung des Ottensteiner Wegs über die Raiffeisenstraße würden auf dem Papier erst einmal gut aussehen. In der Praxis müsse sich aber erst noch zeigen, ob sie überhaupt funktionieren.

Dann die vielen Kreisverkehre. Ein Blick aus dem Bürofenster der beiden Verkehrssicherheitsberater reicht aus. Mehrfach am Tag sehen sie am großen Stadtpark-Kreisverkehr mit seinem separat geführten Radweg zumindest kritische Situationen.

Die Kreisverkehre, bei denen Räder mit auf der Fahrbahn fahren, seien nur wenig unkritischer: Ein Problem stelle aber auch die Konstruktion der Autos dar: Beispielsweise werden die Autokarosserien seit Jahren aerodynamischer und stabiler gebaut. Die A-Säule, also der senkrechte Rahmen der Windschutzscheibe, wird immer geneigter und breiter. Die Fläche, die dadurch verdeckt wird, immer größer. „Diesen toten Winkel haben aber viele Menschen noch gar nicht realisiert“, sagt Jan Tonke. Gerade in Kreisverkehren wird das ein Problem: „Um den Verkehr sicherer zu machen, werden Radfahrer in die Mitte der Straße geholt“, sagt er.

Das sei ja im Prinzip auch richtig. Nur, dass das jetzt neue Probleme mit sich bringe. Wirklich sicher gehe es nur mit gegenseitiger Rücksichtnahme.

Jan Tonke steht vor dem Bulli der Verkehrssicherheitsberatung
Verkehrssicherheitsberater Jan Tonke und sein Kollege Stefan Benölken bieten neue Kurse für Vereine oder Gruppen. Mit den jetzt zweitägigen Schulungen wollen sie die Sicherheit für Rad- und Pedelecfahrer verbessern. © Stephan Rape

Ein Problem sei für die Polizei auch, überhaupt alle Radfahrer zu erreichen: Viele würden das Thema insgesamt eher auf die ältere Generation schieben. Doch das greife zu kurz. Berufspendler oder Jugendliche mit Pedelecs seien genauso angesprochen.

Seit Jahren stemmt sich die Polizei mit verschiedenen Kampagnen und Aufklärung gegen die Unfallzahlen. Gerade bei Pedelecs und Fahrrädern verzeichnen Stefan Benölken und Jan Tonke kleine Erfolge. Etwa, dass immer mehr Radfahrer selbstbewusst in der Mitte der Straße fahren, wo sie das sollen. Oder dass die Quote derjenigen, die einen Fahrradhelm tragen, steige. Keine belastbare Statistik, aber ein Bauchgefühl der beiden Verkehrssicherheitsberater aus ungezählten Gesprächen.

Doch diese kleinen Erfolge werden von steigenden Verkaufszahlen aufgezehrt. Fahrradtourismus oder Fahrrad-Leasing über den Arbeitgeber boomen. Und dabei geht es eben nicht nur um die ältere Generation auf den Radwegen:

Einfache Merksätze

Jan Tonke versucht es mit möglichst einfachen Erklärungen. Etwa bei den Kreisverkehren: „In den Schulungen für Kinder sagen wir immer, wer dich sieht, hält auch an.“ Gemeint ist, dass Radfahrer versuchen sollen, Blickkontakt zu den Autofahrern herzustellen. Und im Zweifel lieber einmal öfter in die Bremse greifen. Genauso sind es für Autofahrer ganz simple Hinweise: Etwa die zum Mindestabstand. Bei weniger als 1,5 Metern dürfen Radfahrer nicht überholt werden. Ganz einfach.

„Im Zweifel müssen sie mit dem Fehlverhalten anderer rechnen“, sagt Jan Tonke. Denn im Gegensatz zum Auto haben Radler eben keine zwei Tonnen Blech um sich.

Neue Schulungsangebote

Sie wollen sich weiter mit Aufklärung und Prävention gegen die hohen Unfallzahlen stemmen. Und weiten dabei die Angebote für Pedelecfahrer noch aus. Für Vereine, Nachbarschaften aber auch Firmen bieten sie zweitägige Pedelecschulungen an: ein Tag Theorie, ein Tag praktische Übungen. Die Kurse sind kostenlos und ab sofort vereinbar: telefonisch unter Tel. 02561/9006140 oder per E-Mail unter VDVSB.Borken@polizei.nrw.de.

Für Jan Tonke wäre auch eine verpflichtende Schulung und Prüfung nach dem Kauf eines Pedelecs und eine Helmpflicht eine denkbare Option. „Das gibt es beim Mofa ja auch“, sagt er. Noch sei das zwar kein Thema. In seinen Augen aber nur eine Frage der Zeit.